Ähnlich verhält es sich mit Janetzko, der noch vor wenigen Jahren als hoffnungsvoller Nachwuchsfotograf galt und heute ein profilierter Lichtbildner ist, den die Berlinale regelmäßig zur begleitenden Fotografie unter Vertrag nimmt. 2014 erhielt er den Brandenburgischen Nachwuchs-Förderpreis. Bis sich die Freundschaft der beiden fand, war es ein langer Weg, beide hatten sie unterschiedliche Biografien; bei Körner war sie stark von der DDR geprägt, bei Janetzko, dem im Jahr 1981 Geborenen, sind es eher die Anfangsjahre des wiedervereinigten Deutschlands, in dem so viel möglich schien und alle Wege offen waren. Vor zehn Jahren fanden sie eine gemeinsame künstlerische Leidenschaft: Uganda.
Körners Weg war alles andere als geradlinig. In einem christlich geprägten Elternhaus aufgewachsen, entwickelt er frühzeitig Abneigung gegen jegliche Norm: Er mag die Schule nicht, schwänzt sogar, verweigert sich den "Jungen Pionieren" und er geht nicht hin zu den Spiele-Nachmittagen. Stattdessen steht er früh auf und hört Musik auf dem Plattenspieler der Eltern. Die populären Bands jener Zeit, die Beatles? Stones? Weit gefehlt: Es sind Schostakowitsch und Dvorak. Schwieriger Stoff für einen 15-Jährigen, ein Alter, in dem sich die Wenigsten für Klassik interessieren. Das Hineinversetzen in sinfonische Welten ist seine Art, mit den gesellschaftlichen Vorgaben und Normen zurechtzukommen.
Körner macht eine Ausbildung zum Krankenpfleger, wechselt bald darauf ins Töpferhandwerk, und ist zum ersten Mal nah dran an der Kunst, er experimentiert, ist neugierig, erkundet vieles selbst, und baut sich einen eigenen Brennofen. Er entwickelt eine existenzielle Neugier, die er bis heute beibehält. Doch zunächst meldet er ein Gewerbe an – als Töpfer. "Der Antrag ist abzulehnen!" Den Satz, eine zum Befehl gefrorene "Empfehlung" der Stasi an die Behörden, findet er später in seiner Stasi-Akte. In den 90er-Jahren hatte sich Körner – nach der Arbeit mit geistig-behinderten Kindern und einem Job als Heizer in einer Kirche – hauptberuflich der Malerei zugewandt. Er bleibt ein unruhiger Geist, ein Suchender. Und hat bald Erfolg mit Ausstellungen im In- und Ausland.
Zu einer Zeit, in der Alexander Janetzko noch ein Teenager war. Die DDR hat er nur noch marginal wahrgenommen. Als die Mauer fiel, war er acht Jahre alt. Er geht zunächst aufs Sorbische Gymnasium, arbeitet in der Video-Werkstatt des Gladhouse, ein von der Szene erfundener Scherzname für das Haus der Jugend. Schon als Kind übt er auf der Practica seines Vaters und weiß bald, dass Fotografie sein Leben bestimmen wird. In der Foto-AG findet er das Selbstvertrauen dafür. Aber noch ist Zeit für anderes: ein paar Jahre spielt er in einer Punk-Band. Er gründet die Cottbuser Filmschau mit und wird nur wenig später Student an der Ostkreuzschule für Fotografie. Da ist die Idee, Kameramann zu werden, noch nicht ganz vom Tisch. Doch bald gelangt er zu der Auffassung: Ein gutes Bild genügt. Es bedeutet mehr Konzentration, in der Absicht, das Wesentliche erkennbar zu machen – im Einzelbild. 2005 gehört er zu den ersten Studierendenjahrgängen an der Schule. "Wir lernten, ganze Welten in Bilder zu packen", sagt Janetzko. Der Fotograf agiert als Autor, er erzählt Geschichten. Dann der Ritterschlag. Der Fotograf Arno Fischer holt ihn in seine Meisterklasse.
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Körner hatte inzwischen als Maler seinen Weg eingeschlagen. Hatte sich aus den 90er-Jahren herausgearbeitet hin zu einem der profilierten Maler des Ostens. Zwei Mal erhielt er den Brandenburgischen Kunstpreis. Sein künstlerisch-ästhetisches Profil schärft sich deutlich. Seine Bilder abstrahiert er und sie entspringen der Erkenntnis, dass alles schon einmal "gesehen" ist. "Innerlich habe ich immer einen Fluchtkoffer bei mir", sagt er.
1996 lädt ihn die Deutsche Botschaft zu einem Lehrauftrag in Kampala ein, der Hauptstadt von Uganda. Als Deutscher Kunst zu vermitteln in einem der ärmsten Länder der Welt – geht das denn? Und hat es nicht etwas Hochfahrendes? Käme er nicht in diese überlegene Lehrer-Situation, in die er nie kommen wollte? Wie schnell wird aus dem Lehrer der Belehrende. Körner hat ein feines Gespür dafür. Er zögert – und nimmt dann doch an. Zumindest für ein Semester. Und bereut es nicht. Er gibt Workshops und lernt eine junge, kreative Kunstszene kennen. Menschen die sich auf ihre Weise äußern zu den Konflikten des Landes.
2008 fragt Körner Janetzko, ob er mitkommen möchte. Uganda? Warum nicht! Janetzko will. Er hatte inzwischen in vielen Projekten mitgearbeitet, kann auf eigene Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen verweisen. Ab dem Jahr 2010 holt ihn der damalige Berlinale-Chef Dieter Kosslick als Festival-Fotograf einmal jährlich nach Berlin. Wie es da sei auf der Berlinale, dem Treff der Schönen und Prominenten und so ganz nah dran? "Also ich habe kein Fan-Gen", sagt Janetzko. Champagner und Häppchen interessieren ihn nicht. Der rote Teppich ist doch nur ein Motiv. Er sehe das alles durch die Linse des Fotoapparates. "Ich dokumentiere" sagt er. Seine Fotos sind nicht "eitel" – eben alte Ostkreuzschule.
Janetzko braucht Zeit, um sich an Uganda zu gewöhnen. Er versucht in den Gesichtern der einfachen Menschen zu lesen. Es dauert länger, bis sie sich öffnen. Dann entstehen wunderbare Porträts – besonders solche von Frauen, die das Land tragen mit ihrer Arbeit und zugleich die Kinder erziehen. "Uganda erdet mich immer", sagt Körner. Mit zwei Euro am Tag leben zu müssen, sei eine Kunst.
Janetzko begann im Jahre 2017 ein Studium an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Die Studienrichtung: Ökologischer Landbau und Vermarktung. Er wüsste, was man tun könnte für Uganda, von wo aus er vor einigen Tagen von einer weiteren Reise zurückkehrte. Doch soll er die Leute belehren? Das will er ebenso wenig wie sein Freund Körner. Manchmal helfen gute Gespräche mit guten Freunden am Brunnen, der auf dem Grundstück der Freunde steht und wo sich das Dorf trifft.
Janetzkos fotografischer Stil, sein Blick für die sozialen Realitäten der Welt erinnern an Sebastião Selgado, den brasilianischen Fotografen und Umweltaktivisten. Solcherart Vergleiche mit einem der besten Lichtbildner weltweit lässt Janetzko gar nicht zu. Spannend die Frage, was er tun wird, wenn er sein Studium beendet haben wird. Geht er raus in die Welt? Oder bleibt es immer Uganda? Sicher ist: Er wird weiter fotografieren, wird sein Wissen einbringen, wo auch immer. Vielleicht wird Matthias Körner, der sich seit Längerem auch der Fotografie widmet, seine vor vielen Jahren selbstgebaute Lochkamera zur Reife bringen, vielleicht einen Spielfilm drehen. Das Drehbuch sei schon fertig, sagt er.
In seiner Heimat Brasilien hat Sebastião Salgado auf dem Land seiner Familie 2,5 Millionen Regenwaldbäume gepflanzt. Mit dem Resultat, dass sich der Boden erholt und sich der Wasserhaushalt langsam reguliert. Auch Körner und Janetzko wissen es: Alles, was man ernsthaft angeht, kann die Welt besser machen.
Kurpark Kolonnaden/Artprojekt, Seestr. 11, Bad Saarow
16. August bis 15. September 2019, Freitags bis Sonntags, jeweils 11-15h