Seit über einem Jahrzehnt betreibt das kleine „Center for Peace Mediation“ (Zentrum für Friedens-Mediation) der Frankfurter Europa-Universität spannende Kooperationsprojekte mit dem Auswärtigen Amt in Berlin. In einem dieser Projekte kommen Diplomaten sowie Vertreter von Nichtregierungsorganisationen aus vieler Herren Länder jährlich für eine Woche zusammen, um darüber zu diskutieren, wie man für unterschiedlichste Konflikte auf unserem Planeten möglichst konstruktive Verständigungswege finden kann. Der englischsprachige Lehrgang nennt sich „Friedensvermittlung und Krisendiplomatie in Aktion“.
Schwierige Kommunikation
„In diesem Jahr waren wir tatsächlich geneigt, wegen der Corona-Pandemie das Ganze erstmals abzusagen“, gesteht die 41-jährige Viadrina-Wissenschaftlerin Anne Holper. Doch die Tatsache, dass aufgrund des Virus die Kommunikation zwischen streitenden Parteien weltweit noch schwieriger geworden ist, habe sie und ihren Kollegen Lars Kirchhoff schließlich dazu geführt, gerade die Konfliktvermittlung unter den Bedingungen der Pandemie zum Thema zu machen.
Und so sitzen seit Montag etwa ein Diplomat aus dem Iranischen Außenministerium, der sich mit den Folgen von Covid für die ohnehin schon komplizierten internationalen Beziehungen seines Landes beschäftigt, eine Ukrainerin, die ihre Regierung vor Fake News im Internet schützen will, eine Inderin, die sich für die Bekämpfung sexueller Gewalt engagiert, sowie Vertreter aus 15 weiteren Ländern jeweils vor ihren Computern im Heimatland. Nur die Teilnehmer, die ohnehin gerade in Deutschland arbeiten, sind in einem Berliner Seminarraum – mit Masken, Abstand und Desinfizierungsmitteln – zusammengekommen.
Eine Überraschung zum Auftakt
„Zum Auftakt gab es eine weitere Neuheit“, berichtet Anne Holper. Dieses Jahr wurde nicht nur über Konflikte aus anderen Ländern berichtet, auch der ´Sturm auf den Berliner Reichstag`, der sich am Wochenende am Rand der Corona-Proteste ereignet hatte, steht nun prominent unter den in der Woche gemeinsam beleuchteten Krisen-Szenarien. „Natürlich wollten die Teilnehmer wissen, was da bei uns los ist – und wir, wie sie die Geschehnisse aus ihren Außenperspektiven deuten“, sagt die Gastgeberin.
Aus ihrer Sicht haben die extrem bunte Zusammensetzung der Demonstrationsteilnehmer und die teilweise aggressive Stimmung unter diesen vor allem eins gezeigt: „Es fehlt auch bei uns an Foren, in denen die Unzufriedenheit über die Corona-Maßnahmen und der grundsätzlichere politische Unmut vieler Menschen, vor allem aber deren jeweils dahinter stehenden konkreten Interessen auf respektvolle Weise benannt und unvoreingenommen gehört werden können.“
Unterschiedliche Interessen erkennen
„Die Konflikte sind immer anders, die Methoden, um konstruktiv mit ihnen umzugehen, oft jedoch die gleichen.“ Von diesem Satz ist die Konfliktforscherin überzeugt, zugleich ist ihr voll bewusst, wie schwer er sinnvoll anzuwenden ist. Eine der Grundmethoden der Mediation, also der konstruktiven Beilegung von Konflikten, beruht im Wesen darauf, dass man bereit ist, gerade auch die konträren Interessen der jeweils anderen Seite zur Kenntnis zu nehmen. Es erfordere für viele Konfliktparteien, nicht selten auch für Mediatoren, ein großes Maß an Selbstdisziplin, nicht in einen Positionskampf zu verfallen, wenn die Gefühle von Ungerechtigkeit hochkochen.
Maßnahmen sollten abgewogen werden
„Und viele Politiker, die ja die ganze Zeit so tun müssen, als hätten sie alles im Griff, weil dies ihr Job ist, befinden sich auch in einem Dilemma“, fügt Holper hinzu. Zuzugeben, dass man eigentlich nicht sicher ist, welche Maßnahme die richtige ist – so wie es der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn seit kurzem tut – „kann sogar zu einem größeren Vertrauen bei den Menschen führen, auch wenn das zunächst als Widerspruch erscheint“. Aus Sicht der Mediatorin ist jedoch genau das Mitnehmen der Bevölkerung durch diesen Abwägungsprozess über die richtigen Corona-Schutzmaßnahmen in der deutschen Politik zu kurz gekommen.
Die Berliner Ereignisse erwiesen sich für den Workshop als eine Art Schlüssel, auch wenn sie weltweit betrachtet nur eines von vielen Problemen sind. „Den Vertrauensverlust in demokratische Strukturen erleben gerade viele Länder“, berichtet Holper. Mehrere Teilnehmer berichteten, dass durch Covid 19 weltweit Probleme verschärft oder aufgedeckt wurden, die seit langem unter der Oberfläche brodelten. „Das geschieht fast wie in einem Brennglas.“
Allerdings lägen darin auch Chancen: „Ein Kollege aus Pakistan berichtete, dass man gerade durch die Corona-Krise in seinem Land erkannt hat, wie man gleichzeitig Klimawandelfolgen und Covid-bedingte Arbeitslosigkeit bekämpfen kann. Für die Aufforstung in Tsunami-geschädigten Gebieten werden dort 63.000 neue Jobs geschaffen.“
Bei der Entwicklung des Impfstoffes wirken Nationen zusammen
Ziel des Workshops sei es, dass bei den Teilnehmern die Erkenntnis gefördert wird, dass die Menschheit auch mit solch einer weltweiten Epidemie konstruktiv umgehen kann und dadurch vielleicht sogar enger zusammengeschmiedet wird. Die Versuche, bei der Entwicklung eines Impfstoffs international zusammenzuwirken, oder auch die gemeinsame Wirtschaftspolitik der EU zu stärken, sieht Holper als Belege dafür.
„Allerdings sind die weiterhin bestehenden unterschiedlichen Interessen, die solchen Bemühungen entgegenlaufen, auch noch sehr stark“, hält sie dem fast im gleichen Atemzug entgegen. Wenn die Teilnehmer gelernt hätten, wie man unterschiedliche Interessen herausfindet und zusammenführt, wäre dies aus ihrer Sicht schon ein echter Erfolg.