Bis zur Wende wurden dort Blumen und Gemüse im großen Stil angebaut. Das Schweizerhaus war Teil des Volkseigenen Gutes Gartenbau Wollup. Die Flächen, einschließlich der Gewächshäuser, wurden intensiv genutzt. In mehreren Gebäuden, auch im Schweizerhaus, wohnten Mitarbeiter des Betriebes, auch die Oma von Marion Krüger. "Ich habe als Kind hier viel Zeit verbracht", erzählt die Seelowerin. "Aber kaum jemand wusste etwas über diesen geschichtsträchtigen Ort." Die Großeltern hätten erzählt, dass das Gelände einst einem Juden gehörte. Ergründet hat dieses Kapitel zu DDR-Zeiten niemand.
Mit der Wende schlossen sich die Tore des Gartenbaubetriebes, die Treuhand wickelte das Gut ab und es gab zudem einen Restitutionsanspruch der Erben von Hugo Simon. Der Berliner Bankier und Kunstmäzen hatte das Areal 1919 erworben, entwickelte es gemeinsam mit dem Gartenbauarchitekten Alfred Kutter zu einem in der Mark Brandenburg einmaligen Mustergut mit Edelobstanbau, Gemüsepflanzungen, Geflügelfarm sowie Kaninchen-, Schweine- und Waschbärenzucht. Im gleichen Maße schufen Simon und Kutter einen Ausflugs- und Sehnsuchtsort mit öffentlich zugänglichen Parkanlagen, Orangerie, Bienen- und Försterhaus, Skulpturen und vielen Rückzugsorten.
Das Schweizerhaus lockte nicht nur die Menschen der Region, sondern auch viele Berliner an. Größen der Weimarer Republik wie Harry Graf Kessler, Aristide Maillol, Albert Einstein, die Mann-Brüder, Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky oder Max Liebermann waren zu Gast. Renée Sintenis, die Erschafferin des Berliner Bären, fertigte die Bronzeskulptur "Esel von Seelow" für Simon, August Gaul die Figur "Tanzender Bär" und Arthur Storch den Porzellan-Hirscheber.
All das verschwand nach 1933, als Simons jüdische Familie ins Exil flüchten musste, zunächst in Paris lebte und schließlich in Brasilien mit einer neuen Identität noch einmal von vorn begann. Ein großer Teil der Anlagen wuchs förmlich zu, die Treppenaufgänge und Begrenzungen aus Rüdersdorfer Kalkstein, Brunnen, Terrassenanlagen, Eiskeller. Seit 2010 hebt der 2007 gegründete Verein Schweizerhaus schrittweise die alten Schätze. Nach 20 Jahren hatte die Natur auch die letzten historischen Zeugnisse überwuchert.
"Wir wollten hier wieder einen öffentlichen Natur- und Erlebnisort schaffen", erzählt Marion Krüger. Mit viel Muskelhypothek räumten Mitglieder und Sympathisanten in unzähligen Einsätzen bergweise Schutt und Erde weg, legten Sichtachsen frei, begannen mit ersten Sicherungsarbeiten am Schweizerhaus und am Nachbau von Goethes Gartenhaus in Weimar. Hugo Simon hatte es einst in Verehrung des Dichters als Gästehaus errichten lassen.
2012/13 wurde das Trafohaus, das das Mustergut mit Strom versorgte, mit seinen Laubengängen saniert. 2016 bis 2018 ging es an das Herzstück, das dem Areal seinen Namen gab. Im September 2018 wurde das Schweizerhaus nach aufwändiger Renovierung als neue Kultur- und Begegnungsstätte eingeweiht, zog wieder Leben in das architektonische Kleinod. Lesungen, Konzerte, Empfänge und kleinere Veranstaltungen finden hier statt.
Im Obergeschoss befindet sich eine Dauerausstellung "Vom roten Bankier zum grünen Exilanten", die über Leben und Wirken Hugo Simons berichtet. Die Zusammenarbeit mit dem Moses Mendelssohn Zentrum kam auch durch den Urenkel Simons, dem Brasilianer Raffael Cardoso, zustande. Dessen Familie wusste lange nichts von ihren deutschen Wurzeln. Der Hochschulprofessor und Buchautor recherchierte, ist heute ein enger Vertrauter des Vereins, dem er dankbar ist für die Bewahrung des Simonschen Erbes.
Er ist ebenso förderndes Vereinsmitglied wie mehrere Enkel von Alfred Kutter. Momentan sind die Seelower Akteure etwas gebremst. "In diesem Jahr mussten wir alle Termine wegen Corona absagen. Das schmerzt und wirft uns auch mental zurück", gesteht die Vorsitzende.
Seit Mitte Juni ist zumindest jeden Sonntag das ehrenamtlich betriebene Sammeltassen-Café in der ebenfalls vom Verein sanierten Kulturscheune wieder geöffnet, werden dort bis zu 80 Besucher beköstigt, die nach Belieben das Areal erkunden können. Überall informieren Tafeln über Gebäude, von denen teilweise nur die Grundmauern freigelegt werden konnten. Auch wochentags lädt das weitläufige Areal zu Spaziergängen ein, auf Anmeldung gern mit Führung.
In diesem Jahr sollten die Arbeiten am Goethehaus starten, in dem ein kleines Museum sowie Fremdenzimmer entstehen sollen. Die Arbeiterhäuser sollen als Herberge hergerichtet werden und man will im Sinne Hugo Simons auch die landwirtschaftlichen Flächen entwickeln, sucht nach Partnern, die sie ökologisch nutzen. Man brauche einen langen Atem, gesteht die Vereinsvorsitzende. "Aber es ist spannend und immer wieder gibt es Überraschendes", steht für Henryk Friedrich fest.
Er ist seit 2009 der Mann vor Ort, dirigiert die das ganze Jahr über anstehenden Pflege- und Instandhaltungsarbeiten, spricht Termine ab, wirbt für Unterstützer. Die braucht der 60 Mitglieder zählende Verein, davon die Hälfte passive Förderer. Die Stadt legte mit dem Erwerb des Areals 2010 den Grundstein für diese Entwicklung. 2019 stimmte die Stadtverordnetenversammlung dem Verkauf an den Verein zu, womit wiederum die Voraussetzungen für die Gründung einer Stiftung geschaffen wurden.
Über diese soll der Betrieb und die Entwicklung auf Dauer gesichert werden. In der Reemtsma-Stiftung haben die Seelower bereits einen sehr prominenten Förderer gefunden. Auch die Sparkasse hat verschiedene Projekte bereits unterstützt. "Aber wir sind zu weit von Potsdam entfernt", steht für Henryk Friedrich fest. "Zu wenige kennen die Geschichte und die großen Potentiale dieses Geländes."
Hugo Simon
Hugo Simon (1880-1950) ist Sozialdemokrat und Pazifist, Finanzminister und Kunstmäzen in der Weimarer Republik. Der Gründer einer Berliner Privatbank verkehrt mit Harry Graf Kessler, Aristide Maillol und Albert Einstein, mit Thomas und Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, Bertolt Brecht und Kurt Tucholsky, mit Max Liebermann und Else Lasker-Schüler. 1919 kauft er das Gelände des Schweizerhauses bei Seelow und errichtet dort ein landwirtschaftliches Mustergut. Bald zieren Kunstwerke den Park, so auch der "Esel von Seelow" von Renée Sintenis, die Bronzefigur "Tanzender Bär" von August Gaul oder die Großporzellanplastik "Hirscheber" von Arthur Storch. 1933 wird Simon von den Nationalsozialisten enteignet und flieht mit seiner Familie in die Schweiz, später über Frankreich nach Brasilien, wo er 1950 stirbt.
Info: www.heimatverein-seelow.de