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Fußball-WM in Katar 2022: „Wir boykottieren den Boykott“ – warum ein Fan aus Spreenhagen trotz Kritik bei der WM ist
Dirk Thieme aus Spreenhagen (Oder-Spree) war schon bei sechs WM-Turnieren dabei. Auch zur Fußball-Weltmeisterschaft in Katar fliegt er – allerdings verbunden mit Reise- und Übernachtsungswidrigkeiten.
Die Fußball-WM in Katar ist so umstritten wie wohl noch keine Weltmeisterschaft zuvor. Trotzdem hat sich Dirk Thieme aus Spreenhagen (Oder-Spree), der beim Storkower SC die F2-Junioren trainiert, dazu entschlossen, hinzufliegen – zusammen mit seinem Sohn Malte, seinem Neffen Robert aus Dresden und seinem Kumpel André aus Berlin.
Sie haben Tickets für die deutschen Vorrunden-Spiele in Doha. Für Thieme ist es bereits die siebte Fußball-WM-Teilnahme. Warum der 48-Jährige einen Boykott ablehnt, dennoch mit gemischten Gefühlen ins Emirat reist und was er sich von der DFB-Elf erhofft, verrät er im Interview.
Herr Thieme, wann startet Ihre Reise zur Fußball-WM?
Wir fliegen am Abend des 21. November los, nach Dubai, in die Vereinigten Arabischen Emirate, das Nachbarland von Katar. Dort treffen wir dann auch meinen Sohn Malte, der aus Melbourne anreist.
Warum aus Melbourne?
Er ist seit März in Australien für „Work and Travel“. Ich freue mich schon, ihn nach einem halben Jahr wiederzusehen.
Katar ist bereits Ihre siebte Weltmeisterschaft in Folge. War von Beginn an klar, dass Sie dabei sind?
Nicht direkt. Auch bei uns ist die WM 2022 mit der Vergabe nach Katar sehr umstritten. Es gab auch Vorbehalte und Klärungsbedarf. Die Beachtung der Menschenrechte oder Homophobie – das haben wir angesprochen und diskutiert. Inhaltlich stimmen wir grundsätzlich mit der Kritik, die in westlichen Ländern gegenüber Katar und den dortigen Lebensbedingungen geäußert wird, überein. Andererseits kann in der Vergabe der WM vielleicht auch eine Chance liegen, etwas zu verbessern, auf etwas aufmerksam zu machen – die mediale Aufmerksamkeit ist immerhin groß.
Viele sagen, die WM hätte nie nach Katar gehen dürfen.
Das sehe ich genauso. Würde die FIFA ihre eigenen aufgestellten Regeln beachten, wäre das auch nicht passiert. Doch die Weltmeisterschaften werden seit Jahrzehnten „verkauft“. Man darf sich ruhig auch an das Sommermärchen 2006 in unserem eigenen Land und an die verschwundenen „Beckenbauer-Millionen“ erinnern.
Es klingt vielleicht kitschig, aber es ist die Liebe zum Fußball. Und die lasse ich mir nicht durch die Fifa kaputt machen. Außerdem bin ich für eine Trennung zwischen Politik und Sport. Sonst hätte ich 2002 auch die WM in Japan boykottieren müssen, weil die japanische Regierung in ihren Gewässern den Walfang zulässt. Oder die WM 2014 in Brasilien wegen der Abholzung des Regenwaldes. Oder auch die WM2018 in Russland, weil Putin kurz zuvor meinte, die Halbinsel Krim annektieren zu müssen. Aber wir müssen sportliche Ereignisse nicht politisieren. Der Sport wird nie politische Probleme lösen. Ein Boykott nützt niemandem etwas. Warum soll „meine deutsche Nationalmannschaft“ an der WM teilnehmen, ich als Fan aber außen vor bleiben – macht alles keinen Sinn. Trotzdem ist die WM in Katar anders als alle zuvor.
Wegen der gesamten Organisation. Ich hatte bei meinen ersten Recherchen für Unterkünfte in Katar festgestellt, dass eine Buchung für den WM-Zeitraum nur über ein einziges Portal möglich ist. Die Angebote waren dadurch erheblich eingeschränkt und zum Teil sehr teuer. Eine Nacht im Hotel in Doha, wo die deutschen Spiele stattfinden, kostete mehr als 300 Dollar pro Person. Außerdem ist Voraussetzung für die Einreise nach Katar zur WM der Besitz einer Hayya Card, einer Art „Fan-ID“. Diese Karte ersetzt das Visum. Alles ist irgendwie miteinander verknüpft und wirkt wie absolute Kontrolle und Überwachung.
Und wo sind Sie untergekommen?
Nicht in Katar. Wir starten von Dubai aus, also von den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Wegen der Kosten?
Ja genau. Doha war einfach nicht finanzierbar. Die Idee war zunächst, von Dubai aus mit dem Mietwagen nach Doha zu fahren, wo die Spiele gegen Japan, Spanien und Costa Rica stattfinden. Pure Abenteuerlust. Mit dem Mietwagen entlang der Meeresküste von Saudi-Arabien, 600 Kilometer. Aber das war naiv. Denn wir haben sechs Auto-Vermietungen in Dubai nach einem Grenzübertritt während der Mietdauer angefragt, darunter auch Hertz und Europcar – und alle haben einen Grenzübertritt abgelehnt. Das kam unerwartet.
Es blieb nur noch eine Variante übrig: Das sind Flug-Shuttle, die extra für die WM von Dubai nach Doha zur Verfügung gestellt wurden. Die sind vergleichbar mit einem Inlandsflug. Flugdauer knapp über eine Stunde. Allerdings können wir das Gastgeberland Katar jetzt nur mit einem jeweiligen Tagesvisum zu unseren drei gebuchten Spielen besuchen. Für uns ist das schon ein großer Kompromiss. Schließlich ging es uns bei allen WM-Turnieren, die wir bisher besucht haben, auch immer darum, Eindrücke vom jeweiligen Land zu bekommen. Das wird diesmal nur gering ausfallen.
Zum Schluss noch die wichtigste Frage: Wie weit kommt die DFB-Elf, was trauen Sie ihr zu?
Als ich das letzte Mal von einem Journalisten nach dem Ausgang einer WM gefragt wurde, hatte ich geantwortet, dass unsere Mannschaft im Viertelfinale ausscheidet. Das Ergebnis der WM 2014 in Brasilien kennen wir. Deswegen gebe ich diesmal folgenden Tipp ab: Nachdem wir im Achtelfinale uns noch gegen Kanada durchsetzen werden, werden wir im Viertelfinale gegen Brasilien leider ausscheiden. (lacht) Es ist natürlich klar, dass die Hoffnung eine andere ist.