Christian Ahnsehl war 15, als er zum IM wurde. Der Vater in der SED, die Mutter in der Kirche. "Es gab ständig Streit" erzählt Ahnsehl. Die Rostocker Plattenbausiedlung bietet vor allem Tristesse. Im Sommer des Jahres 1985 schreibt er mit Farbe und Pinsel ein paar Worte an die Wand seiner Schule. "Steht auf. Wacht. Auf. Befreit Euch. Ich will leben." Die von der Stasi aufbewahrten Bilder sind im Film zu sehen. "Das war nicht politisch gemeint", sagt der 1970 geborene Philosoph und Musiker. Den "Tschekisten" vom MfS ist das egal. Die haben den Jungen ohnehin schon auf dem Kieker. Die Kontakte zur Kirche machen Ahnsehl für die Stasi interessant. Der fühlt sich hin-und hergerissen. Ernst genommen, einerseits.  Die Geheimdienstler rauchen mit ihm und hören dem 15jährigen zu. "Die Stasi war total freundlich zu mir", sagt Ahnsehl. Aber auch der Teenager weiß, dass man mit dem MfS besser nichts zu tun hat. Er fürchtet, entdeckt  zu werden. Seinen Vater lügt er an, als der ihn direkt fragt. Als Christian eher versehentlich ein Wort über den eigenen Bruder entschlüpft, fährt ihm der Schreck in die Glieder. Nach neun Monaten Gesprächen mit seinem Führungsoffizier steigt er aus der Spitzel-Maschinerie aus.
Die Tür zu diesem Ausweg war für Anna Frieda Schreiber verschlossen. Ihre Eltern arbeiteten beide der Stasi. Jeden Sommer fährt sie als Kind in ein Ferienlager des "Organs", wie das Ministerium bei ihr zu Hause genannt wurde. "Das war eher so etwas wie vormilitärische Ausbildung" sagt Schreiber. Über die Leinwand rollen kleine, aber funktionstüchtige Panzer, die von Kindern gefahren  und von Gleichaltrigen mit Pistolen beschossen werden. Selbst für DDR-Verhältnisse war das gruselig. Die Frau aus Hallesagt heute: "Das war eine Zeit, die ich nie wieder haben will." Kurze Pause. "Ist nur blöd, dass es die eigene Kindheit war. "
Anna Frieda wird 1968 als Andreas Schreiber geboren.Dass er angeblich schon mit 14 den Wunsch hat, Offizier zu werden, erfährt er Jahre später aus den Stasiakten. Seine Eltern hatten entsprechende Zusagen gemacht. Mit 16 unterschreibt er eine "Bereitschaftserklärung" bei der Stasi. Ein Jahr später lernt er Kerstin kennen, seine große Liebe. Auch sie arbeitet für das MfS. Ihnen kommen bald Zweifel, den Absprung schaffen sie nicht. Anna Frieda sagt, sie empfände heute "tiefe, tiefe Trauer". Die beiden sind noch zusammen. Sie haben drei Kinder. Nach dem Film fragt ein BILD-Reporter, ob die Verwandlung zur Frau etwas mit der Stasi-Zeit zu tun hatte. Schreiber ist fassungslos. "Wie kommen Sie denn da drauf", fragt sie zurück.
In dem  großartigen, tiefgründigen und sehr menschlichen  Film der Uckermärkerin Kathrin Matern kommenzwei weitere ehemalige Angeworbene zu Wort. Sascha Kriese fällt in Neustrelitz durch Graffiti auf. Seit er 12 ist registriert ihn die Stasi.  Aber er hat Eltern, die sich den Menschenfängern in den Weg stellten. Bei Andrej Holm war das anders. Der spätere Berliner Fast-Staatssekretär hat eine ähnliche Geschichte wie Anna Frieda Schreiber. Mit 14 dockt Holm bei der der "Firma" an. Seine Eltern haben das in die Wege geleitet. Er sagt, mit 14 "habe man wenig Spielräume in einer solchen Situation gehabt." Als Erwachsener wird er hauptamtlicher Mitarbeiter.
Es gib viel Beifall für den Film im vollbesetzten Saal der Stiftung Aufarbeitung. Bei der Podiumsdiskussion erklärt der Historiker Kowalczuk, dass es viel weniger minderjährige MfS-Mitarbeiter gab, als manche annehmen. Schätzungen gehen von 1300 aus, Kowalczuk hält eher 500 Angeworbene für seriös. "Auch für die Stasi war die Rekrutierung von Minderjährigen keine Alltagsarbeit". Was aus seiner Sicht das Verbrechen nicht kleiner macht.
Und dann wird aus dem Publikum heraus die Frage gestellt, ob sich die damals Angeworbenen als Täter oder als Opfer sehen. "Beide Begriffe sind schwierig", sagt Christian Ahnsehl.Anna Frieda Schreiber meint: "Jeder, der für die Stasi gearbeitet hat, war ein Täter." Andererseits wäre sie auch Opfer gewesen.Ilko Sascha Kowalczuk hält offenbar nicht viel von dem anklagenden Ton gegenüber Menschen, die vor der Volljährigkeit mit der Stasi zusammengearbeitet haben. Wenn schon über Täter und Opfer gesprochen werde, dann gelte auch: "Schon das Schweigen in der Schule machte in der Diktatur die Schweigenden zu Mittätern."
Der Film läuft am 6. November 2019 um 22 Uhr im NDR.

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