Nach der Gerichtsverhandlung im Dezember 1980 wurde sie Anfang Januar in den "Frauenknast" verlegt. Ihre anfängliche Hoffnung auf mildernde Umstände waren vergebens. Obwohl ihr Mann sich den Plan zur Flucht aus der DDR ausgedacht hatte, weil er sich in der Gegend auskannte, und sie eigentlich nur eine "Mitläuferin" war, wie sagt, mussten beide die gleiche Zeit in Haft verbringen. Er in Chemnitz und sie in Hoheneck. Als politische Gefangene stand sie bei den Wärtern in der Rangordnung noch unter den zwei Kriegsverbrecherinnen. Die beiden verbüßten noch Anfang der 80er in Hoheneck ihre Strafen. "Sogar Kindesmörder waren besser als wir Politischen gestellt", erinnert sich die Seniorin. Wie kam Päch dorthin?
1977 ging es für die Frankfurterin der Liebe wegen ins sächsische Riesa. Arbeit hatte sie in der dortigen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG). "Wie meine Oma immer sagte: Egal, wo die Liebe hinfällt. Und wenn sie auf dem Misthaufen ist", erzählt sie über ihre erste und ihre zweite Ehe. Im Februar 1980 bekam Päch ihren ersten Jungen. "Ich habe ihn nach der Entbindung nur noch einmal sehen dürfen, zum Stillen", erzählt die Rentnerin. Wegen ihrer "Lebensumstände" nahm das Jugendamt sich ihres Kindes an. "Alkohol war bei meinen ersten Partnern das Problem", berichtet sie – und griff dann schnell selbst zur Flasche. Seitdem war sie im Visier der Staatssicherheit, so mutmaßt sie.
Mit ihrem zweiten Ehemann beging sie "Republik-Flucht". Dieser wuchs direkt im Sperrgebiet, im thüringischen Meiningen auf. "Fünfzig Meter, dann wären wir im Westen gewesen", erinnert sich Heidemarie Päch an den missglückten Fluchtversuch im Spätsommer 1980. Denn im Unterholz stolperte sie, schlug mit dem Knie auf einen Stein und schrie vor Schmerzen. Grenzposten kamen angelaufen. "Sie hätten meinen Mann nicht erwischt, wenn er sich an unsere Abmachung gehalten hätte."
Diese besagte, dass der andere im Notfall weiterläuft und "drüben" Familienzusammenführung beantragt. Doch ihr Partner blieb bei ihr. "Ich habe lauthals geflucht", war Päch außer sich. Nach einer Nacht in Gotha wurde sie nach Weimar und von da aus nach Dresden gebracht. Dort verhörten sie Stasi-Mitarbeiter. "Mein Mann verlor drei Zähne bei den ‚Befragungen‘", sagt Päch. Auch sie sei geschlagen worden. Nur nicht so extrem, wie die männlichen Gefangenen.
Am Anfang musste sich Päch ihre Zelle, den "Verwahrraum", mit 13 anderen Personen teilen. Geschlafen wurde in Doppelstockbetten. Als dann noch die "Asozialen" – DDR-Rechtsbegriff für Menschen, die sich "... aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit hartnäckig entzogen ..." – eingekerkert wurden, teilten sich 28 Menschen eine Zelle. Diesmal mit drei Betten übereinander. "Sich nicht unterkriegen zu lassen, war das wichtigste", sagt die Frankfurterin. Andernfalls sei man dauernd von anderen Zellengenossen traktiert worden. "Mir hatten sie ja kurz vorher meinen Jungen weggenommen. Und dann steckten sie mich zu einer Kindesmörderin in die Zelle", sagt sie. Diese habe ihr in allen Einzelheiten erzählt, wie sie ihre eigenen Kinder umbrachte. "Da bin ich ausgerastet", erzählt Päch. Sie nahm einen Hocker und schlug ihn der Dreifach-Mörderin auf den Kopf.
Das hatte für Letztere drei Monate Krankenstube zur Folge. Päch bekam drei Monate Einzelarrest in einer dunklen, nasskalten Zelle aufgebrummt. Immerhin gab es genug zu Essen: Frühstück, Mittag- und Abendessen – mit Brot, Butter und "anständige Wurst". Im Arrest bekam sie das fertige Essen durch die Klappe geschoben. Maximal ein Plastikmesser lag auf dem Tablett. Ansonsten nichts spitzes, womit man sich verletzen oder gar umbringen hätte können. "Mich selbst töten? Niemals. Diese Genugtuung wollte ich denen nicht geben", erinnert sich Päch.
Der normale Alltag im Gefängnis war strikt getaktet, denn die Insassen wurden zur Arbeit verpflichtet; nach Leistung und in Schichten. Um vier Uhr ging das Licht an, Wärter schlugen gegen die Tür – fertig machen zum Zählappell. Dann wuschen sich die 28 Frauen an drei Waschbecken, verrichteten ihr Geschäft auf zwei Toiletten. "Wir nähten täglich acht Stunden Bettwäsche für den Westen", erzählt Päch. Als DDR-Bürger habe man von den wertvollen Stoffen, den Farben und Mustern nur träumen können. Andere Häftlinge wurden nach Thalheim zu den Esda Strumpfwerken gefahren, um dort Strumpfhosen zu nähen. Ebenfalls für den Westen.
Täglich gab es eine Stunde Freigang, in der die Frauen im Gefängnishof rumlaufen durften oder sich von ihrem Taschengeld etwas im Konsum kauften. "Rauchware, Parfüm oder Haarshampoo gab es dort", erzählt die Seniorin.
Am nervenaufreibendsten seien die letzten drei Monate gewesen. "Weil ich da jede Minute bis zur Freilassung gezählt habe". Ein normales Leben war nach der Haftentlassung so einfach nicht möglich. "Man stand unter absoluter Kontrolle". Jedes Wort musste mit Bedacht ausgesprochen werden, Arbeitskollegen oder der Fußgänger auf der anderen Straßenseite – alle hätten Spitzel sein können. Den "größten Spitzel" hatte Päch in der eigenen Familie. "Meine Halb-Schwester war Oberleutnant der Staatssicherheit", erzählt sie. Trotz keines Sterbenswörtchens machte die Stasi diese auf Grund Pächs Flucht ausfindig. Und bekam eine Verwarnung, wie sie Jahre später Päch mitteilte. "Die war mächtig sauer." Kontakt hat Päch schon lange nicht mehr. Ihre Halb-Schwester wohnt heute in Leipzig.
Neuanfang beim Brückenplatz
Nach ihrer Entlassung 1984 sei sie vom Staat zur Arbeit in eine Gärtnerei "verdonnert" worden – lieber hätte sie in einer Wäscherei gearbeitet. Nach ihrem zweiten Kind blieb sie schließlich als Hausfrau daheim. "Beim Mauerfall habe ich wieder gearbeitet." Als sie die Nachricht im Radio hörte, glaubte sie an eine Lüge. "Wir freuten uns, aber euphorisch waren wir nicht". Denn es kam "die Arbeitslosigkeit". Seit Januar 1990 ist Päch ohne Job, wurde früh-verrentet. Nach erfolgloser Suche kam die Flucht in die Alkoholsucht. "Verkehrter Umgang war wieder Schuld", meint Päch.
Wegen ihrem jüngeren Bruder kam Heidemarie Päch schließlich nach Frankfurt (Oder) zurück, zog vor sieben Jahren wieder in ihre Geburtsstadt. Als "Mädchen für alles" ist sie seit 2016 am Brückenplatz tätig. In Folge einer Bewährungsmaßnahme leistete sie vor drei Jahren bei Michael Kurzwelly ihre Sozialstunden ab. Sie ist bis heute dort geblieben, öffnet einmal pro Woche ehrenamtlich den "Free-Shop", wo Kunden gegen eine Spende Kleidung und gebrauchte Sachen mitnehmen können. Oft seien das Menschen, die ebenfalls ihr Päckchen zu tragen haben. Wie Heidemarie Päch selbst – als ehemaliger "Flüchtling" und "Ex-Insassin".
Frauengefängnis Hoheneck in der DDR
Das Frauengefägnis Hoheneck bzw. Frauenzuchthaus Hoheneck – zu DDR-Zeiten: Strafvollzugseinrichtung (StVE) Stollberg (Hoheneck); bei seiner Gründung 1862 "Königlich sächsische Weiberzuchtanstalt" – war von 1862 bis 2001 ein Gefängnis auf Schloss Hoheneck in Stollberg/Erzgebirge, im sächsischen Erzgebirgskreis. Nach wissenschaftlichen Hochrechnungen wurden zirka 25 000 Frauen in Hoheneck inhaftiert, etwa 8000 davon waren politische Häftlinge. Es gab Zellen für Isolationshaft und Dunkelhaft. jhh