Da wohnt man jahrelang Tür an Tür, hat kaum drei Worte miteinander gewechselt, aber wünscht sich den Austausch. Oder man hat diese eine Idee, die man gern mit Gleichgesinnten umsetzen möchte – doch bloß wo? Für all jene und weitere Interessierte öffnet am Freitag, 9. Juni, ein Nachbarschaftsraum in Strausberg seine Türen.
In der August-Bebel-Straße 21, wo Strausbergs Straßenbahn 89 vorbeifährt und die Altstadt nicht weit ist, soll ab 19 Uhr der neue Treffpunkt vorgestellt werden – mit Sektempfang, Fingerfood und Filmvorführung. „Ich glaube, in dieser Art gibt es so etwas in der Stadt noch nicht“, sagen Sophie und Peps, die es bei ihren Vornamen belassen möchten. Sie gehören zu einem siebenköpfigen Team, das den Raum „pflegt“, wie sie es augenzwinkernd nennen. Denn das Organisieren von Treffen und Veranstaltungen wollen sie bewusst den Akteurinnen und Akteuren, die den Raum künftig bespielen sollen, überlassen.
Barrierefrei, 74 Quadratmeter und mit Platz für 40 Sitzmöglichkeiten
Apropos Raum: Der befindet sich im Erdgeschoss des Hausprojekts Allerhand, das Mehrgenerationenwohnen zu bezahlbaren Mieten ermöglicht. „Inzwischen sind alle Wohnungen belegt“, verrät Lydia, die sich ebenfalls für den rund 74 Quadratmeter großen Nachbarschaftsraum engagiert. Barrierefrei erreichbar, in zwei Zimmer aufgeteilt, sodass auch parallel zwei Treffen stattfinden können, und mit Sitzmöglichkeiten für 40 Menschen ausgestattet – soweit die Eckdaten von Julie, wie der Nachbarschaftsraum getauft wurde. Ein Klavier steht bereits im größeren Zimmer bereit, Beamer sowie Leinwand können auf Wunsch genutzt werden. Komplettiert wird der Raum durch einen kleinen Küchenbereich mit Kaffeemaschine, Tresen und Kühlschrank. Und auch das Bad ist ohne Barrieren erreichbar.
Chor und Theatergruppe wollen sich im Julie treffen
Die ersten „Versuchskaninchen“, wie sie scherzhaft genannt werden, waren schon da und haben den Nachbarschaftsraum getestet. Ihr Fazit: Im Julie könnte es noch etwas gemütlicher werden und die Akustik sollte in den Räumlichkeiten verbessert werden. „Da sind wir dran“, verspricht Lydia, die künftig mit einem Chor im Raum singen wird. Im Repertoire sind sonntags um 12 Uhr linke Arbeiterlieder, wie sie verrät. Des Weiteren hat sich eine Theatergruppe gefunden, die im Raum proben möchte.
„Ab Juli wird es dann jeweils am ersten Donnerstag im Monat einen Pizza-Abend geben“, berichtet Sophie. Dabei sollen Nachbarinnen und Nachbarn die Möglichkeit haben, sich in entspannter Atmosphäre auszutauschen. Die Pizzastücke gibt es gegen eine Spende: „Ob jemand 50 Cent oder vier Euro bezahlen kann, spielt keine Rolle. Wir wollen, dass alle teilnehmen können, egal wie viel Geld sie haben“, betont Peps und weist auf das Umsonst-Regal.
Gut erhaltene, gewaschene Kleidung, Bücher und andere funktionierende Gegenstände können im Nachbarschaftsraum abgegeben werden und finden so vielleicht Interessenten, die sie gebrauchen können – ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit. „Doch komplett voll stellen wollen wir den Raum nicht“, fügt Peps hinzu. Nur so viel, wie auf Kleiderstange und in das Regal passt, wird abgenommen.
Mit der Nachbarschaft sollen weitere Nutzungsideen entstehen
Die „MieterInneninitiative Strausberg“ sowie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten in MOL (VVN-BdA) haben bereits ebenfalls Interesse am Nachbarschaftsraum, der vom gemeinnützigen Verein betrieben wird und mit Fördermitteln entstand, angekündigt. „Wir freuen uns darüber, Julie endlich der Öffentlichkeit zu zeigen und hoffen, dass sich unser Raum mit Leben füllt.
Neben Filmabenden und Lesungen wollen wir auch politischen und sozialen Initiativen die Chance geben, unseren Raum für ihre Treffen zu nutzen. Über weitere Ideen und Unterstützer und Unterstützerinnen aus unserer Nachbarschaft freuen wir uns sehr“, sagt Eva im Hinblick auf den Eröffnungsabend am 9. Juni. Es seien die Ideen aus der Nachbarschaft, die Julie weiterentwickeln sollen.
Namensgeberin ist eine engagierte Sozialdemokratin
Und warum trägt der Treffpunkt den Namen Julie? „Das war die Frau von August Bebel. Da wir uns in der nach ihm benannten Straße befinden, haben wir uns gedacht, warum nicht auch an sie erinnern“, so Peps. Über die Frau des Sozialdemokraten sei zwar nicht viel bekannt, aber sie – selbst überzeugte Sozialdemokratin – war Gründerin des Bildungsvereins für Frauen und Mädchen in Berlin und soll Familien von inhaftierten Parteigenossen zu Zeiten des Sozialistengesetzes geholfen haben.
Ganz im Geiste der Namensgeberin wird es zum Auftakt im Julie auch politisch: Der VVN-BdA steuert zu den jetzt bereits aufgehängten Bildern von Gerald Steenweg eine Ausstellung zur Thema Neofaschisten in der Region bei und der Film „Rise Up“ wird gezeigt, der fünf Aktivisten und Aktivistinnen bei ihren gesellschaftlichen Kämpfen weltweit begleitet.
Wer Kontakt zum Nachbarschaftsraum Julie aufnehmen möchte, kommt zur Eröffnung am Freitag, 9. Juni, ab 19 Uhr oder schreibt eine E-Mail an [email protected].