Das Konzept der Marktschwärmer wurde 2011 in Frankreich entwickelt und startete drei Jahre später auch in Deutschland, in Berlin. Dort sitzt zugleich das Team, das das Projekt bundesweit betreut. Marktschwärmer stellt eine Kombination aus online-Shop und regionalem Bauernmarkt ohne Zwischenhändler dar. Der Kunde bestellt und bezahlt online (ohne Mindestumsatz und wöchentliche Bestellpflicht) und holt sich seine frischen oder verarbeiteten Produkte in der Nachbarschaft ab. Der regionale Erzeuger bietet seine Produkte einer oder mehreren Schwärmereien an, definiert einen Mindestbestellwert und liefert nur, was bestellt wurde. Gastgeber werben Erzeuger und Kunden, organisieren den Verkaufsort, koordinieren den Verkauf und die Verteilung der Ware.
In Brandenburg gibt es mittlerweile 31 Schwärmereien, weitere befinden sich im Aufbau, darunter in Brennickenswerder bei Lychen, in Potsdam und eine zweite in Oranienburg. Neben den Hauptstandorten gibt es kleinere Abholpunkte, was den Radius erweitert. "Ich kann damit entscheiden, ob ich meine Bestellung aus beruflichen Gründen einmal an einem anderen als dem üblichen Ort abholen will. Das ist ökologisch und zeiteffizient", nennt Adrian Schwarz, beim Marktschwärmer-Projekt verantwortlich für das Netzwerksupport zwischen Kunden und Erzeugern, einen Vorteil.
Eine Marktschwärmerei kann eröffnet werden, wenn sie 150 registrierte Mitglieder hat. Dies hat sich als feste Größe bewährt. "Es gibt immer einen prozentualen Anteil, der bis zur Eröffnung kein Interesse mehr hat oder nicht so bestellfreudig ist", erklärt Schwarz. Zwischen Entschluss und Eröffnung vergehen in der Regel vier bis fünf Monate. Über die gesamte Zeit werden die Gastgeber bei ihrer Akquise von Kunden und Erzeugern von der Zentrale in Berlin betreut. "In Hoyerswerda haben wir eine Gastgeberin, die war so engagiert, dass sie es in zwei Monaten geschafft hat", erzählt Schwarz von einer neuen Marktschwärmerei in Sachsen, die auch aus Brandenburg beliefert wird. Noch wichtiger sei, sagt Adrian Schwarz, dass das Grundsortiment abgedeckt sei: Obst und Gemüse, Käse, Fleisch, Wurst. "Die Menschen brauchen Verlässlichkeit und erwarten ein attraktives Angebot", so Adrian Schwarz.
Kathrin Görne ist im dritten Jahr Gastgeberin. Begonnen hat sie in Bernau, dort wird die Schwärmerei jetzt von ihrer Tochter Hannah (20) und Freundinnen geführt. Die Mutter baute vor einem Jahr die Anlaufstelle in Petershagen-Eggersdorf auf, zu der noch drei Abholpunkte im Umland gehören. "Wir sind eine ganz überzeugte Bio- und Ökofamilie. Wir lieben die regionalen frischen Produkte und möchten die kleinen bäuerlichen Landwirtschaftsbetriebe unterstützen", begründet Kathrin Görne ihr Engagement. Sie hat ein Händchen dafür. 754 Kunden sind für die Schwärmerei in Bernau registriert, schon 550 innerhalb eines Jahres in Petershagen. Knapp 30 regionale und überregionale Produzenten beliefern. "Einigen hat die Marktschwärmerei sehr über die Corona-Zeit geholfen, weil etliche ihrer Abnehmer weggefallen waren. Auffallend war, dass kleine Brauereien dazugestoßen sind. Auch Kunden, die nicht in die Supermärkte wollten, haben zu uns gefunden", erzählt die Gastgeberin.
In Brandenburg gibt es aktuell 123 aktive Erzeuger, registriert sind 137. "Das ist eine ausgezeichnete Quote, die uns sehr erfreut und für die hohe Qualität und gute Organisation aller Brandenburger Schwärmereien zeugt."
Geerntet wird, was bestellt ist
Kathrin Görne arbeitet unter anderem mit der Berliner Bio-Bäckerei Endorphina, dem Hof Hübner in Danewitz und dem Gut Neudorf in Klosterfelde zusammen. Bei ihr können Kunden auch Eier aus Peters Landwirtschaft in Löhme bei Werneuchen, Rinderfilet vom Hof Stolze Kuh in Lunow-Stolzenhagen und Quarkprodukte vom Schaf vom Hof Schwalbennest in Chorin bestellen. Etliche dieser Erzeuger liefern ebenso an die Marktschwärmerei in Eberswalde. Diese ist vor gut zwei Jahren angelaufen, als Gastgeber fungiert inzwischen Tino Schulz, er ist zugleich Erzeuger, bewirtschafter mit seiner Frau die Gärtnerei biobewusst in Eichhorst. Was ihn als einer der aktuell bis 24 Lieferanten überzeugt: "Ich muss mich nicht um den Vertrieb kümmern. Anhand des Bestellscheins ernte ich nur das, was bestellt ist und fahre dann zum Gastgeber. Nach anderthalb bis zwei Stunden bin ich alles los und kehre mit leeren Kisten heim". Bei einem Markttag dagegen ernte er alles, was reif ist, stehe stundenlang am Stand und müsse sich Gedanken machen, wie er unverkaufte Ware frisch hält, ergänzt der 38-Jährige. Für Kunden seien die Zeiten, meist nach Feierabend, günstig.
Momentan, so beobachtet Tino Scholz, stürzen sich Kunden auf seine alte Tomatensorten, die er anbaut. Auch Bio-Eier seien sehr nachgefragt, da liefert ein Erzeuger aus dem nördlichen Sachsen-Anhalt zu. Weil dieser auch in Berlin Kunden hat, lohne sich das für ihn. Ähnliches beobachtet Kathrin Görne, die zuletzt Produkte aus der Altmark aufgenommen hat. "In Sachsen-Anhalt und Sachsen gibt es im Verhältnis zu den Erzeugern noch wenig Schwärmereien", nennt sie einen Grund. In Brandenburg sei es umgekehrt. Was ihr auch auffällt: "Es werden halbfertige Produkte wie Kartoffelpufferteige gern gekauft. Sie sind frisch, regional und schnell zubereitet."
Die wöchentlichen Termine sind für manchen ein willkommener Treffpunkt, wie für Anja Freund-Dargelis. In Petershagen trifft sie nicht nur Bekannte, sondern kann mit den Erzeugern ins Gespräch kommen. Zum Beispiel mit Wanderschäferin Sandra Lehmann. "Ich biete alles vom Schaf an", sagt sie. Die Auswahl reicht vom Frühstücksfleisch mit Bärlauch über Salami-Knacker und Chili-Grillwürsten bis hin zu selbstgestrickten Socken.
90 Schwärmereien bis zum Jahresende bundesweit
Die Werbung neuer Gastgeber für Marktschwärmereien vollzieht sich vor allem über Mund-zu-Mund-Propaganda unter Erzeugern und über Facebook und online-Stellenanzeigen. Über die online-Plattform www.marktschwärmer.de können sich Gastgeber wie Erzeuger anmelden, erfahren dort weitere Details. Dort wird auch bestellt.
Landwirte und Erzeuger legen den Preis ihrer Produkte selbst fest. Für die Direktvermarktung erhalten sie 100 Prozent des Verkaufspreises. Für jeden Verkauf zahlen sie eine Servicegebühr: 10 Prozent gegen an das deutsche Marktschwärmer-Team, 8,35 Prozent an den Gastgeber.
In Deutschland gibt es 81 Schwärmereien in elf Bundesländern, 90 sollen es in diesem Jahr werden. 1490 Erzeuger sind registriert, 15 000 Kunden aktiv.
Im Mai hat sich das Projekt für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis in der Kategorie Fairness beworben, "weil sich der Preis an der Nachhaltigskeitsagenda der UN orientiert", sagt Mitarbeiterin Lara Kozlowski. Das Team wurde für die zweite Runde im September nominiert. "Darüber haben wir uns als noch kleines und junges Unternehmen gefreut. Das ist eine Bestätigung unserer Arbeit." keb