Unklar ist, wie der Mann von der Grünen Insel in preußische Dienste gelangte. Dass Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. für seine Leibgarde in ganz Europa nach riesigen Männern Ausschau halten ließ, ist dagegen bekannt. Es ist also nicht so, dass es unter den Preußen übermäßig viele Riesen gegeben hätte. Allerdings existierte etwa ein Jahrtausend zuvor ein westslawischer Stammesverbund, der als Wilzen in die Geschichte einging. Einige meinen, der Name leite sich von der slawischen Bezeichnung für groß her. Das ist durchaus denkbar. Im Polnischen etwa steht wielki für groß.
Bekanntlich ist auch die märkische Sagenwelt voll von Riesen. Außer Hügel, die sie aufgeschüttet haben sollen, gibt es allerdings keine Spuren von ihnen. Nicht einen Knochen! Doch vor 2.028 Jahren, so ist es aus dem Römischen Reich überliefert, kam es an der Elbe zur folgenreichen Begegnung eines Heerführers mit einer ziemlich großen Frau. Geschichtsschreiber Cassius Dio berichtet davon.
Es handelte sich demnach um eine riesenhafte germanische Seherin, die sich an der Elbe dem Drusus entgegenstellte. Das war im Jahr 9 vor Christus. Die Betonung liegt hier auf "riesenhaft". Einem Drusus von etwa 1,50 bis 1,60 Meter Körperhöhe dürfte schon eine Frau von 1,70 Meter sehr groß erschienen sein. Da die Germanen generell die Römer bei der Körpergröße um etwa eine Kopflänge überragten, sollte eine 1,70 Meter große Frau noch nicht als riesenhaft gegolten haben.
Man muss sich nur mal vorstellen, wie steil nach oben der Drusus hätte sehen müssen, wäre ihm ein Mann wie James Kirkland gegenüber getreten. Dieser Ire ist übrigens nicht der einzige Riese von der Grünen Insel. Ein paar Jahrzehnte nach ihm stellte sich Charles Byrne in London zur Schau. Anhand seines erhaltenen Skeletts weiß man um Byrnes Körpergröße von etwa 2,30 Meter.
Sehr wahrscheinlich litten auch die beiden Iren unter Gigantismus, das ist Riesenwuchs, der möglicherweise bei beiden in den Genen steckte. Dass James Kirkland und Charles Byrne den selben Vorfahren haben könnten, ist zwar denkbar, aber nicht nachzuweisen, da Kirklands Gebeine nicht erhalten sind. Dank Byrnes Skelett kam die Wissenschaft (Queen Mary Universität of London und Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz) vor etwa acht Jahren einer Gen-Mutation auf die Spur. Auf www.spiegel.de findet sich noch ein diesbezüglicher Beitrag von damals.
Demnach fand man heraus, dass Charles Byrne dieselbe Mutation in sich trug, wie sie bei heute lebenden irischen Patienten vorkommt. Berechnungen hätten ergeben, dass die ursprüngliche Mutation vor etwa 1.500 Jahren erfolgt sei und seither von einer auf die andere Generation weitergegeben werde.
Da Riesenwuchs kein irisches Phänomen ist, sondern weltweit auftritt, könnte es zu Mutationen und Vererbungen auch in Mitteleuropa gekommen sein, wo die Nachwelt von den Gebeinen eines extrem großen Menschen erfahren hat. Dieser war - glaubt man der Überlieferung des Brandenburgers Georg Sabinus (1508-1560) - auf dem Marienberg begraben. Immerhin war Sabinus 1544 Gründungsrektor der Universität zu Königsberg. Also kein Spinner, wie man wohl meinen sollte.
Seine Überlieferung nahm der Historiker und Gymnasiallehrer Moritz Wilhelm Heffter (1792-1873) in seine 1840 erschienene "Geschichte der Kur- und Hauptstadt Brandenburg" auf. Wie darin zu lesen ist, handelte es sich bei dem Toten vom Marienberg um einen slawischen Fürsten. Seine Größe sei bezeugt durch Gebeine, "welche in den Gräbern liegen; denn zu meiner Zeit sind heimlich die Grabmäler auf Befehl des Brandenburgischen Bischofs Hieronymus geöffnet worden, in deren einem so große Gebeine gefunden worden sind, dass die Schienbeine derselben bis zur Hüfte eines Menschen von mittelmäßiger Statur gingen". Heffter frohlockte: "Ein so riesiges Geschlecht bewohnte ehemals unsere Fluren!".
Übermenschliche Größe
Die Begegnung des römischen Heerführers mit der Seherin an der Elbe findet auch im Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Erwähnung (Johanns Hoops/1865-1949). Hier ist von einer Frau mit übermenschlicher Größe die Rede. Sie hatte dem Drusus offenbar weismachen können, dass ihm weiteres Vordringen vom Schicksal nicht bestimmt sei. Er kehrte tatsächlich um.