Eine Mitschülerin sei in der Schule öfter mit dem N-Wort beleidigt worden, erzählt Chiara. Sie geht in die neunte Klasse des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Fürstenwalde. Doch nicht nur Schüler haben den Begriff verwendet. Auch ein Lehrer nutzte immer wieder diesen Ausdruck.
Dabei habe er sich zwar auf Schokoküsse und nicht auf die Schülerin bezogen, dennoch sei die Verwendung diskriminierend. Chiara und ihre Klassenkameradin Annie nutzen diesen bewusst nicht. „Ich habe öfter mit dem Lehrer über diese Aussagen gesprochen und ihm die Problematik dahinter erklärt. Vielen ist die Kraft, die hinter dem Wort steckt, gar nicht klar“, erzählt Annie.
Annie und Chiara sind Teil des Scholl-Teams. Es entstand im Zuge des Projektes „Schule ohne Rassismus. Schule mit Courage“. Seit 2018 nimmt das Gymnasium daran teil. Direkt beim Betreten des Hauses fällt das Schild ins Auge. „Damit sollen die Kinder jeden Tag sehen, wofür wir stehen“, erzählt Sylke Weise. Sie ist Lehrerin und Beraterin der Projektgruppe.
Wieso sollte das N-Wort nicht mehr verwenden werden?
Dr. Grada Kilomba ist Schriftstellerin, Dozentin und Psychologin. In ihrem Aufsatz „Das N-Wort“ erklärt sie, dass der Begriff aus der Geschichte der Versklavung und Kolonisierung stammt. Daher sei er mit Brutalität, Verwundung und Schmerz verbunden und erzeuge ein Machtverhältnis zwischen „Weißen“ und „Schwarzen“.
Schule in Fürstenwalde musste sich erst bewerben
„Schule ohne Rassismus. Schule mit Courage“ ist ein bundesweites Projekt, an dem in Deutschland insgesamt 3600 Schulen teilnehmen. Zuständig für die Koordination und Vergabe des Titels in Brandenburg ist die Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie Brandenburg (RAA Brandenburg). Sie ist eine unabhängige Unterstützungsagentur für Bildung und gesellschaftliche Integration.
In Brandenburg nehmen 97 Schulen an dem Projekt „Schule ohne Rassismus. Schule mit Courage“ teil und somit etwa 10,5 Prozent aller Schulen im Bundesland (923 Schulen). Ziel sei die Aufklärung und Aufdeckung von rassistischen Handlungsweisen, erklärt Andrea Rauch, die Landeskoordinatorin der RAA Brandenburg. Nur wenn die Schüler verstehen, wieso gewisse Dinge falsch und verletzend sind, können sie ihr Verhalten ändern. Die RAA bietet dabei sowohl Veranstaltungen für Schüler, als auch spezielle Seminare für Lehrkräfte an.
„An dem Projekt nehmen in Brandenburg alle möglichen Schulformen teil“, erzählt Andrea Rauch stolz. Besonders Gymnasien sind aktiv. Sie machen mehr als die Hälfte der teilnehmenden Schulen aus.
Schulen ohne Rassismus in Brandenburg
Quelle: https://www.schule-ohne-rassismus.org/netzwerk/courage-schulen/
Teilnehmende Schulen organisieren selbstständig Veranstaltungen und Workshops. Genauer gesagt seien hauptsächlich die Schüler die Macher, so Sylke Weise. Die Kinder haben unterschiedliche Motivationen, an der Projektgruppe teilzunehmen. Der Neuntklässler Noah erlebte in seiner vorherigen Schule viele Anfeindungen gegenüber geflüchteten Kindern. Diese seien als „Kanaken“ beleidigt worden. Als er bei einer Busfahrt Zeuge davon wurde, wie ein kleiner Junge von Erwachsenen geschubst und beschimpft wurde, schritt er mit einem Freund ein. Er zeigte Courage und das sei das, worauf es dem Scholl-Team besonders ankomme, erklärt Sylke Weise. Und auch Andrea Rauch spricht davon, dass immer mehr von „Courage-Schulen“ die Rede sei. Die Kinder sollen lernen, sich stark zu machen und sich gegen Ungerechtigkeiten einzusetzen.
Ein großes Problem sei die Unwissenheit vieler Erwachsener. Diese würden ihre Ansichten an ihre Kinder weitergeben, vermutet Yvaine. Die Siebtklässlerin ist seit Dezember im Vorstand des Scholl-Teams. Als ihre Mutter von der Teilnahme der Schule an dem Projekt „Schule ohne Rassismus. Schule mit Courage“ erfuhr, war sie direkt begeistert. Aber nicht alle Eltern unterstützen die Ansichten der Kinder. Sylke Weise erzählt, dass es an der Schule auch Fälle gäbe, bei denen die Kinder eindeutig entgegen der Einstellung der Eltern argumentieren und den Mut haben, zu ihrer Meinung zu stehen. Andere Eltern würden sich, durch die Teilnahme ihrer Kinder, das erste Mal bewusst mit der Thematik Rassismus auseinandersetzen, führt Annie weiter aus.
Das Projekt ermöglicht den Kindern, ein Bewusstsein für Rassismus und Diskriminierungen zu schaffen. Das Geschwister-Scholl-Gymnasium arbeitet zudem viel mit der Geschichte des namensgebenden Geschwisterpaares. Sophie und Hans Scholl waren Mitglieder der Münchner Studentenbewegung „Weiße Rose“ und haben aktiv Widerstand gegen das Nazi-Regime geleistet. Am 22. Februar 1943 wurden sie hingerichtet. Sie waren 21 und 24 Jahre alt. Die Schüler halten außerdem die Erinnerungskultur mithilfe von Stolpersteinen aufrecht.
Rassismus ist in vielen Schulen ein Tabuthema
Aber nicht jede Schule schafft es, die Thematik aufzuarbeiten. Hannes Püschel ist Berater bei dem Verein Opferperspektive e.V. und merkt an, dass Rassismus in vielen Schulen noch ein Tabuthema sei. Wenn es zu rassistischen Angriffen gegenüber Kindern kommt, würde im schlimmsten Fall eine Mitschuld bei dem angegriffenen Kind gesucht werden. Die Kinder seien häufig selbst „Problemschüler“ und dann sei schnell die Rede davon, dass beide Seiten Schuld hätten. „Der richtige Umgang mit der Problematik erfordert einen hohen Arbeitsaufwand und den geben die Ressourcen der Schulen oft nicht her. Denn pädagogische Lösungen brauchen ihre Zeit und das geschulte Personal“, erklärt Hannes Püschel.
Bereits verbale Diskriminierung kann bei Kindern zu psychischen Problemen führen. Die Schule ist der erste Ort außerhalb ihres privaten Umfeldes, an dem Kinder hierarchische Strukturen kennenlernen. Sie sollen dort Freunde finden und sich sicher fühlen.
Im Jahr 2020 war jedes dritte Opfer von rechter Gewalt in Brandenburg unter 18 Jahre alt. Im vergangenen Jahr sanken die Zahlen leicht. Ein Grund für den Rückgang könnte der Lockdown und die damit verbundene Schließung von Jugendtreffs und die reduzierten Freizeitmöglichkeiten sein, sagt Hannes Püschel. Denn die Angriffe geschehen meist an öffentlichen Orten.
Kinder müssen über Rassismus aufgeklärt werden
Die meisten der angegriffenen Kinder sind Geflüchtete. Aber auch Kinder, die hier geboren wurden, können Opfer werden. Wissen ist ein wichtiger Aspekt, um rassistischen Angriffen vorzubeugen. Wenn Kinder früh Hintergründe verstehen, begehen sie vielleicht nicht die gleichen Fehler wie die Generationen vor ihnen. Engagierte Schülerinnen wie Annie und Chiara helfen dabei. Auf die Frage, was sie später einmal beruflich machen möchte, antwortet Annie: „Weiß ich noch nicht genau, aber auf jeden Fall irgendwas Soziales.“
Dieser Beitrag ist Teil der Serie Rechtsextremismus in Brandenburg und Sachsen von LR und MOZ.
Wege sich mit dem Thema Rassismus auseinanderzusetzen
Bewusster Umgang mit Sprache
► Auf gewisse Begriffe und Ausdrücke sollte verzichtet werden. Zum Beispiel „Zigeunersoße“, „Negerkuss“, „Indianer“, „Mischling“, „Mohr“. Sie sind geschichtlich belastet und haben eine herabwürdigende Wirkung.
Informierende Materialien
► Auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung finden sich ausführliche Artikel rund um die Thematik.
► Es gibt verschiedene Ratgeber, die dabei helfen, mit Kindern über Rassismus zu sprechen. Die Website tebalou setzt sich für mehr Diversität im Kinderzimmer ein und klärt über Rassismus in Deutschland auf. Zudem bietet die Website einen Shop für Kinderspiele und -bücher an.
► Auf der Website von Amnesty International gibt es einen Überblick über antirassistische Literatur, Filme und Podcasts.
Richtiges Verhalten, wenn ein Mensch rassistisch angegriffen wird, nach Angaben der Amadeu Antonio Stiftung
► Aufmerksamkeit erzeugen (Polizei anrufen, andere Menschen ansprechen und mit einbinden)
► Dem Opfer ein sicheres Gefühl vermitteln (Blickkontakt halten)
► Den Täter verunsichern, aber nicht provozieren oder körperlich angreifen (lautes Schreien kann auf den Angreifer irritierend wirken, Berührungen können Eskalationen auslösen)
► Sich das Aussehen des Täters einprägen und Anzeige erstatten
► Das Opfer nach der Tat nicht alleine lassen. Beratungsstellen bieten Hilfe an.
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