Fünf Tage vor dem Start der 2. Auflage von „Rave the Planet“ droht der Techno-Parade von Dr. Motte in Berlin (geplanter Start, 8. Juli 2023, 14 Uhr) nun eine kurzfristige Absage. Grund sei der unerwartete Rückzug des Malteser Hilfsdienstes, der ursprünglich mit rund 300 ehrenamtlichen Helfern den Sanitätsdienst der Großveranstaltung übernehmen sollte. „Die Absage kam am 21. Juni für uns völlig überraschend“, erklärt Timm Zeiss, Geschäftsführer von „Rave the Planet.“
Update (06. Juli): „Es gab keine offizielle Beauftragung und es gibt keinen Vertrag über Sanitätsdienstleistungen mit der Rave the Planet gGmbH“, entgegnet eine Sprecherin der Malteser auf Nachfrage am Dienstagabend. Auch mündliche Zusagen für die Erbringung von Sanitätsdienstleistungen habe es zu keinem Zeitpunkt gegeben.
Malteser sprechen von zu später Planung
„Ganz im Gegenteil haben wir als Malteser Hilfsdienst durchgehend darauf hingewiesen, dass bis vor wenigen Tagen wichtige Vorfragen und Zusagen dritter Einrichtungen ebenso fehlten wie etwa die vom Veranstalter zu organisierende Streckenführung und das Sicherheitskonzept“, betont die Sprecherin. „Ohne diese notwendigen Konzepte waren wir daher schon rein tatsächlich zu keinem Zeitpunkt in der Lage, dem Veranstalter ein für die Größe dieser Veranstaltung angemessenes und erforderliches Konzept zu machen.“
Man hätten den Sanitätsdienst unterstützen können, wenn die grundlegenden Planungen rechtzeitig vorbereitet gewesen wären. „Die Sicherheit der Teilnehmenden an einer Veranstaltung, aber auch die Sicherheit unserer Mitarbeitenden, hat für uns oberste Priorität.“
Der Malteser Hilfsdienst hatte nach Zeiss Angaben im März dieses Jahres von sich aus angefragt und seine Hilfe angeboten. „Wir hatten schon über Details gesprochen, aber keinen Vertrag geschlossen. Wir sind völlig irritiert, was den konkreten Hintergrund des Rückzuges angeht.“
Aufrufe zum Boykott
Dem Team um Paraden-Veranstalter Dr. Motte liegen nach eigenen Angaben lediglich zwei interne Rundschreiben vor, in denen leitende Führungskräfte verschiedener Sanitätsdienste zum Boykott der Parade aufgerufen hätten. Eine Begründung darin sei gewesen, dass die Verfasser des Schreibens mit anderthalb Millionen Teilnehmern rechneten und die Planungen für das Riesen-Event als kurzfristig ansehen würden.
Bei der ersten Auflage zu „Rave the Planet“ kamen im Sommer 2022 laut Behördenschätzungen rund 200.000 Menschen. Die Technoparade war eine Art Revival der weltbekannten, kurz nach der Wende von DJ Motte gegründete Loveparade. Mit rund 1,5 Millionen Ravern hatte die Berliner Loveparade 1999 alle Besucher-Rekorde gebrochen. 2010 endete das Techno-Spektakel in Duisburg allerdings in einer Katastrophe, als bei einer viel zu engen Routenführung eine Massenpanik ausbrach. 21 Menschen kamen ums Leben, rund 650 weitere wurden zum Teil schwer verletzt.
Auch um die Berliner Route gab es im Vorfeld der 2. „Rave the Planet“-Parade Sicherheitsbedenken. War der Zug mit Musikwagen noch im vergangenen Jahren am Ku’damm gestartet und führte über den Potsdamer Platz zur Siegessäule, soll die Veranstaltung am kommenden Sonnabend nun ausschließlich auf der Straße des 17. Juni zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule stattfinden.
Wenn es nicht noch eine Absage gibt. „Wir erwarten einen Bescheid von der Veranstaltungsbehörde, in dem es die Auflage geben könnte, dass wir nun einen eigenen Sanitätsdienst stellen müssen“, erklärt Zeiss. Doch die Veranstalter, eine gemeinnützige GmbH, die sich überwiegend über Spenden und Sponsoren finanziert, könnte die Kosten dafür gar nicht stemmen, schon gar nicht so kurzfristig, hieß es am Montag.
Die Veranstaltungsbehörde ist in diesem Fall die Berliner Polizei. „Zu den möglichen Auflagen können wir uns momentan noch nicht öffentlich äußern“, sagte am Montag eine Sprecherin auf Anfrage. Auch der Malteser Hilfsdienst e.V. ist bisher für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
„Von unserer Seite wird es natürlich keine Absage geben, doch sollte die Auflage kommen, werden wir den Rechtsweg voll ausschöpfen müssen“, betont Zeiss. Dann wäre der nächste Schritt das Verwaltungsgericht. „Das wollen wir nicht, müssen wir dann aber, alleine schon aus moralische Gründen den Teilnehmern gegenüber.“
Hoher wirtschaftlicher Schaden erwartet
Clubs und Musiker haben laut Veranstalter pro Wagen und Auftritt auf der als politische Demonstration angemeldeten Musikparade jeweils 20.000 bis 30.000 Euro investiert. „Alleine für die Stromversorgung für das Catering ging man mit 35.000 Euro in Vorleistung“, berichtet Zeiss. Den wirtschaftlichen Schaden für die Stadt, in der unter anderem der Tourismus von der Anziehungskraft der Parade profitiere, sehen die „Rave the Planet“-Macher bei einer Absage im Millionenbereich.
„Schon die Loveparade hatte eine gigantische Marketingwirkung für die Stadt. Und auch zu Rave The Planet reisen sogar Menschen aus Australien an“, sagt DJ Motte, der mit bürgerlichem Namen Matthias Roeingh heißt und mit der Parade am Sonnabend sowie mit mehreren geplanten Afterpartys in seinen 63. Geburtstag reinfeiern will.
200 Künstler und 19 Redner
Trotz der drohenden Absage plant sein Team weiter. Der Demonstrationszug mit bis zu 200 Künstlern und 19 politischen Rednern soll am Sonnabend um 14 Uhr auf der Straße des 17. Juni (Ost) starten und auf der nördlichen Fahrbahn in Richtung Großer Stern ziehen und die Siegessäule umrunden.
Anschließend kehrt der Zug auf der südlichen Fahrbahn zurück, macht einen U-Turn vor dem Brandenburger Tor und setzt den Weg wieder auf der nördlichen Fahrbahn der Straße des 17. Juni fort. „Aufgrund einer Baustelle auf der westlichen Strecke der Straße des 17. Juni ist es nicht möglich, die gesamte frühere Loveparade-Strecke zu nutzen“, erklärt Kreativ-Direktorin Ellen Dosch-Roeingh.
Keine Bühne an der Siegessäule
Sollte die erwartete Zahl von 300.000 Teilnehmenden überschritten werden, seien Entlastungsflächen entlang der Route eingeplant. In einem abgestuften Maßnahmenplan können dann die Musiktrucks darauf verteilt werden. Eine Bühne an der Siegessäule sei in diesem Jahr nicht erlaubt gewesen.
Dr. Motte will die Eröffnungs-, sowie die Abschlussrede halten. Für die Parade hat er gemeinsam mit dem Musiker Jam El Mar auch eigens eine neue Hymne mit dem Titel „Music Is The Answer“ (Musik ist die Antwort) aufgenommen, mit der er die Botschaft der Parade „Liebe, Frieden, Toleranz“ transportieren will.
Zu den politischen Forderungen gehören unter anderem die „Anerkennung der elektronischen Musikkultur als zu schützendes Kulturgut“, der deutschlandweite „Schutz von Clubs als Kulturstätten“, ein „Bedingungsloses Grundeinkommen für Künstler:innen und Kulturschaffende“ sowie die „bundesweite Abschaffung von allen Tanzverboten im Besonderen auch an christlichen Feiertagen“.
Weil die Parade als Demo angemeldet ist, wird es, anders als bei rein kommerziellen Open-Air-Partys wie zum Beispiel den Silvesterfeierlichkeiten, keine Zugangsbeschränkungen geben. Im vergangenen Jahr musste die Polizei an der Siegessäule gegen 22 Uhr die Paraden-Party allerdings auflösen, weil es dort zu voll wurde. Die Veranstalter erwarten, dass unter anderem die Bahnhöfe „Unter den Linden“ sowie „Tiergarten“ wegen eines erhöhten Menschenaufkommens schon früh von der BVG geschlossen werden müssen.
135 Kubikmeter Müll
Das „Rave-the-Planet“- Team bittet zudem die Besucher, keine Glasflaschen oder Glitzer-Konfetti aus Plastik mitzubringen, um Menschen und Umwelt zu schützen. Laut der Berliner Stadtreinigung BSR wurden nach der Rave The Planet Parade 2022 rund 135 Kubikmeter Müll von den Straßen beseitigt, vorwiegend Getränkeverpackungen, wie Glasflaschen und Getränkekartons.
Wie schon im vergangenen Jahr wollen die Organisatoren deshalb am Sonntag um 11 Uhr erneut mit einem Team von ehrenamtlichen Helfern beim sogenannten „RaveThe Planet Clean-Up Day“ in den Tiergarten ausströmen. „Wir ziehen uns dann selbst die orangefarbenen Westen über, bewaffnen uns mit Zangen und sammeln den ganzen Müll ein, der durch uns entstanden ist oder vielleicht auch schon vorher dagelegen hat“, kündigt Ellen Dosch-Roeingh.
Update: Am Nachmittag des 6. Juli erreichte die Organisatoren der Parade tatsächlich der Auflagenbescheid der Berliner Versammlungsbehörde, in dem ihnen die Eigenfinanzierung des Sanitätsdienstes für die Versammlung auferlegt wurde. „Die Angelegenheit befindet sich derzeit bei unseren Anwälten in der rechtlichen Prüfung“, hießt es von der Rave the Planet gGmbH.