Auf dem Küchentisch mit den Intarsien steht ein Aprikosenkuchen von Butter Lindner, heißer Tee dampft in den Tassen. Ottilie Krug hat gemeinsam mit Sohn Daniel in ihre Wohnung nahe des Berliner Ku’Damms eingeladen. Beide haben sich bereiterklärt, über den Schauspieler und Sänger, aber auch über den Ehemann und Vater Manfred Krug zu plaudern. Es wird ein langes, zwei Stunden dauerndes Gespräch. Über Manfred Krug gibt es so vieles zu erzählen.
Hat Manfred viel von seiner Kindheit erzählt?
Ottilie Krug: Ja, mir sehr viel. Und euch Kindern auch. Er hat sehr viel erzählt von seinen Freunden in Duisburg, als er dort bei seiner Oma lebte. Die Freunde hat er auch wiedergesehen. Einige haben ihn auch in Pankow und später in Westberlin besucht.
Daniel Krug: Ich habe darüber auch viel von ihm gehört. Insbesondere kann ich mich an seine Erzählungen über den katholischen Kindergarten in Hennigsdorf erinnern. Gute Erinnerungen. Da muss es tolle Kindergärtnerinnen gegeben haben, die sehr fürsorglich waren. Man muss natürlich wissen, dass mein Vater zweimal im Jahr den Wohnort wechseln musste, weil sein Vater wegen permanent neuer Arbeitsstätten, der Nachkriegszeit und der Trennung der Eltern umzog. Der ist verdammt viel rumgekommen, und die Söhne immer mit.
Sie sind mit Ihrem Mann mal durch Hennigsdorf gekommen.
Ottilie Krug: Da waren wir sehr jung. Als wir damals einmal durch Hennigsdorf kamen, fragte er, ob ich mal sehen wolle, wo er gewohnt hat in der Marwitzer Straße. Da sind wir einen Schlenkrich gefahren. Er wollte mir das Haus zeigen. Aber eines sah aus wie das andere in dieser Straße. Ich kann mich an große Torbögen erinnern. Wir sind dort langgelaufen, aber er wusste nicht mehr genau die Hausnummer.
Daniel Krug: Ich bin auch irgendwann nach Hennigsdorf gekommen, nachdem ich davon gehört habe, dass dort eine Gedenktafel angebracht werden soll. Ich habe ganz bewusst nach der Marwitzer Straße gesucht. Ich bin aber nicht ausgestiegen. Aber ich habe diesen Block und die Torbögen gesehen.
Seine Hennigsdorfer Zeit fiel ja in die Kriegsjahre und Nachkriegszeit. Hat er davon erzählt? Oder hat er trotz des Krieges eine unbeschwerte Kindheit erlebt?
Ottilie Krug: Ich würde das fast sagen. Über den Krieg hat er aber wenig gesprochen. Als sein Vater spät doch noch an die Front geholt wurde, hat dieser zu ihm gesagt: Du bist hier der einzige Mann im Haus. Dein kleiner Bruder und deine Mutter sind hilflos. Du musst zusehen, dass ihr zu essen habt.
Daniel Krug: Ich habe darüber auch nichts von ihm gehört. Aber von der Nachkriegszeit hat er viel erzählt. Vom großen Abenteuerspielplatz Trümmerfeld, aber am allermeisten über die handfesten Probleme, die sie hatten. Sie hatten nichts zu essen. Er war eigentlich den ganzen Tag unterwegs und am Gucken, wo man Kartoffeln klauen kann oder wo ’ne Kohle mitzunehmen ist. Da gab es auch eine Geschichte, wo er zu nächtlicher Stunde an ein Lager, wo die Soldaten schon am Pennen waren, rangerobbt ist und aus der Pfanne irgendwelche Reste von Bratkartoffeln gemopst hat.
War Ihr Vater ein guter Geschichtenerzähler?
Daniel Krug: Au ja, der war ein begnadeter Geschichtenerzähler. Und er war auch ein begnadeter Witzeerzähler, der einen höchst mittelmäßigen Witz so gut verkaufen konnte, dass man sich unterm Tisch vor Lachen gekrümmt hat. Da hat er wirklich eine große Begabung gehabt.
Eine Ehefrau muss man nicht mit Witzen beeindrucken. Ich kann mir vorstellen, dass er bei Familientreffen an der Kaffeetafel aber auch sehr munter wurde.
Ottilie Krug: Er war ein bisschen der Wortführer. Er war der Mittelpunkt jeder Gesellschaft, weil er so gut erzählen konnte.
Daniel Krug: Er war schon Schauspieler, und, mit einem Augenzwinkern gesagt, Rampensau durch und durch.
Ottilie Krug: Die Frauen suchten einen Platz in seiner Nähe, um zu lauschen, sage ich mal.
Kam da der Rest der Familie überhaupt zu Wort?
Daniel Krug: Für uns Kinder war das durchaus schwierig. Allein vom Stimmlichen her und seiner Art und Weise, auf den Punkt zu formulieren, war er ein absolut rede- und stimmgewaltiger Mensch. Das war für uns Kinder alles andere als leicht. Widerworte zu geben, das war schon ’ne heikle Kiste.
Wie hat er darauf reagiert? In den 60er-/70er-Jahren wurde anders als heute erzogen.
Daniel Krug: Meine Eltern haben schon sehr früh Literatur in die Hände bekommen, die mit antiautoritärer Erziehung zu tun hatte. Da gab es schon Bemühungen hier und da. Trotz alledem kam insbesondere bei meinem Vater das archaische Denksystem durch, dass er von seinem Vater mitbekommen hatte. Dagegen kann man sich auch nicht wehren. Aber er hat schon sehr stark die eine oder andere Situation reflektiert, auch wenn er das so ohne weiteres, vor allem gegenüber uns Kindern, nicht gesagt hätte.
Ottilie Krug: Ich kam aus einer ganz toleranten Familie. Das war vielleicht der gute Ausgleich.
Was heißt Ausgleich?
Ottilie Krug: Ich habe mich schon sehr dazwischen gemischt, wenn er ausrastete, wenn was war mit den Kindern. Aber du hast schon recht, ihr Kinder hattet es nicht immer leicht.
Sie, Herr Krug, sind eher zufällig auf den Mitschnitt des letzten DDR-Konzerts gestoßen, das Ihr Vater 1977 in Wismar gab. Wie kam es dazu?
Daniel Krug: Nicht wir sind drauf gestoßen. Der Tonmeister der Band, Aki Lehmann, der hat wohl diesen Mitschnitt gemacht oder zumindest in die Finger bekommen und digitalisiert. Und der hat irgendwann Zicke Schneider, der heute noch Schlagzeuger der Band ist – eine ganz liebe Seele –, eine selbst gebrannte CD zugesteckt. Der hat die erst mal in die Schublade gelegt. Nach ’ner geraumen Zeit hat er sie doch mal abgespielt und war ganz baff, was er zu hören bekam. Der hat ein unglaublich gutes Gedächtnis und hat gedacht: Mensch, das ist doch Wismar. Das muss das letzte DDR-Konzert gewesen sein. Jedenfalls ist der mit Herrn Hübenthal (heutiger Manager der Krug-Hommage-Konzerte/Anm. d. Red.) hier vorstellig geworden. Wir haben darüber nachgedacht, ob man das veröffentlichen sollte. Uns war natürlich klar, dass wir bei einer Veröffentlichung beweisen müssen, dass es sich um das letzte DDR-Konzert handelt. Das war alles andere als einfach.
Wie ist Ihnen das gelungen?
Daniel Krug: Es gab keinen Vermerk auf der Aufnahme, nur diese Behauptung. Dann haben wir angefangen, tagelang in Kalendern und Tagebüchern zu wühlen. Wir wussten, dass es Tagebücher gab. Er hat ja ziemlich bald nach der Petition gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann angefangen, jede Nacht Tagebuch zu schreiben. Denn die Repressalien folgten auf dem Fuße. Er hat sich sofort hingesetzt und das verarbeitet. Er hat das alles auch als Rückversicherung gegen eventuelle handfestere Repressalien in Duplikaten an vertrauenswürdiger Stelle ausgelagert. Jedenfalls fanden sich diese Tagebücher nirgendwo. Wo er die verbuddelt hat, weiß kein Mensch. Die würde ich wahnsinnig gern lesen. Nachdem wir zwei, drei Jahre im Westen waren, da war ich 15 oder 16, hat er mir die mal aufs Bett gelegt und gesagt: Hier, damit du weißt, warum wir hier gelandet sind. Da habe ich die mal gelesen. Wir haben tagelang vergeblich gewühlt. Am Ende mussten die Stasi-Akten herhalten, von denen wir einige haben. Die waren natürlich ganz akkurat, die hatten das alles aufgeführt. Einschließlich der Kommentare und Sprüche, die mein Vater von der Bühne herab gekloppt hatte. Die waren alle voller Anspielungen. Da war nicht eine Zeile, die nicht noch eine andere Ebene hatte.
Ottilie Krug: Jedenfalls wusste mein Mann von der Aufnahme auch nichts. Das war ja auch für uns eine Riesenüberraschung. Er hätte sich sicher gefreut, wenn er das noch erlebt hätte.
Frau Krug, Sie waren bei diesem letzten DDR-Konzert dabei. Beim diesjährigen Konzert "Hommage für Manfred Krug" in Wismar haben Sie mir von einer damaligen Begebenheit erzählt.
Ottilie Krug: Ich saß relativ nah an der Ausgangstür, die als einzige etwas offen stand. Da habe ich so getan, als ob ich auf die Toilette gehe und kam an einem Typ vorbei. Der hatte die Tür im Fuß, ein Heft in der Hand und kritzelte. Als ich zurückkam, habe ich gefragt: ¸Was machen Sie hier, schreiben Sie mit?’ Der hat mich angeguckt und kein Wort gesagt. Das war ganz klar: Der schrieb für die Stasi mit.
Haben Sie diese Mitschriften später in den Stasi-Unterlagen gefunden?
Daniel Krug: Das ist die Frage, ob der das gewesen ist. Da waren ungefähr hundert Stasi-Leute im Konzert. Natürlich nicht alles Hauptamtliche. Da waren sicher auch Jungs von den Kampftruppen oder andere dabei, die den Auftrag hatten, schlechte Stimmung zu machen. Aber vielleicht war es genau der. Wie hieß der noch? IM Emil oder so?
Frau Krug, beim Konzert "Hommage für Manfred Krug" im März in Wismar saßen Sie einige Reihen vor mir, sodass ich nicht sehen konnte, wie es Ihnen bei solch einem Konzert geht.
Ottilie Krug: Es war nicht das erste Konzert, bei dem ich war. Wie es mir da geht? Ich finde die ausgewählten Melodien und Texte sehr schön. Ich kann die Texte immer im Kopf mitsingen. Natürlich kommen da Erinnerungen auf. Es ist mir eine Freude, wenn ich sehe, wie unsere Tochter (Fanny/Anm. d. Red.) die Lieder so wunderbar singt. Uschi Brüning, Thomas Putensen – alle sind eigentlich immer besser geworden. Die haben alle noch an sich gearbeitet.
Sie können sich wirklich in solch ein Konzert ganz reingeben? Es werden nicht nur seine Lieder gesungen, sondern auch Fotos von ihm gezeigt. Tut das nicht weh?
Ottilie Krug: Für mich ist es ein großes Glück, wenn ich etwa im Fernsehen meinen Mann spielen sehe. Da kann ich völlig ausschalten, dass das mein Mann ist. Ich habe Spaß dran. Ich weiß genau, welche Sätze er geschrieben, wo er das Drehbuch geändert hat. Ich kann über Witze lachen, die er eingebaut hat. Es tut mir gut. Wenn ich seine Musik höre, laufen bei vielen Liedern Tränen. Ich kann damit aber sein Nicht-mehr-Vorhandensein besser verarbeiten. Ich sitze dabei auf demselben Sofa, auf dem wir damals saßen. Und er fehlt.
Daniel Krug: Im besten Fall hat ein normaler Mensch ein Video von einer Geburtstagsfeier. Wir haben natürlich unglaublich viele Dokumente, die quicklebendig und komisch sind.
Ottilie Krug: Das ist was Besonderes und sehr schön. Das hat mir sehr geholfen und hilft mir immer noch. Ich habe einen reichen Schatz. Das ist auch für die Kinder und Enkel schön.
Daniel Krug: Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass das so etwas Positives ist. Wenn Sie mich vor fünf Jahren gefragt hätten, wie es sein würde, wenn mein Vater mal gestorben ist und im Fernsehen wird etwas von ihm wiederholt, hätte ich wahrscheinlich vermutet, dass mich das viel mehr niederdrücken würde, als es das jetzt tut.
Ottilie Krug: Das hätte ich wahrscheinlich auch gesagt. Aber im Gegenteil. Ich freue mich, gucke. Er ist lebendig, so wie ich ihn zu Hause erlebt habe.
Wie erging es der Familie Krug, als sie im Juni 1977 die DDR verließ und eine neue Heimat in Westberlin fand? Was lösen Krugs Lieder noch heute aus? Darüber lesen Sie im zweiten Teil des Interviews in der morgigen Ausgabe.
Eine Gedenktafel und ein Hommage-Konzert
Der Sänger und Schauspieler Manfred Krug, am 8. Februar 1937 in Duisburg geboren, hat die wichtigsten Jahre seiner Kindheit in Hennigsdorf verbracht.
Bislang war diese Facette seines Lebens in Hennigsdorf wenig präsent. Das soll sich ändern. Am 14. Februar werden Wegbegleiter, Freunde und seine Tochter Fanny mit der Hommage "Manfred Krug – Seine Lieder" im Stadtklubhaus konzertieren. Zuvor wird an dem Block an der Marwitzer Straße, in dem Manfred Krug in der Kriegs- und Nachkriegszeit wohnte, eine Tafel enthüllt.
Karten für 39,90 Euro, ermäßigt 33,90, gibt es in der Hennigsdorfer Stadtinfo. Über das Ticketportal Reservix gibt es keine Karten mehr. rol