In der neuen Urban Tech Republic in Berlin-Tegel sieht man Studierende, Start-up-Mitarbeitende und Besucher über das ehemalige Flughafengelände schlendern. An der Fassade des Towers, der nun Aussichtsturm ist, hängen Freitzeitkletterer an Seilen. Statt Flugzeugen sieht man ab und zu ein Flugtaxi oder eine Paketdrohne über dem ehemaligen Airport im Norden Berlins schwirren.
Über die große Treppe, an der früher BVG-Busse die Fluggäste entließen, gelangt man auf den „Balkon der Republik“, einer Art Seepromenade mit Bänken und Gastronomie. Der riesige Parkplatz, auf dem die Taxifahrer in langen Reihen auf den nächsten ankommenden Ferienflieger warteten, ist nun ein von Schilf umgebener Regenwassersee.

Infocenter zur Zukunft Tegels

Noch kann man nur virtuell durch das neue Stadtquartier auf dem Ex-Flughafengelände spazieren. Die Zukunftsbilder flimmern über große Bildschirme im neuen Infocenter TXL, das Mitte April am Rande des berühmten Hexagons in der Nähe der Bushaltestelle General-Ganeval-Brücke eröffnet hat, in der Nähe der ehemaligen Anzeigetafel, auf der Autofahrer schon vorher schauen konnten, auf welchem Terminal der Urlaubsflieger startet.
In dem schmucklosen ehemaligen Verwaltungsgebäude des Flughafens sitzen auch die Mitarbeiter der Tegel Projekt GmbH, was ein großer Vorteil ist, denn so stehen sie auch selbst Besuchern des neuen Infocenters Rede und Antwort. „Das machen wir gerne, denn die Ausstellung ist nicht immer selbsterklärend“, sagt Sara Sperling, die bei den Tegel-Entwicklern unter anderem für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist.
Sara Sperling, bei der Tegel Projekt GmbH zuständig für Öffentlichkeitsarbeit, beantwortet in der multimedialen Ausstellung im Infocenter TXL auch gerne selbst Fragen.
Sara Sperling, bei der Tegel Projekt GmbH zuständig für Öffentlichkeitsarbeit, beantwortet in der multimedialen Ausstellung im Infocenter TXL auch gerne selbst Fragen.
© Foto: Maria Neuendorff
Um zu zeigen, wie man in der kleinen multimedialen Ausstellung selbst aktiv eine Zeitreise unternehmen kann, nimmt sie eines der Tablets in die Hand und scannt damit Teile des Modells des rund 500 Hektar großen Ende 2020 stillgelegten Flughafengeländes.
Über einen Zeitraffer auf dem Tablet können sich Besucher auch historische Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus der Vergangenheit anschauen, als Tegel vor allem in der Zeit des Kalten Krieges als der West-Berliner Innenstadtflughafen seinen Mythos entwickelte, oder sich eben am gleichen Ort in die Zukunft als grün-smartes Stadtquartier von morgen beamen. An einem der Multi-Touch-Tablets kann man auch erfahren, wer sich jetzt schon angesiedelt hat.

Ferngesteuerte Autos auf dem Rollfeld

Seit Ende 2021 nutzt zum Beispiel die Vay Technology GmbH Werkstätten und Garagen sowie Experimentierflächen auf dem ehemaligen Rollfeld für die Weiterentwicklung ferngesteuerter Autos. Mit einer neuen Telefahr-Technologie sollen Kunden künftig per App ein elektrisches Fahrzeug bestellen können, das innerhalb weniger Minuten – fahrerlos und ferngesteuert – vorfährt. Die Kunden können dann selbst zum Ziel fahren und nach der Ankunft das Auto verlassen, ohne es parken zu müssen.
Auch EasyMile tüftelt in dem künftigen Forschungs- und Industriepark schon an Software- und Komplettlösungen für den fahrerlosen Personen- und Güterverkehr. Die BIT GmbH, ein junges Technologieunternehmen, entwickelt dagegen Prototypen für Batterien und 3-D-Druck.

1000 Firmen und 5000 Studenten

Die 1000 Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die sich als Zwischennutzer oder spätere Langzeit-Anrainer einmieten, müssen allerdings aus bestimmten Bereichen wie zum Beispiel klimaneutrale Energiegewinnung und umweltfreundliche Mobilität kommen. „Zu den bevorzugten Sparten gehören auch die Themen sauberes Wasser und Recycling, der Einsatz neuer Materialien für Anwendungen wie nachhaltiges Bauen, sowie die vernetzte Steuerung von Systemen“, erklärt Sara Sperling.
Die Firmen sollen sich künftig auch mit den Forschern und rund 5000 Studenten der staatlichen Berliner Hochschule für Technik (BHT) vernetzen, die wahrscheinlich ab 2028 sukzessive in das Terminal A ziehen wird. Die Vorbereitungen für die Umbauarbeiten konnten erst vor kurzem begonnen werden, nachdem Kriegsflüchtlinge des Ankunftszentrums TXL vom Terminal A und B in große provisorische Zelte auf dem Flugfeld umquartiert werden konnten.
Auf den Animationen im Infocenter sieht man Studenten durch das sechseckige ehemalige Abfertigungsgebäude laufen, in dem verschiedene Hörsäle und Labore eingerichtet wurden. Reinigungsroboter fahren durch die langen Gänge. In die ehemaligen Gangways, die wie Krakenarme aus dem Hauptgebäude auf das Rollfeld ragen, sind moderne Forschungslabore eingezogen. Die Mitarbeiter der künftigen Start-ups wischen über Glasbildschirme, während hinter ihnen smarte Greifarme neue Prototypen zusammensetzen.
Was in der Urban Tech Republic künftig entwickelt wird, könnte gleich weiter im neuen Wohnquartier zur Anwendung kommen. In dem größtenteils autofreien Schumacher-Quartier mit 5000 neuen Wohnungen ist unter anderem ein 60 Meter hohes Holzwohnhaus geplant. Auch die restlichen Gebäude des neuen Stadtviertels sollen jeweils zu mindestens 50 Prozent aus Holz bestehen.
Visualisierung des künftigen Schumacher Quartiers am Rande des stillgelegten Flughafens Berlin-Tegel. Dort sollen unter anderem rund 5000 Wohnungen größtenteils in Holzbauweise entstehen.
Visualisierung des künftigen Schumacher Quartiers am Rande des stillgelegten Flughafens Berlin-Tegel. Dort sollen unter anderem rund 5000 Wohnungen größtenteils in Holzbauweise entstehen.
© Foto: Tegel-Projekt-GmbH_rendertaxi
Das Material kommt direkt aus den Berliner Forsten, erklärt Sara Sperling. Denn dort würde derzeit im Rahmen des Waldumbaus sowieso ordentlich abgeholzt. Um die monotonen hiesigen Kiefernwälder in Zeiten des Klimawandels vor dem Dürretod zu bewahren, sollen sie bis 2050 zu resistenteren Mischwäldern umgepflanzt werden.
Die Holzbau-Ambitionen im künftigen Schumacher-Quartier ziehen inzwischen das Interesse von Stadt- und Landschaftsplanern aus der ganzen Welt auf sich. So hat das neue TXL-Infocenter, in dem auch Gruppenführungen angeboten werden, schon in den ersten Tagen Besuch von Fachleuten aus Österreich und Australien.

Neues Trainingszentrum für die Feuerwehr

Auch eine Delegation aus 50 Feuerwehrleuten habe schon eine Führung gebucht, um sich die Pläne und Modelle der künftigen Berliner Feuerwehr- und Rettungsdienst-Akademie (BFRA) TXL erklären zu lassen, berichten die Mitarbeiter.
Zwei Hangars im südwestlichen Teil des Tegel-Geländes sollen dafür bis 2027 zu multifunktionalen Übungshallen ausgebaut werden. In den hohen Gebäuden, in denen früher Flugzeuge gewartet wurden, können die Brandschützer dann auch bei Nässe und Schnee Katastrophen simulieren und Einsätze trainieren. Zudem soll die alte Flughafenfeuerwache wieder besetzt werden und den Rettungsdienst für das gesamte Areal gewährleisten.
Insgesamt sollen in Tegel 17.500 Arbeitsplätze auf 220 Hektar Baufläche entstehen. Das Quartier, in dem Stadt neu gedacht und selbst umgesetzt wird, werde später mehr Energie produzieren als es selbst verbraucht, erklärt Sperling. Der Rest der insgesamt 495 Hektar bleibt freie Fläche. Doch auch die Bewirtschaftung von Trockenrasen und Heide soll anders als auf dem Tempelhofer Feld nach einem planerischen Gesamtkonzept erfolgen.
Es ist ein Prozess, der ständig im Fluss ist und stetig dokumentiert wird. Und so soll sich die kleine Schau im Infocenter, in der Besucher auch einen Gratis-Kaffee bekommen, immer stetig weiterentwickeln. Als Nächstes werden auf den Schließfächern Vitrinen aufgebaut, in denen die sensationsträchtigsten Funde aus der Kampfmittelbeseitigung ausgestellt werden.

Öffnungszeiten und Video

Das Infocenter Berlin TXL am Flughafen Tegel 1 ist Dienstag von 9 bis 13, Mittwoch und Freitag von 14 bis 18 und Sonnabend von 11 bis 16 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Ab Juni soll es zudem zweimal pro Woche kostenlose Führungen durch die Schau geben. Weitere Informationen finden sich unter www.berlintxl.de .
Einen Zukunftsbummel kann man aber auch von zu Hause über den Youtube-Kanal übernehmen: https://youtu.be
Zudem gibt es eine App, mit der man sich selbst virtuell durch die Urban Tech Republic bewegen kann: https://urbantechrepublic.de