Weggefährten halten die musikalischen Erinnerungen an Manfred Krug mit den Hommage-Konzerten wach. Ist da eine erweiterte Krug-Familie unterwegs, oder geht es ums Geldverdienen? Was bedeutet diese Tournee für Sie?
Ottilie Krug: Ich finde das sehr schön. Diese Lieder, das sind ja alles welche von DDR-Schallplatten, die natürlich eigentlich nur meine Generation kennt, die 60- bis 80-Jährigen. Wenn Günther Fischer (Jazzmusiker/Anm. d. Red.) und die Musiker bei uns in der Wohnung waren, Klavier spielten, es wurde komponiert und mein Mann sang, das haben wir alles miterlebt. Es ist vor allem älteres DDR-Publikum, das diese Schallplatten noch kennt. Ich sehe ja, wie einige mitsingen. Ich bin eine gute Beobachterin. Deshalb gehe ich in den Pausen gern mit einem Glas in der Hand herum und lausche, was die Menschen sagen.
Daniel Krug: Was die Musiker anbelangt: Natürlich verdienen die damit Geld. Aber schauen Sie sich deren Spielfreude an! Ich habe die jetzt in Görlitz gesehen vor acht Wochen: Die haben einen derartigen Spaß! Das groovt ja auch!
Ist für Sie beide Manfred Krug mehr der Schauspieler oder der Sänger?
Daniel Krug: Als musikaffiner Mensch muss ich sagen: Er war sicher ein sehr solider Schauspieler. Und den meisten ist er als solcher mehr bekannt. Aber für mich war er ein sehr begnadeter Musiker, der aber kein Instrument richtig spielen konnte. Der hat ein bisschen Klavier und Gitarre geklimpert, notenfest war er auch nicht. Aber eine unglaubliche Begabung!
Ottilie Krug: Wenn er gesungen hat, das hat mich mehr ergriffen und aufgewühlt. Er hat 1970 den Sporting Live aus "Porgy and Bess" in der Komischen Oper unter dem Regisseur Götz Friedrich gesungen. Er war der einzige Laie, alle anderen waren ausgebildete Opernsänger, teilweise aus den USA. Mein Mann dachte, er wird veralbert, als der Anruf mit dem Angebot kam. Da hatte er eine wunderbare Hauptrolle, und die hat er so toll gespielt und gesungen. Ich war bei der Premiere dabei, Stunden danach kam unsere Tochter Fanny zur Welt.
Sie erzählten auch, dass Ihr Mann vor einem der letzten Konzerte sagte: Komm mit und schau dir an, weshalb ich in der DDR keine berufliche Zukunft mehr habe!
Ottilie Krug: Ja, die letzten drei Konzerte habe ich miterlebt. Er hat gesagt: Da sitzen in den ersten zehn Reihen einarmige Banditen. Die klatschen nicht. Das waren welche von der Stasi und andere geschickte Leute, die keine Ahnung von der Musik hatten. Bei einem Konzert gingen sie mit Schäferhunden um die Autos der Musiker. Die standen noch da, als wir wegfuhren. Unheimlich! Mit diesen Eindrücken wollte er mir eigentlich sagen: Komm mit! Wir gehen in den Westen.
Das war für Sie kein einfacher Schritt. Wie ist das, wenn man aus Räson, aus Liebe heraus diesen Schritt geht?
Ottilie Krug: Dass ich mal in den Westen gehe, das war überhaupt nicht in meinem Kopf gewachsen. Diese Idee gab es allerdings auch für meinen Mann vorher nicht. Es war für uns beide neu. Nur: Ich war DDR-treu erzogen worden. Ich hing an meinen Eltern und Geschwistern. Das waren alles Ostberliner. Mir war klar, dass ich die möglicherweise nie wiedersehen würde. Ich war damals 35. Ich weiß, dass ich meine Schwester in den Arm nahm und sagte: "Na spätestens, wenn du 65 wirst …" Da liefen uns beiden die Tränen. Ich sehe mich da noch auf der Parkstraße in Weißensee stehen.
Herr Krug, Sie waren bei der Ausreise 1977 erst 13. Wie ist Ihnen das ergangen?
Daniel Krug: Wirklich abgeschirmt worden sind wir nur vor den ganz schlimmen, möglicherweise gefährlichen Dingen. Alles andere hat man uns miterleben lassen nach dem Biermann-Konzert in Köln. Auch das Konzert habe ich im Westfernsehen gesehen. Dass ich das alles in groben Zügen mitbekam, ließ sich gar nicht vermeiden. Die ganze DDR war damals den ganzen Tag am Tuscheln. Es gingen Gerüchte noch und nöcher. Die haben wir uns beim Abendbrot erzählt: Papa ist schon abgehauen und hat uns zurückgelassen. Papa hat ein Dollarkonto in der Schweiz, Papa hat mit Benzinkanistern in der Hand andere Schauspielkollegen zur Unterschrift für den Protestbrief gegen die Biermann-Ausbürgerung gezwungen. Abenteuerlich wie in einem Action-Movie! Das konnte man uns gar nicht verschweigen. Ich sah mehr wie ein Kind aus, war im Kopf aber schon ein Stück weiter. Ich fand das alles sehr unappetitlich und ekelhaft. Da ist eine Klappe gefallen, als ich mitbekommen habe, dass dieses Vaterland nicht so väterlich zu uns ist. Man darf aber auch nicht vergessen: Schon Ende März/Anfang April bin ich von meinen Eltern etwas scheinheilig gefragt worden, ob ich mir vorstellen kann, mal ganz woanders zu wohnen. Wie, ganz woanders?, habe ich gefragt. Da hieß es: Das kann überall sein. Ich habe sofort begriffen, was sich dahinter verbirgt. Dass es sich um einen Grenzwechsel handeln würde.
Wie ist es Ihnen mit dem Gedanken ergangen?
Daniel Krug: Ich war auf der Vorstufe zur Pubertät. Viele Freunde, die ich bis dahin hatte, die hätte ich wahrscheinlich sowieso nicht mehr lange gehabt, weil man seinen Horizont ein bisschen erweitert. Da waren auch ’nen Haufen Radaubrüder dabei, mit denen ich den Blödsinn machen konnte, den kleine Jungs gern machen. In ’ner Kleingartensiedlung Aprikosen klauen. Oder im Konsum ’ne Tafel Schokolade, einfach aus Sport.
Dann waren Sie plötzlich in Westberlin. War das ein großer Abenteuerspielplatz?
Daniel Krug: Das war eine Mischung. Natürlich war alles bunt, grell und poppig. Das war ein extremer Kontrast. Andererseits: In der DDR bekam man einen kritischen Blick für die andere Seite an die Hand gegeben. Wir hatten ja alle Staatsbürgerkunde bei  sozialistisch korrekten Lehrern. Die Dinge zu hinterfragen, das hat natürlich in meinem Kopf stattgefunden. Und tut es bis heute. Aber ich habe mich schon arrangiert. Das war am Anfang nicht leicht. Ich musste mir einen Haufen dämlicher Sprüche von den weniger schlauen Gesellen anhören. Die haben in der Schule Ostwitze gemacht. Aber damit lernt man umzugehen.
Ottilie Krug: Ich kannte viele, die in den Westen gegangen sind, und dort verheimlicht haben, aus der DDR zu sein. Ich habe gedacht: Nö, du gerade! Du bist stolz darauf, dass du aus der DDR hierhergekommen bist. Und ich habe das deutlich gezeigt. Nicht durch freche Bemerkungen, aber durch einen gewissen Stolz.
Daniel Krug: Aber das hat natürlich den Nachteil, dass man immer über seine Geschichte ausgefragt wird und die Sachen erzählen muss, die man vielleicht nicht jedem sofort auf die Nase binden will. Wenn man in solcher Familie wie der unsrigen groß wird, lernt man, dass es gewisse Risiken birgt, allzu salopp damit umzugehen. Zu sagen, wer der Vater ist und aus welchem Stall man kommt.  Es gibt unglaublich viele Leute, die einen sofort in eine Schublade stecken. Entweder in die glorifizierende, wenn sie ein großer Krug-Fan sind. Oder in eine negative, wenn sie den nicht leiden können und den prollig finden. Aber diese Schubladen haben gar nichts mit einem zu tun. Es gibt auch nicht wenige Leute, das habe ich schon im Osten begriffen, die sich über gar nichts anderes mehr unterhalten wollen, die dich nur noch ausfragen über deinen Vater. Wo man selber gar nicht mehr zählt. Da kriegt man sehr früh mit, wem man was erzählen sollte.
Für Sie sind die Hommage-Konzerte fast schon eine schöne Routine. Wird das Konzert in Hennigsdorf dennoch etwas Besonderes für Sie?
Ottilie Krug: Das wird schon was Besonderes. Ich freue mich ja darüber, dass Hennigsdorf diesen Schauspieler ehrt. Es ist so, als ob Manfred Krug mit dem Konzert nochmal in die Stadt seiner Kindheit zurückkehrt.
Daniel Krug: Das wird eine Familienfeier! Da müssen wir uns doch blicken lassen! Wie sähe denn das aus, wenn wir nicht kommen würden!

Schauspieler unterBertolt Brecht

Mehr als ein halbes Jahrhundert waren Ottilie und Manfred Krug verheiratet. Aus der 1963 geschlossenen Ehe gingen drei Kinder hervor.

Seine Karriere als Schauspieler begann 1955 am Berliner Ensemble, damals noch unter der Leitung von Bertolt Brecht. Ab 1957 wurde er als Schauspieler im Kino und im damals in der DDR noch nicht weit verbreiteten Fernsehen bekannt. Der 1966 gedrehte Film "Spur der Steine" wurde in der DDR kurz nach seiner Premiere von der SED verboten. Erst wenige Wochen vor dem Mauerfall 1989 durfte der Film wieder aufgeführt werden.

Die erste Schallplatte erschien 1965 beim DDR-Label Amiga: "Jazz und Lyrik", ein Konzertmitschnitt mit den Jazz-Optimisten und Eberhard Esche. "Auserwählt" war 2014 seine letzte Veröffentlichung. rol