Hoch konzentriert sitzen Melanie, Kaspar und Jakob über ihren Skizzenblättern, den Stift fest in der Hand. Auf dem Tisch vor ihnen liegen Bücher ausgebreitet, voll mit geometrischen Formen. Bei näherer Betrachtung entpuppen sie sich als kreativ gestaltete Buchstaben, manche blasenartig rund, andere mit schwungvollen Linien, die sich in kantig-spitzen Ecken treffen. Daneben ein bunter Haufen Fotografien von mit Spraydosen verzierten Wänden.
Los geht es mit Arbeit an den Skizzen
So sieht es aus, wenn im Jugendclub Bötzow ein Graffiti-Workshop veranstaltet wird. Noch sind die Spraydosen im Karton. Der 17-jährige Kaspar beugt sich für einen Moment zurück und betrachtet seine zu Papier gebrachten Buchstabenvariationen. „Ich glaube, ich denke etwas zu komplex.“
„Am Anfang ganz normal“, erwidert Graffiti-Künstlerin und Workshop-Leiterin Cornelia Kohn. Sie ist an diesem Donnerstag extra aus Kiel angereist, um den Oberkrämer Jugendlichen einen gekonnten Umgang mit Spraydosen zu vermitteln. Doch bevor es an Dinge, wie den richtigen Abstand zur besprühten Oberfläche oder die Technik gleichmäßiger Linienführung geht, wird klassisch mit Stift und Papier gearbeitet.
Gestaltung der Buchstaben ist wesentlich
Toleranz, Akzeptanz und Miteinander sei dabei das Thema, erklärt die 44-jährige Graffiti-Künstlerin. Als Hauptschlagwort dient „Home“, das englische Wort für Zuhause. Ein Begriff über den zunächst gemeinsam nachgedacht wurde. „Das war toll, weil sie für sich erkannt haben, dass es nicht an einen Ort gebunden ist, sondern an ein Gefühl. Die richtigen Menschen, die richtige Umgebung“, freut sich die Kielerin über die teilnehmenden Jugendlichen.
Um dem Gefühl später auch Ausdruck verleihen und das zu sprühende Wort entsprechend darstellen zu können, gehe es zunächst darum, die Buchstaben entsprechend zu gestalten – „Lettering“ heißt dies im Sprayer-Jargon. „So lernt man das Wort nochmal neu kennen.“
Jugendliche wollen Pavillon selbst neu gestalten
Ziel des Graffiti-Workshops ist es, den Pavillon sowie eine eigens dafür aufgestellte Graffiti-Wand vor dem Jugendclub neu zu gestalten. Nicht zuletzt der als Treffpunkt beliebte Pavillon ist in der Vergangenheit bereits mehrfach mit Spraydosen bearbeitet worden. Von Kunst konnte bisher allerdings kaum die Rede sein. In der Hoffnung, den profanen Schmierereien entgegenzuwirken, soll die Holzkonstruktion mit einem großen Graffiti neu gestaltet werden, erklärt die Oberkrämer Jugendkoordinatorin, Silvia Hinze.
Die Idee dazu kam von den Jugendclub-Besuchern und jetzigen Workshop-Teilnehmern selbst. Diese wollten sich die Pauschalierung, „die Jugendlichen“ seien Schuld an den Schmierereien, nämlich nicht ohne Weiteres gefallen lassen. Bereits im August, bei hochsommerlicher Hitze, haben sie den Pavillon deshalb neu gestrichen.
Im Anschluss wurden mit Hilfe von Fördermitteln die Dienstag installierte Wand und Spraydosen angeschafft. „Dass es nicht nur Schmiererein gibt, sondern mit Graffiti auch schöne Sachen gemacht werden können, darum geht es in dem Workshop“, sagt Silvia Hinze. Aus der Not soll also eine Tugend werden.
Mit Graffiti Gefühlen Ausdruck verleihen
In welchen Farben und mit welcher Art Buchstaben der Platz vor dem Jugendclub am Ende des Workshops neu erstrahlen wird, sei noch völlig offen, meint Künstlerin Cornelia Kohn, die erst jüngst an der Neugestaltung eines Pavillons in Velten beteiligt war. Kaum weniger wichtig sei es, den 17- bis 20-jährigen Teilnehmern beizubringen, sich mit Hilfe von Graffiti selbst zu verwirklichen und Spaß zu haben. „Du kannst damit zur Ruhe kommen und dich ausdrücken. Jeden Gemütszustand abarbeiten.“ Der guten Stimmung im Bötzower Jugendclub an diesem Donnerstag nach zu urteilen, dürfte also mit einem freudig gestaltetem Graffiti zu rechnen sein.