Herr Knie Mobilität der Menschen ist derzeit stark eingeschränkt. Ist nach der überstandenen Corona-Pandemie alles wieder wie vorher?
Nein. Die Verkehrslandschaft wird sich deutlich verändern. Vieles, was jetzt nicht mehr genutzt wird, wird später nicht mehr hochfahren. Das gilt in den Großstädten für Ridepooling (digitale Sammeltaxis, die Redaktion), E-Roller und Bikesharing. Bei diesen Mobilitätsdiensten brechen die Kundeneinnahmen nun völlig weg, sie werden nicht überleben können.
Was ist mit dem öffentlichen Nahverkehr? Den nutzen derzeit ja auch immer weniger Menschen …
Alles, was nicht unmittelbar staatlich ist, wird große Probleme bekommen. Das gilt auch für den öffentlichen Verkehr. Die nicht-kommunalen Busunternehmen sind auf Kante genäht und einem ruinösen Wettbewerb ausgesetzt. Wenn die aus Mangel an Bedarf ihren Betrieb runterfahren müssen und die Bestellerentgelte gestrichen werden, werden sie später nicht mehr fahren können.
So schrumpft das Angebot von Bus und Bahn. Wird das Auto wichtiger?
Im Moment ist das Auto der klammheimliche Sieger der Krise. Die Pandemie zeigt, dass Familien mit Eigenheim, Garten und Auto am geschütztesten sind. Ältere Leute, Singles und Menschen, die von Bus und Bahn abhängig sind, haben die größten Probleme. Doch wir sehen derzeit keine Anzeichen dafür, dass nach dem Ende der Krise alle wieder im Auto sitzen. Das Jahr 2019 sowie die ersten Monate 2020 haben gezeigt, dass wir zu viele Autos haben. Allen ist klar, dass wir da eine Änderung brauchen.
Wie kommt die Autobranche durch die Pandemie?
Wenn jemand gut durch die Krise kommt, ist es die Autobranche. Sie ist gewappnet, da sie schnell ihre Produktion hoch- und wieder runterfahren kann. Man wird sehen müssen, ob Hersteller wie PSA oder Fiat überleben können. Aber für die großen deutschen Hersteller sehe ich keine Gefahr. Sicherlich wird die Menge an produzierten Autos geringer werden und die Branche wird sich schneller auf neue Antriebe konzentrieren müssen. Wir sollten da aber nicht schwarz malen, sondern die Krise als Chance begreifen.
Wie meinen Sie das?
Jetzt ist alles auf Null gefahren. Damit haben wir die Möglichkeit, uns zu fragen, wie viel und welche Mobilität wir uns leisten können und wollen. Die Corona-Krise hat Missstände zu Tage treten lassen – das ist gut. Wir sollten Fragen stellen wie: Kann man einen Flughafen wie Berlin-Schönefeld nicht schließen? Sollte man bestimmte Diesel-Motoren einfach nicht mehr zulassen? Kann man Ridepooling dauerhaft finanzieren? Kann man die Ausschreibung für öffentliche Verkehre anders organisieren?
Also wird sich auch der Reiseverkehr ändern. Wird es weniger Geschäftsreisen mit dem Flieger geben, weil sich während der Corona-Krise Homeoffice bewährt hat?
Ob sich Homeoffice bewährt, müssen wir noch sehen. Aber ja, die berufsbedingten Reisen werden sich reduzieren. Es wird eine dramatische Absenkung der Kapazitäten an Flughäfen, von Flugzeugen und in der Flugbewegung geben. Davon gehen nicht nur wir Forscher, sondern auch die Airlines aus. Der Luftverkehr wird sich gesundschrumpfen.
Was bedeutet das?
Er wird sich auf die transatlantischen Flüge konzentrieren. Die großen Luftkreuze Frankfurt/Main, München und zum Teil Düsseldorf werden bleiben, während die regionalen Flughäfen wie Hamburg oder Berlin massiv an Bedeutung verlieren werden. Die großen Flughäfen werden sich darauf verständigen, dass der Zubringerverkehr der Zug ist und nicht das Flugzeug. Einen Flughafen wie den BER werden wir nicht mehr brauchen.
Werden sich auch die Urlaubsreisen reduzieren?
Wir gehen davon aus, dass sich das Virus weiterverbreitet – auch Mittel- und Südamerika, Afrika sowie weitere Teile Asiens erfassen wird. Daher werden die Urlaubsfernreisen nur ganz langsam wieder hochgehen und europäische Ziele erst einmal populärer sein. Aber sobald die Luft sozusagen wieder rein ist, wird das Fernreiseverhalten der Deutschen ein ähnliches Niveau erreichen wie jetzt.
Die Corona-Krise wird also künftig nichts am touristischen Reisen verändern?
Doch. Das Reise-Hopping wird deutlich zurückgehen. Das betrifft weniger die älteren Touristen, die sich Tickets für mehrere Hundert Euro eher leisten können als junge Menschen. Mal eben für ein paar Euro zwischen Edinburgh und Mailand hin- und her zu fliegen, wird künftig nicht mehr möglich sein. Denn Ryanair, Easyjet und viele andere Billig-Airlines werden das Angebot in der heutigen Form nicht mehr aufrechterhalten können.
Zur Person
Der Politikwissenschaftler Andreas Knie hat an der TU Berlin habilitiert. Er leitet die Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Im WZB betreiben Politologen, Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler Grundlagenforschung zu Themen wie Verkehr und Wandel politischer Systeme. dot
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