Während in Schwedt im Poker um die Zukunft der PCK-Raffinerie noch ganz viel offen ist, bringt sich der polnische Interessent PKN Orlen auf dem Energiemarkt östlich der Oder in Stellung. Erst ging Ende letzter Woche die zweite Fusion dieses Jahres über die Bühne, dann weilte Orlen-Chef Daniel Obajtek in Saudi-Arabien, um mit dem größten Erdölkonzern der Welt, Saudi Aramco, über mehr Erdöllieferungen für Polen zu sprechen und gemeinsame Investments im Bereich Petrochemie einzutüten.
Kaum ein Tag verging zuletzt, an dem Obajtek nicht in den Medien im Nachbarland auftrat, um zu erklären, was der neu geschaffene „Multi-Energiekonzern“ alles kann. Unter anderem habe man die Benzinpreise in Polen stabilisiert, die mit die niedrigsten in der EU seien, so der Orlen-Geschäftsführer. „Wir können stolz sein auf diesen Konzern. Er wird 400 Milliarden Złoty an Einkünften erzielen und die Energie-Transformation anführen.“ 400 Milliarden Złoty sind gut 85 Milliarden Euro. Premierminister Mateusz Morawiecki kommentierte, die neue Firma werde sich sehr gut auf Polens Energiesicherheit auswirken.
Die Fusion war umstritten
Die am Montag, 7. November, von den Aktionären bestätigte Übernahme des polnischen Energiekonzerns PGNiG durch Orlen war tatsächlich schon seit einigen Jahren angestrebt. PGNiG ist der größte staatliche Gas- und Wärmeversorger, Gasimporteur sowie Erdölförderer in Polen. Im Juli war mit Orlen bereits der polnische Mineralölkonzern Lotos, an dem ebenfalls der Staat die meisten Aktien hielt, verschmolzen. Die Fusion war umstritten, denn Orlen musste als Auflage Anteile an einer Danziger Raffinerie an Saudi Aramco abgeben – aus wettbewerbsrechtlichen Gründen. Die Geschäftsbeziehung scheint Polen gerade zum Vorteil zu gereichen.
Orlen besitzt bereits sieben Raffinerien in Mitteleuropa
Orlen besitzt jetzt sieben kleine und größere Erdölraffinerien in Polen, Litauen und Tschechien, betreibt Tankstellen und baut gerade zwei neue Gaskraftwerke und investiert außerdem in Offshore-Windparks, in Photovoltaik und Chemieindustrie. Auch Wasserstoff soll eine Schlüsselrolle spielen – bis 2030 plant Orlen hier Investments in Höhe von 1,6 Milliarden Euro, will bis dann zum Beispiel hundert Wasserstoff-Tankstellen eröffnet haben. Durch die Fusionen in diesem Jahr ist der polnische Staatsbesitz an Orlen größer geworden. Der Staat hält nun 49,9 Prozent statt zuvor 31 Prozent der Anteile. Orlen gehört nun angeblich zu den 150 größten Konzernen der Welt.
Obajtek: „In Schwedt können wir nicht hintenanstehen“
Geschäftsführer Obajtek äußerte sich am Mittwoch, 9. November, gegenüber dem Wirtschaftsportal „Biznesalert.pl“ über die jüngste Entwicklung seines Unternehmens. „Wir sehen den Effekt auch in der Zusammenarbeit mit internationalen Konzernen und in Gesprächen über gemeinsame Projekte. Unsere Partner betrachten uns als Dominante in der ganzen Region“, sagte Obajtek.
Da drängte sich natürlich auch die Frage nach der PCK-Raffinerie in Schwedt auf. „Gehen wir in diese Richtung?“, fragte der Moderator. Der Orlen-Chef entgegnete: „Wir sind in Mitteleuropa der größte Erdölverarbeiter und es ist normal, dass wenn hier etwas mit unseren Geschäftsbereichen Logistik und Raffinerie zusammenfällt, dann können wir nicht hintenanstehen, wir müssen wir da auch mit am Tisch sitzen. Daher schauen wir auf jedes Geschäft mit Hoffnung. Aber ohne protokollierte Vereinbarungen kann ich dazu nicht mehr sagen“, so Daniel Obajtek.
Orlen-Chef gilt als Vertrauter von Jarosław Kaczyński
Tatsächlich scheint Orlen aktuell nicht die besten Karten in Schwedt zu haben. In Kreisen der Bundesregierung soll Skepsis herrschen gegenüber einer Abhängigkeit von einem staatsnahen polnischen Akteur. Schließlich ist die Beziehung zur PiS-Regierung schwierig. Diese könnte zum Beispiel darauf hinwirken, dass im Fall einer Benzinknappheit zuerst die Tankstellen in Westpolen versorgt werden, die zu einem erheblichen Teil auch am Tropf der Schwedter Raffinerie hängen.
Oder die PiS könnte den Einfluss nutzen, um an anderen Stellen politisch Druck zu erzeugen. Orlen-Chef Obajtek gilt als Vertrauter des 73-jährigen PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński. Er setzte zum Beispiel 2020 Kaczyńskis Herzenswunsch nach einer „Repolonisierung der Medien“ um – der Mineralölkonzern Orlen kaufte von einem deutschen Verlag eine große Gruppe polnischer Zeitungen und Online-Medien, deren Berichterstattung nun PiS-freundlich ist.
Ohnehin erwartet die polnische Regierung in Bezug auf das PCK die völlige Enteignung der Rosneft Deutschland GmbH, bevor überhaupt Öl über Polen nach Schwedt fließt – ob mit oder ohne Orlen-Beteiligung an der Raffinerie. Doch die Enteignung schiebt die Bundesregierung derzeit auf die lange Bank.
Dachte Obajtek an Schwedt als er die Ölmengen in Saudi-Arabien aushandelte?
Rein wirtschaftlich erscheint der Einstieg des polnischen Konzerns dann sinnvoll, wenn er dafür sorgen könnte, dass über den Nafto-Port Danzig substanzielle Mengen Erdöl per Pipeline nach Schwedt gepumpt werden können. Aber über den Danziger Hafen werden bereits polnische Raffinerien sowie die Raffinerie Leuna versorgt und für Schwedt blieben nach aktuellem Stand rund drei Millionen Tonnen Erdöl übrig – wobei etwa doppelt soviel benötigt würde, um die wegfallenden Lieferungen aus Russland zu kompensieren.
Vor diesem Hintergrund könnte für Orlen-Chef Obajtek der dringende Bedarf der PCK-Raffinerie durchaus auch eine Rolle gespielt haben, als er jüngst mit den saudischen Öl-Scheichen zusammensaß und mehr Öllieferungen aushandelte. Die Hafenkapazität dafür zu sichern wäre dann für Obajtek nächste Schritt. Im Januar dieses Jahres hat der Orlen-Konzern bereits einen Langzeitvertrag über Öllieferungen von Saudi Aramco unterzeichnet. Laut einem polnischen Medienbericht sollten sie damals rund 45 Prozent des geschätzten Gesamtbedarfs der Orlen-Gruppe, bereits mit Lotos, decken.