Erst als die nette Nachbarin ihren Säugling neben das "kleine Stück Brüllfleisch" legt, kehrt Ruhe ein: Frank hat ihn das erste Mal gerettet ("schmiege mich an das Riesenbaby und beginne zu leben"). Es ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
In "Niemandsland" erinnert sich der Maler und Grafiker Matthias Friedrich Muecke (Jahrgang 1965) an seine eigene Kindheit in Ostberlin und "für immer Blutsbrüder". In kurzen Episoden und starken Schwarz-Weiß-Zeichnungen  lässt er eine untergegangene Welt wieder aufleben. Er erzählt die Geschichte zweier Heranwachsender ohne Smartphone und verglichen mit heute fast totaler Freiheit, erst Kinder, dann Jugendliche, die so unterschiedlich wie unzertrennlich sind. Die Hinterhöfe von Pankow sind ihr Spielplatz, der ihre Gier nach Abenteuern befriedigt, aber auch der Ort, wo sie gruselige und schreckliche Dinge erleben. Fragmentarisch streift der Erzähler den gewalttätigen Stiefvater, Flimmerstunde, Sprünge vom Zehner, Kittelschürze und Liebesknochen, Moped fahren, die Willkür eines autoritären Systems, den perversen Westonkel  von Kumpel Torte Torsten … Und tastet sich schließlich zum Entsetzlichsten vor. Denn Frank schafft es nicht, erwachsen zu werden. Viel später, als der Erzähler die Wohnung seiner Mutter auflöst, macht er dann eine unglaubliche Entdeckung.
Das Buch von Muecke, der 2013 den Brandenburgischen Kunstpreis erhielt, ist eine Zeitreise in eine vergangene Epoche und berührendes Zeugnis tiefer Verbundenheit. Für alle Nachgeborenen gibt‘s im Anhang noch ein illustriertes DDR-Lexikon – von ABV (Abschnittsbevollmächtigter) bis Zentralkomitee.
Matthias Friedrich Muecke: "Niemandsland. Erinnerungen an eine Kindheit", Kunstanstifter, 208 S., 24 Euro