Von der Baustelle des Petriplatzes schaut der Spaziergänger auf DDR-Plattenbauten und neue Hotelsquader an der Gertraudenstraße. "Wenn ich sage, hier ist das mittelalterliche Stadtzentrum, denken immer alle, ich haluziniere", sagt Claudia Melisch. Doch trotz Brandkastastropfen, Kriegszwrstörung, Stadtumbau und Sprengungen hat die Ausgrabungsleiterin mit ihrem Archäologen-Team auf der Baustelle des künftigen "House of One" ein paar Beweise freilegen können. Neben hohen Sandberger sieht man Ziegel-Kalkstein-Mauern aus dem aufgebuddelten Boden ragen.
Dort, wo in den kommenden Jahren Juden, Christen und Muslime ein gemischtes Gotteshaus errichten wollen, stand bis in die 1960er-Jahre die St.-Petri-Kirche. Sie gehörte im Mittelalter zu den ersten Kirchen der Doppelstadt Berlin-Cölln. Um 1230 erbaut, wurde sie mehrmals um- und neugebaut und 1964 von der DDR gesprengt, um Raum für die Neugestaltung der sozialistischen Vorzeigemetropole zu schaffen. "Man wollte die mittelalterliche Kleinstruktur auflösen, um ein modernes Großstadtgesicht zu schaffen", erklärt Melisch, die ab und zu Führungen über die Baustelle anbietet.
Dabei kann man viel über die Gegend erfahren. Zum Beispiel, dass sich hier schon Mitte des 19. Jahrhunderts Kaufhaus-Magnaten ansiedelten. Rudolph Hertzog (1815 bis 1894) gilt dabei als der Erfinder des Versandhandels, weil er den Frauen die Korsetts zur Anprobe nach Hause schickte. "Das Kaufhaus Hertzog war auch das, das Festpreise in Berlin einführte", berichtet Melisch.
Von dem riesigen Komplex mit über drei Kilometern Regalfläche und einer eigenen Abteilung nur für schwarze Stoffe ist heute nur noch ein vierstöckiges Gebäude übrig. Das historische Juwel an der Brüderstraße wird gerade zum noblen Bürohaus restauriert. Gleich nebenan an der Nordseite des Petriplatzes, wo sich 1848 die Revolutionäre der Märzrevolution im Cöllner Rathaus verschanzten, steht seit zwei Jahren ein Hotel. Wer die Lobby des "Capri by Fraser" betritt, läuft über ein archäologisches Fenster. Unter dem Glasboden sehen die Gäste auf freigelegte Kellermauern, Steinfußböden und einen Brunnen. Die Bauwerkreste kamen schon 2007 bis 2010 zutage.
Melisch war damals schon dabei als 3000 Gräber des Petri-Kirchhofs entdeckt wurden. Anhand der über 800 Jahre alten Skelette forscht sie bis heute gemeinsam mit Charité-Wissenschaftlern nach den Ureinwohnern der Doppelstadt. "Anhand der Knochen kann man etwas über die Lebensbedingungen und die Herkunft der Menschen erfahren", erklärt Melisch. Weil die 40 ältesten männlichen Toten nicht miteinander verwandt waren, gehe man davon aus, dass die Gegend nicht wie der Wilde Westen mit Familien besiedelt wurde. Die Menschen, die sich vor mehr als 800 Jahren auf dem Handelsweg zwischen Magdeburg und Frankfurt (Oder) an der Spree niederließen, stammten ähnlich wie heute aus verschiedenen Gegenden.
Über die Gründungs-Geschichte der Doppelstadt Berlin/Cölln sei bis heute sehr wenig bekannt, sagt Melisch. Das älteste Dokument, in der die Ortschaft Cölln erwähnt wird, stammt von 1237. Das Datum wird heute auch als Berliner Gründungsjahr gefeiert, auch wenn die Knochenfunde älter sind.
Weitere Spuren von Alt-Berlin werden die Archäologen sicher auch ein paar Schritte weiter vor dem Umbau der Gruner Straße freilegen. Anfang des Jahres haben am Molkenmarkt die Grabungen begonnen. Bis Ende Juli bietet das Landesdenkmalamt Berlin immer freitags um 14 Uhr kostenfreie Grabungs-Führungen an. Treffpunkt ist Poststraße, Ecke Mühlendamm vor dem Bauzaun am U-Bahnhof Klosterstraße.
Am 24. Mai lädt Archäologin Claudia Melisch erneut zu einer kostenlosen Führung auf dem Petriplatz ein. Treffpunkt ist um 17 Uhr Scharrenstraße/Ecke Petriplatz. Anmeldung: info@house-of-one.org oder 030 24759510
House of One
Auf dem Petriplatz soll bis 2021 das "House of One" entstehen. Juden, Christen und Muslime bauen gemeinsam ein Gebäude, unter dessen Dach sich eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee befinden. Es soll ein Ort des Gebets, der interdisziplinären Lehre und der Begegnung der unterschiedlichen Religionen sein.
Die Baukosten des weltweit einzigartigen Projekts werden mit 43,5 Millionen Euro beziffert und etwa zu gleichen Teilen vom Bund, von der Stadt Berlin sowie aus Spenden finanziert. Schon jetzt laden die Gründer regelmäßig zu Veranstaltungen und multireligiösen Gebeten ein. Infos unter: house-of-one.org/de neu
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