Es war wie im Chemielabor in der Schule, was Greenpeace Polska da am Donnerstag (2. März) bei einer live gestreamten Pressekonferenz vorführte. Ein Liter mit Abwässern aus oberschlesischen Steinkohlebergwerken köchelt in einem Topf vor sich hin. Erst bildet sich weißer Schaum, am Ende bleibt eine dicke Salzschicht im Topf zurück. Soviel Salz, dass es in drei Salzstreuer passt – gewonnen aus nur einem Liter Bergwerksabwasser.
Zum Vergleich hält der Greenpeace-Mitarbeiter die Salzmenge hoch, die ein Liter abgekochtes Ostseewasser ergeben hat: es ist ein halber Salzstreuer voll.
Salzgehalt vor und nach der Einleitung in die Flüsse gemessen
Überraschend sind die Ergebnisse eigener Untersuchungen zur Wasserqualität, die die Umweltorganisation in den Zuflüssen der beiden größten polnischen Flüsse Oder (Odra) und Weichsel (Wisła) anstellte, nicht. Aber zum ersten Mal wurden im größeren Stil Grubenabwässer einzelner Förderanlagen untersucht, noch bevor sie im Fluss landen. Damit, scheint es, kann man die brennende Frage nach den Verursachern der Oder-Katastrophe konkret adressieren.
Sowohl die junge Oder als auch die junge Weichsel fließen im Oberlauf durch Polens schlesisches Kohlerevier rund um Katowice (Kattowitz), Gliwice (Gleiwitz) und Kędzieryzn-Koźle (Cosel). Dabei werden ihre Ökosysteme enorm durch Sulfate und Chloride belastet. Gemessen haben die von Greenpeace beauftragten Wissenschaftler den Salzgehalt von Grubenabwässern einiger Anlagen sowohl bevor sie in Flüsse abfließen, als auch den Salzgehalt in den Flüssen selbst.
In den präsentierten Kurvendiagrammen für die Werte der Leitfähigkeit, also der Salzkonzentrationen, wird deutlich wie rasant sich die Werte steigen, sobald die Oder das schlesische Kohlerevier erreicht. Im ca. 100 Kilometer langen tschechischen Abschnitt sei sie noch ein weitgehend „sauberer Bergfluss“, der die Kriterien der Gewässergüteklasse I, der höchsten, erfüllt, selbst auf Höhe der Industriestadt Ostrava. Nach diesen fünf Güteklassen werden Gewässer gemäß der Wasserrahmenrichtlinie der EU bewertet.
In Tschechien ist die Oder noch sauber, dann verwandelt sie sich in eine Kloake
Auf polnischer Seite schnellen die Werte nach oben, besonders da, wo die Zuflüsse Birawka (Bierawka) und Klodnitz (Kłodnica) in die Oder münden. Beide Flüsse schlucken jede Menge Grubenabwässer aus Steinkohle-Förderanlagen der polnischen Montanriesen JSW (Kohlegesellschaft Jastrzemb) und PGG (Polnische Bergbau-Gruppe). Drei der Anlagen hat Greenpeace für den Bericht untersucht. An beiden Konzernen hält der polnische Staat Anteile, an JSW sogar mehr als die Hälfte.
Drei bis zehn Mal überschreitet die Salzkonzentration der Birawka und Klodnitz an der Mündung in die Oder den Wert, die für Güteklasse II für Süßwasser (guter ökologischer Zustand) zulässig wären, erklärt Greenpeace im Bericht. Nicht nur Kochsalz befindet sich darin, sondern auch Sulfate. Dabei verfügt der Konzern JSW sogar über ein Reinigungssystem für Grubenabwässer.
Droht der Weichsel dasselbe Schicksal wie der Oder?
Alarmiert zeigt sich Greenpeace über den Zustand der Weichsel, in deren Zuflüssen noch stärkere Salzfrachten als im Oder-Einzugsgebiet gefunden wurden. Ein Weichselzufluss, der ebenfalls durch das schlesische Kohlerevier fließt, überschreitet die Grenzwerte für eine gute Wasserqualität um das Zehnfache, der zweite untersuchte Zufluss sogar um das Hundertfache. Greenpeace befürchtet, dass die Goldalge sich unter diesen Umständen in der nächsten Hitzeperiode auch in der Weichsel ausbreiten und dort ein massenhaftes Fischsterben ähnlich wie im August 2022 in der Oder auslösen könnte.
Ein hoher Salzgehalt bei geringem Wasserdurchfluss und hohen Temperaturen wurden auch von der Expertenkommission der Regierung als die entscheidenden Faktoren genannt, die zur Blüte dieser Alge führen. In Fließgewässern kam diese eigentlich bislang nicht vor.
Professor: Problem der gesamten Branche
„Die Salzkonzentrationen, die wir in den Flüssen gemessen haben, unterscheiden sich nicht wesentlich von den Werten, die die polnische Generalumweltinspektion erhebt“, sagte Leszek Pazderski, Professor für Chemie an der Universität Toruń, der die Untersuchung leitete.
Pazderski unterstrich: „Die Salzeinleitungen sind kein Problem einzelner Unternehmen, es ist ein Problem der gesamten Branche.“ Er habe sich die wasserrechtlichen Genehmigungen der Bergwerksbetreiber für die Einleitung von sulfat- und chloridbelasteten Abwässern angesehen. „Die Grenzwerte sind astronomisch hoch. Soviel wie sie einleiten wollen, soviel bekommen sie genehmigt“, so der Wissenschaftler.
Greenpeace teilte mit, dass es bei der Polnischen Polizei die Verantwortlichen für das Fischsterben - die Salz einleitenden Bergwerke - angezeigt habe. Ob die Unternehmen gegen Gesetze verstoßen haben, ist allerdings fraglich.
Die Umweltorganisation forderte Polens Klimaministerin Anna Moskwa auf, die Umweltauswirkungen des Kohlebergbaus zu untersuchen und zu begrenzen. Die meisten Bergbau-Anlagen erhielten Genehmigungen aus den 90er Jahren, als Umweltverträglichkeitsprüfungen noch nicht Pflicht waren. Vor dem Auslaufen der meisten Konzessionen, hat die PiS-Regierung 2018 durch ein Sondergesetz die Verlängerung der Laufzeiten teils bis in die 2040er Jahre ermöglicht, ohne Umweltauflagen.
Die Brandenburger Landtagsabgeordnete Sahra Damus (Grüne) forderte die polnische Regierung auf, sich endlich aktiv in deutsch-polnische Arbeitsprozesse einzubringen. Die Quelle des Problems liege in Polen, daher könne es auch nur dort gelöst werden.