Die Nachfrage steigt
Denn die Auswirkungen der Corona-Krise bekommen die Mitarbeiter in den Beratungsstellen deutlicher zu spüren. Die Nachfrage nach Hilfe steigt. "Die Hilfe zur Erziehung nach Sozialgesetzbuch VIII liegt in der Verantwortung der Kreise, deshalb gibt es hierfür auch einen Vertrag mit dem Jugendamt, während die Schwangerschaftsberatung über das Land finanziert wird. In Oberhavel kooperieren fünf Familienberatungsstellen eng miteinander, sie müssen sich 7,5 Stellen teilen, 1,5 Fachkräftestellen entfallen dafür auf Zehdenick. Das reicht nicht hinten und nicht vorn, denn offiziell soll die Zehdenicker Beratungsstelle dafür 166 Fälle in diesem Jahr betreuen, aber schon jetzt wurden über 90 Fälle betreut, was bei gleichbleibender Nachfrage bedeutet, dass im Oktober das Beratungsbudget aufgebraucht ist. Natürlich kann man Ratsuchende danach nicht abweisen – aber faktisch ist alles was danach kommt, nicht durch Personalbudget abgedeckt", teilte die Abgeordnete nach ihrem Besuch in Zehdenick mit. "Die Bundeskonferenz für Erziehungsberatung empfiehlt vier Fachkräfte auf 10 000 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre, das wären dann aber 13 bis 14 Fachkräfte plus Leitung und Verwaltung in Oberhavel, fast doppelt so viel, wie tatsächlich zur Verfügung steht. Immer wieder hat die Beratungsstelle auch Überlastungsanzeigen gestellt, leider ohne den gewünschten Erfolg", beklagt Domscheit-Berg.
Anke Culemann, stellvertretende Leiterin der Immanuel Familienberatung in Zehdenick, die mit Leidenschaft ihre Arbeit mit hilfesuchenden Menschen ausübt, machte im Gespräch mit Domscheit-Berg deutlich, wie wichtig auch die Präventionsarbeit sei, die früher auch pauschaliert finanziert wurde und jetzt einzeln für jede Maßnahme beantragt werden muss – bei unklarer Bewilligung. So fehle eine Grundfinanzierung auch für das Personal, um präventiv arbeiten zu können zu Themen wie Cybermobbing, Trennungskinder, Schutz vor sexuellem Missbrauch oder Traumabewältigung.
Covid-19 habe die Beratung sehr erschwert, den Bedarf noch einmal gesteigert, aber manche Hilfeleistung könne trotz Bedarf gar nicht mehr stattfinden. So könne man Beratungen mit Erwachsenen auch per Telefon durchführen, mit Kindern jedoch nicht, da dann die Vertraulichkeit des Gesprächs nicht sichergestellt sei. "So haben gerade Kinder, die verletzlichsten Mitglieder unserer Gesellschaft, einen eingeschränkten Zugang zu Unterstützungssystemen und das ist ein gravierendes Problem. Nur für Jugendliche fand sich eine Lösung, bei gutem Wetter finden Beratungen im Garten statt, mit Schutzvisieren aus Fürstenberg", so die Abgeordnete.
Die Themen der Beratungsfälle zeigten die breiten Auswirkungen der Coronakrise, die nicht nur mit gesundheitlichen Folgen zu tun hätten, denn darin gehe es um Existenzängste, Arbeitslosigkeit, Überschreitung von Belastungsgrenzen wegen Mehrfachbelastungen durch geschlossene Kitas und Schulen, Kontaktverbote zu Großeltern oder Probleme bei Umgangsregelungen.
"So haben die Mitarbeiterinnen der Beratung noch höhere Anforderungen zu bewältigen und leisten einen unschätzbaren Beitrag bei der Unterstützung besonders belasteter Menschen. Ich finde diese Leistungen großartig, aber ich finde es auch ein Unding, dass das Personal derart am Limit arbeiten muss", kritisiert Domscheit-Berg das Verhalten des Landkreises. Ihr Wahlkreismitarbeiter Ralf Wunderlich, der auch Mitglied des Kreistages ist, werde das Thema dort einmal ansprechen. "Gemeinsam werden wir uns künftig auch beim Jugendamt über diese Themen informieren", kündigte Domscheit-Berg an, dran zu bleiben an diesem Thema. Seitens des Landkreises war am Mittwoch keine Stellungnahme zu bekommen.
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