Sie räumt zwar ein, dass derzeit "gerade in diesem Fall viel spekuliert wird" und sie sich "generell an Spekulationen nicht beteiligt, aber ausschließen kann man es nicht". Das Problem dabei: Die wahre Identität der Frau aus Oranienburg, die nur wenige Wochen nach dem Verschwinden des damals dreijährigen Mädchens aus einer Ferienwohnung in Praia da Luz (Portugal) am 3. Mai 2007 mehrfach und über mehrere Monate hinweg mit dem Hauptverdächtigen Christian B. engen Kontakt hatte, ist den Ermittlern bis heute nicht bekannt.
Rückblick: Im Dezember 2006 verurteilte ein portugiesisches Gericht Christian B. zu einer Ersatzfreiheitsstrafe, nachdem er in einem Jachthafen Diesel gestohlen hatte. Nach seiner Entlassung im Frühjahr 2007 zog B. für wenige Wochen zu einer Freundin nach Dresden, dann nach Augsburg und schließlich zurück nach Portugal. Dort, in Praia da Luz, verschwand kurz darauf Maddie McCann aus einer Ferienwohnung. Der Fall des vermissten Mädchens ging um die Welt.

"Julia" aus Oranienburg als Komplizin des Hauptverdächtigen

Christian B. indes reiste kurz nach der Tat wieder nach Deutschland ein und lebte vo­rübergehend in Hannover in einem Wohnmobil. Sein Plan: Gemeinsam mit einem Bekannten wollte er Drogen nach Sylt schmuggeln, um richtig Geld zu machen. Aus Prozessunterlagen vom Amtsgericht Niebüll (Schleswig-Hol­stein), die der Redaktion vorliegen, geht hervor, dass Christian B. "im Sommer 2007 zwei Kilogramm Marihuana zum Preis von 8000 Euro bei einer ‚Julia’ in Oranienburg" kaufte. "Dieser Name kann aber auch ein Pseudonym gewesen sein", sagt Oberstaatsanwältin Dr. Stephanie Gropp. "Es wurde damals versucht, die Frau zu ermitteln und zu identifizieren. Da sich der Angeklagte im Prozess aber nicht weiter dazu äußerte, konnte die Frau nie ausfindig gemacht werden", so Gropp.
Laut Prozessunterlagen soll Christian B. anschließend "bis zum Frühjahr 2008 in acht weiteren Fällen jeweils mindestens ein Kilogramm Marihuana für jeweils 4000 Euro" in Oranienburg gekauft haben. Am 6. Oktober 2011 verurteilte das Amtsgericht Niebüll schließlich Christian B. wegen Drogenhandels zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Grund für die Bewährungsstrafe: Das Gericht attestierte Christian B. eine "günstige Sozialprognose" und ging davon aus, dass "sich der Angeklagte schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird". Eine Fehleinschätzung, wie sich später herausstellen sollte.
In den darauffolgenden Jahren wurde gegen ihn unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes und des Besitzes von kinderpornografischen Schriften ermittelt. 2019 wurde er wegen der Vergewaltigung einer 72 Jahre alten Frau verurteilt. Wie deutsche und britische Medien übereinstimmend berichten, habe die Polizei zudem in einem Wohnmobil, das Christian B. gehört, sowie auf einem Grundstück in Neuwegersleben (Sachsen-Anhalt), auf dem das Wohnmobil geparkt war, weiteres belastendes Material gefunden. Unter anderem wurden in dem Wagen Mädchen-­Badeanzüge und Kinderkleidung gefunden, außerdem stellten Beamte auf dem Grundstück eine Tüte mit USB-Sticks und Speicherkarten sicher. Laut Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord seien etwa 8000 Dateien gesichtet worden, die "Missbrauch von Säuglingen, Kleinkindern, Kindern und Jugendlichen enthalten". Christian B. selbst soll auf etwa 100 Bildern zu sehen sein.

Christian B. ist derzeit wegen Drogenhandels in Haft

Möglich ist im Zusammenhang mit seinen Drogengeschäften in Oberhavel jedoch, dass Christian B. sich gegenüber der Komplizin aus Oranienburg während des engen Kontakts bis 2008 auch zu dem Verschwinden Maddies geäußert haben könnte – und die "Julia" genannte Frau lediglich aus Angst vor einer eigenen Strafe bezüglich des Drogenhandels schweigt. "Falls dies so sein sollte, kann man natürlich nur hoffen, dass sich die Frau trotzdem dazu irgendwie äußert, wenn auch anonym", so Ariane Feierbach von der Polizeidirektion Nord. Auch weitere mögliche Mitwisser aus den Jahren 2007 oder 2008 aus der Oranienburger Drogenszene könnten vielleicht Details zu dem Schicksal des britischen Mädchens kennen. "Man weiß ja nie, über was bei den Drogengeschäften vor Ort möglicherweise sonst noch gesprochen wird", so Feierbach. Neue Ermittlungserfolge in diesem Fall gebe es aber bislang nicht. Allein die Hoffnung bleibt.
Derzeit sitzt Christian B. eine Gefängnisstrafe wegen Drogenhandels in der JVA Kiel ab, diese läuft regulär noch bis 2021. Der mehrfach verurteilte Sexualstraftäter hat in dieser Woche jedoch einen Antrag auf Haftentlassung gestellt, er will den Rest seiner Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen lassen. Stephanie Gropp hat jedoch bereits angekündigt, dass die Staatsanwaltschaft Flensburg diesem Antrag widersprechen wird.

Was geschah am 3. Mai 2007?

Am Abend des 3. Mai 2007 essen Kate und Gerald McCann in einem Restaurant in ihrer Ferienanlage in Praia da Luz. Ihre KinderMaddie (3) sowie die Zwillinge Amelie und Sean (beide 2) schlafen rund 50 Meter vom Lokal entfernt im Appartment. Gegen 22 Uhr schaut Kate McCann nach den Kindern und bemerkt Maddies Fehlen. Ein zuvor geschlossenes Fenster ist unverschlossen. Sie rufen die Polizei. Seither gilt Maddie als vermisst. oti