Die Transvocale im trüben November – das ist die richtige Zeit, um neue Musiken zu entdecken, Freunde an die Oder einzuladen, ohne Verabredung Bekannte und Kollegen zu treffen. Hier kann man Melodien lauschen und zu stampfenden Beats zappeln, Lieder, Sprachen und Gespräche genießen. Wenn Transvocale ist, treffen sich Gemütlichkeit und Party-Stimmung in der Doppelstadt. Ob Buchlesen in der Konzertpause, in Socken musizieren oder Beine über Sitzlehnen hängen: Strenge hat hier (fast) keinen Platz.
Musikfestival Transvocale 2021 in Frankfurt (Oder) und Słubice
Transvocale musste im ersten Corona-Jahr 2020 ausfallen
So auch in diesem Jahr. Nach dem coronabedingten Ausfall des Festivals 2020 und angesichts der sich erneut zuspitzenden Pandemielage diesmal vielleicht sogar noch intensiver. Die Musikkultur und ihr Publikum feierten sich und das Leben. Ohne die Risiken zu vergessen.
Denn natürlich war Corona allgegenwärtig, der erste Eintritt mit Impfstatuskontrolle dauerte doch eine Minute länger. So manche verzichteten wegen gesundheitlicher Bedenken auf einen Besuch. Andere folgten nach den Erklärungen der Veranstalter zum früh gewählten 2G-Prinzip für die Spielstätten in Frankfurt und den lockereren Regelungen in Słubice auch viele Besucher der Empfehlung, im Vorfeld selbst einen Schnelltest zu machen – 2G-plus-Konzept ganz ohne strenge Pflicht. Wer mochte, trug im Innern Maske – ob in der Bar-Schlange oder beim Tanzen.
Teilung der Doppelstadt durch unterschiedliche Corona-Auflagen
Dass im SMOK am polnischen Oderufer statt Impfstatus-Anforderungen nur Besucherzahlen-Obergrenzen, Abstand und Masken galten, hat das Doppelstadtfestival allerdings doch geteilt: Einerseits gab es keine gemeinsamen Tickets, andererseits unterliefen Besucherwechsel letztlich die Pandemie-Sicherheitsvorkehrungen: Denn in Słubice konnte man nicht davon ausgehen, unter Geimpften und Genesenen (und Extra-Getesteten) sicher zu sein.
Auch das Programm in Słubice hing – nach krankheitsbedingter Absage der jemenitisch-polnischen Sängerin Rasm Almashan – etwas hinter dem weltgewandten Konzertplan auf Frankfurter Seite zurück, wie eine Besucherin bemerkte: „In Frankfurt ist immer die ganze Welt, bei uns nur Bands aus Polen.“ Nichtsdestotrotz genoss das Publikum auch hier die bunte Mischung: von der Jazz- und Stimmzauberei der Familienband Nasza Miłość mit Dorota und Henryk Miśkiewicz über lokalen Pop von Brevki oder Synthie-Elektro von Linia Nocna, die sich als besonders tanzbar erwiesen.
Insgesamt sorgte das Transvocale-Programm mit Leichtigkeit für zeitweise Ablenkung von Pandemie-Sorgen, Welt-Krisen und privaten Problemen: ob wie Gisbert zu Knyphausen und Pianist Kai Schumacher mit ihren düsteren Schubertliedern frei nach dem Motto „Mehr Traurigkeit gegen diese Scheiß-Zeit!“, die Dänen The White Album mit melancholischem Pop oder die Hamburger Chansonette Anna Depenbusch mit ironischen Betrachtungen zu den Liebesleben ihres Freundeskreises.
„Wir müssen uns benehmen, aber auch weiterleben!“
Wer sich dann genug im Weltschmerz gesuhlt hat, fand Erleichterung bei den energiegeladenen Rasga Rasga aus Süddeutschland oder der internationalen Balkan-Brass-Truppe von Dr. Žarko, die beide im Foyer des Kleist Forums genügend Raum für Tanzfreudige hatten. Umrahmt wurde das Festival von zwei bemerkenswert furiosen Shows: Das Rap-Projekt „The Bridge is Over“ brachte schon am Donnerstag mit viel Personal auf der Bühne den ganzen Saal zum Wippen und Staunen.
Am Sonnabend dann schaffte das eine Person allein: Der Folk-Crossover-Künstler Omiri aus Portugal riss die Zuhörenden von den Sitzen, auf den Treppen und neben den Sitztribünen wurde getanzt. In einer Ansage fasste Omiri dann passend zusammen: „Wir müssen uns benehmen. Aber wir müssen auch weiterleben.“ Ein tosender Zwischenapplaus bestärkte ihn, das Festival-Team und diese große Hoffnung für Musik- und Kulturleben insgesamt für die Zukunft.
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