Anwohner der polnischen Ortschaft Białowieża hatten am Morgen zwei belarusische Hubschrauber über ihrem Dorf, das sich am Rand des gleichnamigen Nationalparks gesichtet. Dieser erstreckt sich unmittelbar an der polnischen Grenze zu Belarus.
„Sie waren ungefähr hundert Meter von meinem Hof weg. Als sie drehten, sah ich einen Sowjetstern am Hubschrauber. Ich wollte schnell den Fotoapparat holen, um ein Bild zu machen. Als ich wiederkam, waren sie schon hinter den Bäumen und flogen in Richtung Hotel im Zentrum von Białowieża“, berichtete ein Dorfbewohner gegenüber dem polnischen Medium oko.press. Augenzeugenberichte wie diese gab es am Dienstag früh viele.

Hubschrauber flogen unterm polnischen Radar

Als der Anwohner beim polnischen Grenzschutz anrief, um den Vorfall zu melden, wussten dieser Bescheid. „Ja, es sind belarusische Helikopter, keine aus sowjetischer Produktion“, hätten sie ihm geantwortet.
Die Flüge der belarusischen Militärhubschrauber nah der Grenze hätten im Rahmen einer Schulung stattgefunden und waren der polnischen Seite von Belarus vorab gemeldet worden, hieß es vom Verteidigungsministerium. Die polnische Armee ließ zu den Augenzeugenberichten mit, die eigenen Radare hätten keine Verletzung des Luftraums – und damit auch des Luftraums der Nato – festgestellt.
Am Abend, nachdem Medienberichte eine Dynamik entfacht hatten, und Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak sich mit dem polnischen Nationalen Sicherheitsrat beraten hatte, sah die Sache etwas anders aus. Die Hubschrauber seien so niedrig geflogen, dass sie von den polnischen Radarsystemen nicht erfasst wurden, lautete eine erneute Mitteilung des Verteidigungsministeriums am Dienstagabend. Die Nato-Partner wurden informiert und der Charge d‘Affaires der belarusischen Botschaft einbestellt (der Geschäftsträger einer Botschaft im Fall der Abwesenheit des Botschafters). Das Außenministerium ließ Belarus ausrichten, dass man eine unverzügliche Aufklärung des Vorfalls erwarte, diesen als „weiteres Element der Eskalation“ werte und von Belarus „Zurückhaltung bei solcherlei Aktivitäten“ erwarte. Das belarusische Verteidigungsministerium ließ per Telegram wissen, dass man Polens Vorwürfe für „weit hergeholt“ halte.

Polen stationiert mehr Soldaten im Grenzgebiet

Der polnische Sicherheitsrat beschloss, die Zahl der an der Grenze stationierten Soldaten zu erhöhen und dort zusätzliche Kräfte zu stationieren, darunter Kampfhubschrauber. Ohnehin unterstützt die polnische Armee den Grenzschutz bei der Sicherung der Außengrenze, seitdem 2021 verstärkt Migranten über Belarus in die EU einreisen.
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Berlin
Der belarusische Diktator und Putin-Verbündete Aleksandr Lukaschenko beteiligt sich mit der Stationierung russischer Atomsprengköpfe und der Aufnahme der aufsässigen Wagner-Privatsoldaten in seinem Land längst aktiv am russischen Krieg.
Am Dienstag setzte er seinen Hubschraubern auch mit einer verbalen Provokation nach. Polen solle dankbar sein, dass Belarus die Wagner-Kämpfer zurückhalte, in Polen einzudringen. „Sonst hätten sie in Warschau und Rzeszów nur Trümmer gelassen“, zitierte ihn die staatliche Nachrichtenagentur Belta. Die ostpolnische Stadt Rzeszów ist das wichtigste Drehkreuz für westliche Waffenlieferungen an die Ukraine. Bereits vor zwei Wochen hatte Lukaschenko öffentlich gefeixt, Wagner-Söldner wollten „einen Ausflug nach Rzeszów unternehmen“.

Zum dritten Mal wird Polens Territorium von Russlands Krieg berührt

Polens Regierungsspitze, die schon manchmal mit besonders scharfer Rhetorik gegenüber Wladimir Putin auffiel, hielt sich mit Äußerungen zu den Hubschraubern im polnischen Luftraum zurück – ähnlich wie auch bei früheren Vorfällen solcher Art. Erst am Mittwoch früh sprach der Vize-Verteidigungsminister im Radio von einer „Provokation“ gegen die Nato-Ostflanke und nannte das Vorkommnis „absolut gefährlich“.
Es ist das dritte Mal, dass der russische Krieg gegen die Ukraine auch polnisches Territorium berührt und damit auch die Frage eines Nato-Bündnisfalls aufgeworfen wird. Denn Artikel 5 des Nato-vertrags verpflichtet alle Bündnispartner, „die territoriale Unversehrtheit aller Verbündeten aufrechtzuerhalten und gegen jeden Angreifer durchzusetzen“. In Polen sind US-geführte Bataillone für die Sicherung der Nato-Ostflanke stationiert. Nato-Vertreter äußerten sich nicht zu den belarusischen Hubschraubern in Polen.

Wie sicher ist die Nato-Ostflanke?

Im November 2022 war eine – offenbar fehlgeleitete – Rakete altsowjetischer Produktion in einem Dorf im Grenzgebiet zur Ukraine eingeschlagen, zwei Menschen starben. Anfang Mai fand ein Spaziergänger in einem Wald nahe der zentralpolnischen Stadt Bydgoszcz einen Raketenkopf. Ermittlungen zeigten, dass es sich um ein ungewöhnliches Geschoss aus Beton russischen Ursprungs handelte, in dem sich jedoch kein explosives Material befunden hätte. Das Geschoss war ca. fünf Monate zuvor unbemerkt nach Polen geflogen und niedergegangen. Abgeschossen wurde es mutmaßlich von einem russischen Kampfflugzeug über Belarus. Das Ereignis löste eine Debatte über die Sicherheit der Nato-Ostflanke aus.