Erst während der Sanierung ihres Hauses in der Straße Am See 16 hat Christiane Hoppe erfahren, in was für einem besonderen Gebäude sie lebt. Es ist nicht mehr und nicht weniger als das Haus des Gründers dieser Kunsthandwerkersiedlung, die sich nach und nach am Ruppiner See erstreckte, wuchs, das Leben einiger Menschen nachhaltig veränderte – und schließlich verschwand. "Mir sind mehrmals Menschen aufgefallen, die sich unser Haus angeschaut haben", erinnert sich Hoppe, die neben der Tanzpädagogin Gritt Maruschke und dem Künstler Hendrik Schink den Vorstand des neuen Vereins bildet.
Ein Haus mit Geschichte
Die vielen Interessierten haben sie neugierig gemacht. Hoppe recherchierte, kam in Kontakt zu der ehemaligen Neuruppiner Museumsleiterin Lisa Riedel und erfuhr so langsam, in welch einem Juwel sie lebt. "Es gab damals keinen Denkmalschutz für das Haus", so Hoppe. Aber durch Zufall haben sie und ihr Mann sowieso kaum etwas an dem Gebäude verändert, in das sie im Jahr 2000 einzogen und das 1920 gebaut wurde. "Es ist ein Glücksfall, dass Christiane Hoppe sich dafür interessiert hat", sagt Hendrik Schink. Oft würden Menschen in der ehemaligen Kunsthandwerkersiedlung wohnen und gar nicht wissen, was für ein kunsthistorischer Schatz ihr Heim ist.
Schink selbst hat die Historie von Gildenhall seit 1984 "auf dem Schirm", wie er sagt. In seiner Kunstgeschichts-Abschlussarbeit schrieb der Alt Ruppiner über die Siedlung. "Das Interesse in der Hochschule in Halle war aber nur mäßig", so Schink. 1996 sah das ganz anders aus: Damals hielt der der Künstler einen Vortrag über Gildenhall in Kansas City, zeigte viele Dias. Eine Kunstwissenschaftlerin erkannte sofort Arbeiten von Else Mögelin, einer Malerin und Weberin, die in Gildenhall gelebt hat. "Da wusste ich: Es gibt Verrückte, die etwas darüber wissen wollen. Ich bin am Ball geblieben."
Im Zuge der Vorbereitungen zum Jubiläum "100 Jahre Gildenhall" hat Hendrik Schink mit vielen Menschen gesprochen. "Da kam der Gedanke auf: Wollen wir nicht ein Mittel oder Instrument schaffen, um Gildenhall weiter voranzubringen?" Die Vereinsgründung war beschlossen. Und Schink war überrascht, wie viele Leute gleich mitmachen wollten. 15 Aktive gibt es im Gildenhall-Horizonte-Verein, der sich im November gründete.
Ausstellung im Museum
"Wir sind nicht nur Künstler, sondern auch Bauingenieure, Historiker, Pädagogen und ein Förster", sagt Hendrik Schink. "Die ganze Bandbreite ist vertreten – wie in der kleinen Welt von Gildenhall auch." Die Vereinsmitglieder wollen einige Dinge bewegen, aber etwas ist auch schon passiert, um die ehemalige Kunsthandwerkersiedlung mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Im Museum wird es laut Schink 2021 eine Ausstellung zu deren Geschichte geben. "Wir fragen uns jetzt: Wie können wir die Bevölkerung Neuruppins einbinden?" Das Jubiläum "100 Jahre Bauhaus" in diesem Jahr spiele dem Zusammenschluss dabei in die Hände: "Das Interesse ist da." Architektonisch gebe es mittlerweile nicht mehr viele Überbleibsel in Gildenhall zu sehen. "Wir müssen das Lebensgefühl aufgreifen, die künstlerische Reformpädagogik", sagt Gritt Maruschke.
In der ehemaligen Siedlung gab es Tanz, Theater, Gartenbau und mehr – viele Ansatzpunkte für einen Verein also. Tanzpädagogin Gritt Maruschke kann sich vorstellen, Performances mit Kindern und Jugendlichen zu erarbeiten. "Vielleicht münden sie in einen Künstlerball." Diese Veranstaltungen gab es schon in den 1920er-Jahren. Die Bewohner von Gildenhall verkleideten sich und feierten ausgelassen im Neuruppiner Apollogarten, worüber die Einwohner der Stadt schon mal die Nase rümpften. Maruschkes Hoffnung: Die heutigen Teilnehmer der Performance feiern nicht nur, sondern setzen sich auch mit der Thematik auseinander.
Hendrik Schink ist es wichtig, dass das Jubiläum "100 Jahre Gildenhall" eine gewisse Nachhaltigkeit hat. Der Verein will daher auch ein Anlaufpunkt für Jugendliche sein, die eine künstlerische oder handwerkliche Ausbildung anstreben. "Da werden wir viel mit der Handwerkskammer zusammenarbeiten", so seine Vorstellung.  Hat jemand beispielsweise vor, Design zu studieren, das handwerkliche Knowhow fehlt aber, könnten Schink und seine Mitstreiter Praktika vermitteln. Das gilt für Kunsthandwerker, aber auch für Handwerker. "Die Leute sollen am Ende einfach wissen, was genau sie machen wollen." Vielleicht würde auf diesem Wege auch etwas gegen das Aussterben vieler Kunsthandwerke getan, hofft Monika Meichsner. Die ehemalige Chefin der Jugendkunstschule engagiert sich ebenfalls im neuen Verein. Sie reizt es, Jugendlichen mehr Möglichkeiten an die Hand zu geben.
Anerkennung fehlte
Auch Jan Hofmann ist dabei. Er ist gleichzeitig Vorsitzender des Kreises der Freunde des Bauhauses. "Die Bauhäusler hatten in ihrer eigenen Umgebung mit dem Problem zu kämpfen, dass ihnen die Anerkennung fehlte", erklärt er. Daher sei es wichtig zu versuchen, die Identifikation der Menschen in der Region mit der Idee zu verbinden, die hinter der Reformbewegung stand. Gildenhall als "vergessener Standort" soll wieder ins Licht der Öffentlichkeit rücken. "Viele Länder haben weniger zu bieten als wir hier in Gildenhall", so Hofmann.
Einen ersten Ausflug hat der Verein schon geplant: Es soll in eine Bauhaus-Ausstellung gehen. Nach Spuren aus Gildenhall werden die Mitglieder dort auf jeden Fall nicht lange suchen müssen.

Der Kontakt zum Verein

Der Gildenhall-Horizonte-Verein ist nur per Post erreichbar: per Brief an das Lernstudio Pirone in der Neuruppiner Karl-Liebknecht-­Straße 1.

Schreiben können aber auch bei Christiane Hoppe in der Straße "Am See" 16 in Gildenhall eingeworfen werden.

Der Jahresbeitrag für Mitstreiter beträgt 29 Euro, für Schüler zehn.

Die drei Vorstandsmitglieder sind Christiane Hoppe, Gritt Maruschke und Hendrik Schink.

Im Verein sind 15 Mitglieder aktiv. Weitere Interessierte gibt es aber auch schon. jvo