Der Berliner Showroom des chinesischen E-Autobauers NIO könnte kaum zentraler liegen. Direkt zwischen Gedächtniskirche und Zoo-Palast sieht man hinter meterhohen Scheiben die neuesten Modelle aufblitzen. Den NIO ET5 zum Beispiel, einen hellbeigen vollelektrische Mittelklasse-Kombi, kann man für 54.480 Euro (brutto/ohne Batterie) gleich kaufen, oder sich einmal in den schnittigen EP9 setzen, der mit 1360 PS und einer Beschleunigung von 0 auf 100 in 2,8 Sekunden schon Rekorde auf dem Nürburgring gebrochen hat.
Doch das „NIO-House“ am Berliner Breitscheidplatz soll mehr sein als ein Show- und Verkaufsraum. Auf den mit Designermöbeln bestückten drei Etagen kann jeder auch einfach nur chillen, mit dem Laptop arbeiten, Kaffee trinken und das Treiben auf dem Breitscheidplatz beobachten. Neben einem Bücheregel mit Hochglanzmagazinen gibt es auch einen Kickertisch, eine Tischtennisplatte, Brettspiele und sogar einen plüschigen Kinderspielbereich namens Kids Hub.

Neues Innovationszentrum in Berlin

In China, wo die Elektroautos produziert werden, sind die NIO-Häuser nur den Kunden vorbehalten. „Hier ist aber jeder willkommen“, erklärt eine Mitarbeiterin.
Denn NIO will wie andere chinesische Autohersteller den deutschen Markt erobern und eine ernst zu nehmende Konkurrenz von Tesla werden. Erst vor wenigen Tagen eröffnete dafür NIO ein Innovationszentrum in Berlin-Friedrichshain, in dem rund 30 Experten aus aller Welt an neuen Softwareentwicklungen und Technologien tüfteln. Auch die 25 Mitarbeiter im Testzentrum für autonomes Fahren in Schönefeld will NIO weiter aufstocken. „Im Raum Berlin sind aktuell rund 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fest beschäftigt. Diese Zahl lässt sich künftig noch auf bis zu 180 steigern“, sagt Anne Fries, Sprecherin von NIO Germany.
Allein die 20 Mitarbeiter im NIO House Berlin kommen aus elf Nationen. Chinesen sieht man allerdings selten. Die meisten Verkäufer sprechen perfekt Deutsch, stellen sich mit Vornamen vor und duzen ihr Gegenüber. Kunden werden „User“ genannt. Man sei ein globales Unternehmen, das lediglich seinen Hauptsitz in Shanghai habe, betont Autoverkäufer Peter. Die Ingenieurs-Arbeit für den EP9 aber sei in Oxford geleistet worden, das Technikcenter sitze in Kalifornien und das Design der Autos werde in München entwickelt, berichtet der junge Mann. „So haben wir unser Ohr direkt in Europa.“
Das erste Berliner "NIO House" hat Ende des vergangenen Jahres direkt am Berliner Breitscheidplatz eröffnet.
Das erste Berliner „NIO House“ hat Ende des vergangenen Jahres direkt am Berliner Breitscheidplatz eröffnet.
© Foto: Maria Neuendorff
Wie viele NIOs schon in Deutschland an den Mann gebracht wurden, will das Unternehmen allerdings nicht verraten. „Weltweit wurden im Juni dieses Jahres 10.707 Fahrzeuge ausgeliefert, in der ersten Jahreshälfte 2023 insgesamt 54.561“, berichtet Unternehmenssprecherin Fries. Insgesamt habe NIO seit seiner Gründung 2014 bis Ende Juni dieses Jahres weltweit insgesamt 344.117 Autos verkauft oder vermietet.

Autonomes Fahren und Sprachassistenz

Auf deutschen Straßen sind die schnittigen Gefährte des chinesischen Herstellers aber noch eher selten zu sehen. Dabei erinnert unter anderem der NIO ET5 (2023) an das Model 3 des US-E-Autobauers Tesla, der allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres in Deutschland 28.000 Neuzulassungen verzeichnete.
Im "NIO House" in Berlin des chinesischen E-Auto-Herstellers können nicht nur Kunden chillen.
Im „NIO House“ in Berlin des chinesischen E-Auto-Herstellers können nicht nur Kunden chillen.
© Foto: Maria Neuendorff
Die vollelektrische ET5 Limousine von NIO ist etwas größer als der Tesla 3 und wirkt mit seinen zweigeteilten Scheinwerfern sowie der durchgehenden Heckleuchte auch extravaganter. Auch die Technik für künftiges autonomes Fahren ist schon mit eingebaut. Dazu gibt es Anwendungen für Augmented und Virtual Reality. Auf dem Armaturenbrett thront Sprachassistentin Nomi, die bei Ansprache ihren runden Computerkopf in die Richtung des Fahrers dreht und mit den Augen zwinkert.
Im "NIO House" werden nicht nur E-Autos präsentiert und verkauft. Der Showroom des chinesischen E-Auto-Entwicklers ist als "Erlebniswelt" gedacht, in der man auch Kicker spielen und Kaffee trinken kann.
Im „NIO House“ werden nicht nur E-Autos präsentiert und verkauft. Der Showroom des chinesischen E-Auto-Entwicklers ist als „Erlebniswelt“ gedacht, in der man auch Kicker spielen und Kaffee trinken kann.
© Foto: Maria Neuendorff
Dazu bringt NIO mit dem ET5 Touring den ersten elektrischen Kombi im Premiumsegment auf den Markt. Zum Kaufpreis von 47.500 Euro kommen allerdings noch einmalig 12.000 oder 21.000 Euro für die Batterie oder monatlich 169 oder 289 Euro für die Batteriemiete dazu. „Man kann ihn wie die anderen Autos aber auch einfach abonnieren“, erklärt der Verkäufer im Berliner Showroom. Für das monatliche Leasing muss man dann 1119 Euro berappen. Wenn man 1249 Euro zahlt, darf man genau wie mit einer Mietbatterie derzeit kostenlos an die Wechselstationen.
Denn die sollen der Clou sein an der neuen Technologie. In China ist es schon verbreitet, dass die NIO-Fahrer die Batterien nicht mehr laden, sondern gleich wechseln. NIO hat dafür weltweit rund 1.500 sogenannter Power Swap Stations (PSS) installiert. Das Wechseln der Batterien mithilfe von Robotertechnik soll nicht länger als fünf Minuten dauern. Der 75-kWh-Akku von NIO hat eine Reichweite von bis zu 550 Kilometern, mit dem vollgeladenen 100-kWh-Akku kann man bis zu 700 Kilometer fahren.

Batteriewechselstation im Testbetrieb

Allerdings gibt es in Deutschland bisher erst drei dieser Power Swaps, und zwar in Hilden und Dorsten (NRW) sowie im bayerischen Zusmarshausen in der Nähe von Augsburg. „Eine Wechselstation in Berlin-Spandau befindet sich aktuell noch im Testbetrieb und soll in Kürze für den Publikumsverkehr eröffnen“, erklärt die NIO-Sprecherin.
Bis etwa Mitte August sollen dann weitere Stationen in Ulm, Waldlaubersheim, Großburgwedel, Regensburg sowie Emsbüren dazu kommen. „Bis Ende 2023 planen wir ein Netz von rund 70 Stationen in Europa, welches in den kommenden Jahren weiter stark ausgebaut werden wird.“
Wie so ein schneller Batterie-Wechsel vor sich geht, können sich Besucher des NIO Hauses auf Flatscreens anschauen. Dazu sind im Obergeschoss Berlin-Bilder ausgestellt. „Wir geben hier wechselnden Berliner Künstlern die Möglichkeit, ihre Bilder jeweils einen Monat lang zu präsentieren. Im Gegenzug geben sie unserer Community kostenlos Öl-Malkurse“, erklärt die Autohaus-Mitarbeiterin.
Aus der Lounge der oberen Etage des NIO Hauses am Breitscheidplatz in Berlin haben Besucher einen guten Blick auf die City West.
Aus der Lounge der oberen Etage des NIO Hauses am Breitscheidplatz in Berlin haben Besucher einen guten Blick auf die City West.
© Foto: Maria Neuendorff
Teilnehmen könne jeder, der sich über die Nio App anmeldet. Über die kann man auch an kostenlosen Yoga-Kursen teilnehmen, eines der gläsernen Meeting-Büros buchen oder im „Media“-Bereich einen eigenen Podcast aufnehmen. Räume und Equipment seien derzeit noch gratis und für jedermann zugänglich, betont die NIO-Mitarbeiterin. „Schließlich soll man uns ja kennenlernen.“