„Evil Jared“ Hasselhoff betrachtet skeptisch den Motor des Rettungswagens. Die Motorhaube ist geöffnet. Der Zwischenstopp so kurz hinter der deutsch-polnischen Grenze war ungeplant. So sollte der Trip nach Chełm am östlichen Rande Polens nicht laufen. Der ehemalige Bassist der „Bloodhound Gang“ fährt gemeinsam mit dem Ukraine Border Collective aus Frankfurt (Oder), das seit Wochen Spenden für die Ukraine sammelt und an die Grenze fährt.
An Bord sind bei dieser Fahrt auch Michael „Krogi“ Krogmann, Moderator und Video Creator, der vor allem für seine Videos auf dem Streamingportal Twitch bekannt ist, und Gustav Schäfer, Schlagzeuger bei „Tokio Hotel“. Der Rettungswagen wurde dem Kollektiv rund um den Pflegedienst Gallus aus Frankfurt (Oder) und der „Handwerk hilft“-Initiative aus Lebus gespendet, er wird in die Ukraine gebracht. Krogi und Jared fahren und dokumentieren die Fahrt im Livestream. Das hat Vorteile, wie sich jetzt zeigt.
Denn Krogi fragt die Zuschauer, ob sie Tipps haben, wo das Diagnosegerät angeschlossen werden könnte. Einige Sekunden später kommt die Antwort. Das Gerät läuft – doch lösen lässt sich das Problem nicht. „Einmal Stecker ab und wieder ran“, sagt Felix, einer der Freiwilligen aus Frankfurt (Oder). Und: die Lüftung vom Kühler springt wieder an. Die Suche nach Bremsenreiniger bleibt aber erfolglos – an den Tankstellen gibt es lediglich Bremsenflüssigkeit, ein Tankwart schlägt WD-40 vor. Doch davon will Jared Hasselhoff nichts wissen, schließlich müsse das Öl, das sich über die Verbindungskabel geschmiert hat, gelöst werden. Der Konvoi fährt erst einmal weiter.
„Es gibt immer einen Plan, aber meistens kommt es sowieso anders“, sagt Wilma vom Ukraine Border Collective. Die Sonne scheint, der Raps steht in voller Blüte auf den weiten Feldern links und rechts der S2 durch Polen. Landwirte nutzen den Tag, um Gülle auszufahren, der Geruch weht immer wieder durch die Fenster und Lüftungen, während der Konvoi gen Osten fährt.
Spenden des Ukraine Border Collective werden in Podelzig zwischengelagert
Am Morgen waren die sieben Transporter und Vans mit Spendengütern beladen worden, dazu ein 40-Tonner-Lkw. „Idealer geht es doch kaum, hier gibt es die Technik“, sagt Kerstin Scheffler, die mit ihrem Mann eine Lagerhalle auf dem Gelände ihres Garten- und Landschaftsbauunternehmens in Podelzig zur Verfügung gestellt hat. Normalerweise stünden in dieser die Autos der Firma. „Die stehen stattdessen auf dem Gelände“, erklärt sie, während ein Mitarbeiter mit dem Gabelstapler den Lkw belädt.
Michael „Krogi“ Krogmann beobachtet und filmt. „Das Besondere ist, das ist real, das ist gut organisiert. Man sieht, wo die Spenden hingehen“, fasst er seine Eindrücke am Morgen zusammen. Auf der Autobahn sitzt er im Rettungswagen, nimmt seine Follower live mit auf die Fahrt. „Es leuchtet wieder“, meldet er die Anzeige im Amaturenbrett über das Funkgerät, mit dem die Fahrzeuge im Konvoi verbunden sind. Ein weiterer Stopp für alle, wieder wird notdürftig gesäubert – und weiter geht es.
Krogi will die Reichweite nutzen, um Aufmerksamkeit für die Ukraine zu schaffen
Michael „Krogi“ Krogmann spricht in seinen Streams eher selten über Politisches. „Aber mir folgen ja schon einige Menschen“, erklärt er. Deswegen habe er für sich entschieden, das für dieses wichtige Anliegen zu nutzen. „Wenn die was von dieser Fahrt mitnehmen, ist das doch gut“, sagt „Krogi“. Diese direkten Einblicke gewähren, „das macht das für die Leute greifbar und nahbar“, ist er überzeugt.
„Im Schnitt haben wir heute immer 400 Leute im Stream gehabt. Und das sind ja nicht immer die gleichen, das ist dann schon eine beeindruckende Zahl, die wir insgesamt erreicht haben“, sagt er am ersten Abend der Fahrt. Rund 2000 Euro sind während der Fahrt und Übertragung auf das Spendenkonto eingegangen.
Das Freiwilligen-Team des Ukraine Border Collective kommt größtenteils aus Frankfurt (Oder) und Umgebung, ein paar Fahrende aus Berlin. Viele Arbeitgeber unterstützen das Vorhaben, bemühen sich, dass spontan frei genommen werden kann, liefern Spenden zu. Unterstützung in Form von Spenden – zum Beispiel auch der Rettungswagen – kommen von Familie Hose aus dem thüringischen Altenburg. Und dann ist da natürlich das Netzwerk an lokalen Kontakten. In Chełm sind das Maciej und Solomiia.
Letztere hat vor einigen Wochen den Kontakt direkt nach Kyiv hergestellt, zu ihrem Bekannten Mikhail an der Nationalen Medizinischen Universität. Ursprünglich kommt Solomiia aus Lviv, lebt seit 12 Jahren in Polen. Mit ihrem Mann hat sie ein Speditionsunternehmen, das den Weitertransport der Spenden in die Ukraine und im Kriegsgebiet ermöglicht. Vor Ort übernimmt Mikhail mit seinen Kollegen. Sie wissen genau, was wo gebraucht wird, kommunizieren dies regelmäßig nach Frankfurt (Oder), sodass dort bedarfsorientiert Spenden gesammelt werden können.
Spenden aus dem Live-Stream für Lebensmittel für Mariupol und Sumy
„Wir fahren nächste Woche wieder hierher und kaufen hier in Polen von dem Geld ein“, erklärt Wilma in die Kamera, wofür die frisch eingegangenen Spenden genutzt werden sollen. Denn obwohl die Spendenbereitschaft auch hier merklich nachlässt – die Halle 2 des Zentrums für Humanitäre Hilfe in Chełm ist leerer als in den vergangenen Wochen – braucht es nach wie vor Hilfe. Gerade in Mariupol und Sumy brauche es Lebensmittel, sagt Maciej, einer der Koordinatoren vor Ort. Für den Westen der Ukraine seien hingegen die medizinischen Hilfen wichtiger, erklärt er, während die Spenden aus Frankfurt (Oder) am nächsten Morgen ausgeladen und der Rettungswagen für den Weitertransport in die Ukraine übergeben werden.
Neben den Kisten und Paletten des Ukraine Border Collective liegt noch ein Koffer. Den hat „Evil“ Jared Hasselhoff mitgebracht. Der Inhalt ist derzeit in Europa und vor allem in der Ukraine Mangelware: Schusssichere Westen. „Mein Onkel ist Polizist in den USA und hat mir die besorgt“, erklärt er in die Kamera, während Krogi filmt. Der Transport nach Deutschland sei unproblematisch gewesen. „Ich habe sie einfach in den Koffer gepackt und den eingecheckt“, sagt Hasselhoff. Ein Ziel haben sie auch schon: Eine befreundete Journalistin in Kyiv. Sie wird die Westen weiterverteilen.
Achtköpfige Familie flüchtet mit Katze und Meerschweinchen aus Donetsk
Nachdem die Spenden ausgeladen sind, geht es zum Bahnhof. Um 11.30 Uhr ist ein Zug aus der Ukraine gekommen. Die Freiwilligen am Bahnhof Chelm sind geübt, sie haben schon Familien unter den Geflüchteten gefunden, die Ziele in Deutschland haben und gerne mit nach Frankfurt (Oder) fahren würden.
Auch aus der zentralen Flüchtlingsunterkunft in Chełm, in einem ehemaligen, umfunktionierten Tesco-Supermarkt, warten Geflüchtete aus der Ukraine, unter anderem eine achtköpfige Familie aus Donetsk. Schon Ende März seien sie aus dem Donbass nach Kyiv geflohen, erzählt die Großmutter. Dort seien so viele Menschen mittlerweile, die Schulen geschlossen, die Unsicherheit nach wie vor, sodass sie mit ihrer Tochter, Schwiegersohn und den fünf Kindern weiterzog. Ebenfalls im Gepäck: Eine Katze und ein Meerschweinchen.
Die Acht haben kein Ziel. Doch das Ukraine Border Collective hat mittlerweile ein großes Netzwerk, Kontakte zu hilfsbereiten Menschen. Und so steht nach ein paar Anrufen fest: Die Familie kann nach Altenburg zu Familie Hose, dort wartet eine große Wohnung. „Für uns spielt es keine Rolle, wo wir landen. Hauptsache dort gibt es eine Schule für die Kinder“, sagt der Vater sichtlich dankbar.
Freiwillige des Ukraine Border Collective tauschen sich über mentale Gesundheit aus
Jeder leistet seinen Beitrag. Während der Konvoi die Rückfahrt Richtung Frankfurt (Oder) startet, wird dort schon alles vorbereitet. Die Unterkunft für eine Nacht am Helenesee ist hergerichtet, ein paar Lebensmittel sind eingekauft, Zugverbindungen rausgesucht und übersetzt. Bei einer kleinen Rast hinter Warschau können so schon die Abfahrtszeiten vom Bahnhof in Frankfurt (Oder) am nächsten Morgen kommuniziert werden. Am späten Abend kommen die Transporter an. Alle Beteiligten sind erschöpft – aber glücklich.
Denn für alle, die Spenden sammeln und transportieren, sei das Engagement eine Selbstverständlichkeit. Das wurde kurz vor Ankunft deutlich, als die Freiwilligen sich einen Moment über Funk für sich nahmen, darüber sprachen, wie es ihnen geht. Mentale Gesundheit ist wichtig, die Fahrten machten schließlich auch etwas mit den Helfenden, sind sich viele einig. „Als ich das erste Mal gefragt wurde, ob ich mitmöchte, habe ich nicht gefragt, warum, sondern ‚warum nicht‘“, sagt Felix, der eigentlich aus Jena kommt, und sich seit zwei Monaten in Frankfurt (Oder) engagiert. 95 Prozent der Zeit sei er glücklich, dass er helfen könne. Fünf Prozent, traurig und sauer, „dass wir das überhaupt machen müssen“.
Ania nickt, während sie seinen Worten am Funkgerät lauscht. Für sie sei das Besondere der Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung im Team. „Wir kennen uns alle gerade mal acht Wochen, aber haben so intensiv miteinander zu tun“, sagt sie. Zeitweilig habe sie schon fast den Glauben an die Menschheit verloren. Doch dass wildfremde Menschen, die sich womöglich sonst nie über den Weg gelaufen wären, zusammenkommen und das hier leisten, das beeindrucke sie ungemein.