Es ist einer von vielen Tagen, an denen Herbert Polenzky auf der Bank vor dem Haus Potsdam in der Brandenburg-Klinik in Bernau, unweit der Waldsiedlung, sitzt und den Sommer genießt. Nach einem Unfall ist er zur Reha auf der Geriatriestation. Schnell kommt er ins Gespräch: Im Mai 1923 geboren wuchs er in Berlin-Köpenick auf. Vater war Postbeamter, die Mutter arbeitete im Büro. Nach der zehnjährigen Schulzeit in der 8. Volksschule in Köpenick fing er eine Ausbildung an der Postbetriebsschule am Alexanderplatz, Magazinstraße, an. "Weil ich noch nicht 16 Jahre alt war, wurde ich zunächst Funkanwärter. Die Morseausbildung gehörte von Anfang an dazu." Noch heute sieht Herbert Polenzky den Raum mit den vielen Schreibmaschinen vor sich, die Klasse, die er mit 40 anderen teilte. Alle saßen an den Maschinen und trugen Kopfhörer. "Wir lernten das Morsealphabet wie Schüler der ersten Klasse. Man hörte die Morsezeichen und tippte sie sofort in die Schreibmaschine. Entscheidend dabei war, wie viel Zeichen man in einer Minute hören und auch umsetzen konnte." Er erinnert sich auch an viele Nachtschichten. "Wir mussten Feldpostpäckchen sortieren und erhielten 87 Reichsmark Lehrlingsgeld im Monat. Einkaufen ging nur mit Lebensmittelmarken, oft sah ich auf dem Bahnhof in Köpenick Eisenbahnzüge mit Geschützen. Es durften im Radio keine Fremdsender gehört werden."
Als er seine Ausbildung als Postinspektor Funk im Frühjahr 1942 abschloss, war der Zweite Weltkrieg in vollem Gange. Deutschland, Italien und ihre Verbündeten hatten große Teile von Europa, der Sowjetunion und Nordafrika erobert. Annektiert waren Frankreich, Polen, Jugoslawien, die Niederlande und Norwegen. Auch in Nordafrika rückten Infanteristen vor.
Das Hauptkampfgebiet in Nordafrika lag zwischen El Agheila im Westen und Sollum im Osten. Panzerschlachten fanden überwiegend im küstennahen Gebiet und dem wüstenartigen Hinterland statt, Opfer gab es genug.
Telefgrafenamt aus Klinker
Während die Sonne hervorlugt und Herbert Polenzky auf der Bank ausruht, erzählt er. "Ich arbeitete im Haupttelegrafenamt Berlin an der Oranienburger Straße. Es gab zwei Abteilungen: Europafunk und Überseefunk. Meist ging es um Wirtschaftsgüter zwischen Deutschland und anderen Ländern und den dazugehörigen Funkverkehr", erinnert er sich auch an das markante Gebäude aus gelbem Klinker. Das diente nach 1990 sogar als Kunsthalle.
Dann kam die Einberufung, weiß er um seine Gefühle, die alles andere als freudig waren. "Zunächst kam ich als Soldat in die Kaserne nach Bad Freienwalde zur Nachrichtenabteilung. Ich wurde dem 3. Ersatz-Kradschützen-Bataillon zugeteilt. Dann der Marschbefehl nach Potsdam, wo wir eine Uniform erhielten, die recht unbekannt war, nämlich khakifarben. Eine Tropenuniform sowie ein Rucksack mit Moskitonetzen und Schnürstiefeln. Wir sollten nach Afrika." Leicht gepanzerte Fahrzeuge wurden auf den Zug nach Bayern verladen. Der Weg führte über Südtirol an den Hafen Brindisi, wo es von Italien per Schiff weiterging. Doch das wurde dann bombardiert und versank im Meer mit der ganzen Fracht, weiß der Senior noch. So kam der junge Soldat in eine JU 52 – auch "Tante Ju", einem großen Frachtflugzeug. "Wir flogen zunächst nach Kreta. Dort mussten wir von einem Tanker Benzinfässer einladen und Lebensmittel. An einem Sonntag, das weiß ich noch genau, flogen wir nach Tripolis. Das Meer war glatt wie ein Spiegel und glänzte in der Sonne."
Das Deutsche Afrikakorps kam bis 1943 unter Erwin Rommels Kommando auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz zum Einsatz. Von Tripolis ging es mit Lkw Richtung Osten in ein Wüstencamp nahe Derna in Ägypten, erzählt der Barnimer Patient. "Wenn wir mal dort waren, hab ich eine schöne Stadt mit Palmenhainen und weitem Blick aufs Meer in Erinnerung. Alles wirkte so friedlich, da konnte der Krieg fast vergessen werden", beschreibt Polenzky. Doch heiß sei es gewesen, die Zehn-Mann-Zelte stickig. Trinken, immer wieder trinken hätte der junge Mann gemusst. "Viel geredet wurde nicht", sagt er. In Derna habe es Süßwasser gegeben. Transporte von Benzin und Munition seien die Alltagsarbeit gewesen. Dafür gab es dann Konserven mit Leberwurst, Linsen, Bohnen, Erbsen und Weißkohl. "Das war in der Hitze natürlich kaum genießbar", so der 97-Jährige heute.
Nach einer Mittelohrentzündung, schlecht für einen Funker, kam der junge Berliner samt Kopfverband nach Tripolis zurück, um auf einem italienischen Lazarettschiff nach Neapel und weiter per Zug nach Bayern zu reisen. Am Sternberger See bei den katholischen Schwestern mit ihren Hauben habe er es gut gehabt, bis zum Genesungsurlaub Weihnachten 1942. Von Krieg war bis dahin nichts zu sehen gewesen, zum Glück für Polenzky. Später aber im Nachrichtentrupp in Lille und Antibe, unweit von Nizza und Cannes, weiter über Italien, in die Abruzzen wurde es ab 1944 ungemütlich. Die alliierten Truppen zogen auf das Kloster Monte Cassino in der Provinz Frosinone. Die Schlacht dauerte fünf Monate und gehörte zu den härtesten des Zweiten Weltkriegs, weiß der Senior. "Viele Jahre nach dem Krieg hab mir dort das große Mausoleum mit 50 000 Gräbern angesehen. Das werde ich nie vergessen."
Mahnung an die Jugend
Als Funker war der Soldat nicht direkt in kriegerische Handlungen involviert, sondern meist beim Stab eingesetzt. "Als die Amerikaner uns immer weiter nach Norden drängten, war das Ende des Krieges nah. In der weiten Po-Ebene, einem flachen Gebiet ohne Deckung, griffen uns Jagdbomber an. Ich weiß noch, wie ich flach auf der Erde lag und sah, wie sie Raketen wie Bleistifte einschlugen. Dieses Bild verfolgte mich noch jahrelang bis in die Träume", sagt der Patient. 1945 sei alles schnell gegangen. In Ferrara war der Soldat mit dem Funktrupp von acht Männern unterwegs. "Kurz vor Verona war der Krieg für mich zu Ende. Wenn ich heute nach den vielen Jahrzehnten zurückdenke, war ich ein unpolitischer Mensch. Man musste in den Krieg, aber es war Unrecht. Oft habe ich darüber nachgedacht, wie sehr mich diese Zeit geprägt hat", sagt er 75 Jahre und ein ganzes Leben später.
1945 kam der junge Funker in die sowjetische Besatzungszone und zurück nach Köpenick. "Mutter war gestorben, Vater in Gefangenschaft. Meine erste Arbeit war, Telefonkabel aus der Erde auszugraben von Köpenick bis Frankfurt/Oder. Als Reparationsleistung für die Sowjetunion. Auch viele Frauen waren dabei", obwohl die Arbeit schwer gewesen sei. In einer Wetterfunkstelle in Adlershof lernte Polenzky seine spätere Frau kennen. 1951 wurde geheiratet, 1953 und 57 kamen die Söhne zur Welt. Die arbeiteten später im Funkwerk Köpenick als Nachrichtenelektroniker. "Ich durfte wieder bei der Post arbeiten und blieb dort bis 1988", sagt der Mann, der so vieles noch genau weiß und bewahrt hat. "So haben doch viele Menschen gelebt", hält er kurz inne. Die Hände sind gezeichnet von einem ganzen Leben, der Blick ist hell. "In meiner Freizeit habe ich Radios gebaut, Urlaub war am Hölzernen See beim Camping." Im Gespräch kommt eines zum anderen. Heute, die Frau ist gestorben, bestellt der Senior seine Einkäufe online am PC. Ein Faible für Technik ist geblieben. Manchmal besucht ihn ein Sohn.
Sein Lebensrezept? "Wenn man sich etwas wünscht, dann sollte man es gleich tun, nicht auf später verschieben. Denn dann ist vielleicht keine Zeit mehr dafür." Das möchte er der Jugend ans Herz legen: "Wir haben Frieden in Deutschland. Aber passt auf, dass von hier nie wieder ein Krieg ausgeht. Seid wachsam, was geschieht."