Mit einer neuen Ausstellung will das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) in Potsdam die Besucher durch zehn Jahrhunderte Landesgeschichte seit der Gründung der Mark Brandenburg im Jahre 1157 führen. „Es ist eine Auseinandersetzung mit Geschichten, Bildern und Mythen“, sagt Kurt Winkler, Projektleiter der „Brandenburg.Ausstellung“. Neben zahlreichen Bildtafeln und Mediastationen sind auch rund 230 Originalobjekte zu sehen, die die Landesgeschichte greifbar machen sollen.
Geschichte und Kultur Brandenburgs haben wesentlich mehr zu bieten als den Mythos von der Streusandbüchse. Das macht die Landesschau auf vielfältige Weise deutlich. Wobei sie keine vorgefertigten Antworten geben möchte auf die Frage: Was ist typisch Brandenburg? Das möge jeder Besucher für sich selbst beantworten, sagt Winkler.
„Brandenburg tut sich traditionell schwer mit seiner eigenen Identität“, erklärt der frühere HBPG-Direktor. Unser Land habe „nicht so ein ungebrochenes Selbstverständnis wie etwa Bayern“. Bedingt durch die wechselvolle Geschichte Brandenburgs als Teil von Preußen, das Verhältnis zur Metropole Berlin und die vier Jahrzehnte DDR-Geschichte, gebe es „keinen Vorrat an Bildern, die jeder bei der Erwähnung von Brandenburg vor Augen hat“. Daher zeige die neue Landesschau ein buntes Kaleidoskop der Mark. Winkler spricht von einem „großen Blumenstrauß“, der als Einladung zu verstehen sei, ins Land rauszufahren und die Früchte zu entdecken. Die „Überblickspräsentation“ lässt anhand von Stichpunkten zehn Jahrhunderte – in 14 Kapiteln von den slawischen Anfängen bis in die jüngste Gegenwart – Revue passieren.
Im ersten Teil, der die Geschichte bis 1900 abdeckt, geht es etwa um den Beitrag der Zisterzienser zur Erschließung des Landes, um Adelskultur und Gutswirtschaft, um das Verhältnis von Mark und Metropole, um Aufklärung, preußische Reformen und Industrialisierung, Toleranz und die Hohenzollern-Dynastie.
„Lebende Porträts“ von historischen Persönlichkeiten
Neben klassischen Exponaten bedienen die Ausstellungsmacher auch die neuen digitalen Seh- und Hörgewohnheiten. An zehn Medienstationen können Besucher Videos und Audios abrufen. Zu sehen gibt es auch zehn „Lebende Porträts“. Für diese Filmsequenzen sind Schauspieler in die Rollen historischer Persönlichkeiten wie Friederike Sophie Wilhelmine, die Lieblingsschwester von König Friedrich II., der Frauenrechtlerin Emma Ihrer, der Gutsherrin Henriette Charlotte Gräfin von Itzenplitz oder auch Theodor Fontanes Ehefrau Emilie geschlüpft.
Weniger aufschlussreich ist hingegen der zweite Bereich, der das 20. Jahrhundert in den Fokus nimmt. Für diese zehn Dekaden voller einschneidender Ereignisse, die das Leben der Brandenburger wie nie zuvor geprägt haben – Weimarer, NS- und DDR-Zeit sowie 30 Jahre Bundesland Brandenburg – stehen lediglich vier Schaudepot mit einem Dutzend Objekten und einer Medienstation zur Verfügung. „Das 20. Jahrhundert bedürfte eigentlich viel mehr Raum und müsste kleinteiliger erzählt werden – bis hin zum Blick in die Familiengeschichte“, gesteht Winkler ein.
Hier stellen wir fünf ausgewählte Exponate aus der neuen „Brandenburg.Ausstellung“ im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam vor:
Das Gröbener Kirchenbuch gilt als das älteste erhaltene der Mark Brandenburg. Die ersten Eintragungen stammen aus dem Jahre 1578 und reichen bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts. Theodor Fontane reiste mehrmals nach Gröben (Teltow-Fläming), um das Kirchenbuch einzusehen. In seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ gibt er auf mehreren Seiten Auszüge wieder. Über den Inhalt dieses „alten, wurmstichigen und selbstverständlich in Schweinsleder gebundenen Bandes“ schreibt Fontane: „Es ist ein vollkommner Mikrokosmus (…) Krieg- und Pest und Wasser- und Feuersnot und Mißwachs und Mißgeburten. Und daneben Unglück über Unglück … Fischer ertrinken, Brautzüge werden vom Sturm überrascht und in Winterdämmerung Verirrte brechen ein in die kaum überfrorenen Lunen oder erstarren in dem zusammengewehten Schnee. Dazu Mord und Brand, und Stäupung und Enthauptung, und auf jedem dritten Blatte das alte Lied von Ehebruch und ‚Illegitimitäten‘ aller Art.“
Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) zieht Brandenburg-Preußen besonders stark in Mitleidenschaft. Einzelne Regionen Brandenburgs sind nahezu entvölkert; von rund 8000 Dörfern sind nur noch die Hälfte bewohnbar. Von dieser Zeit des Krieges und Hungers künden diese zwei menschlichen Schädel, auf die Archäologen bei ihren Ausgrabungen gestoßen sind. Der Schädel eines Mannes (links) weist eine verheilte Hiebverletzung auf. An den Zähnen eines etwa zehnjährigen Kindes (rechts) lässt sich Mangelernährung ablesen.
Über Jahrhunderte wurde Brandenburg als „Streusandbüchse des Heiligen Römischen Reiches“ bezeichnet. Der Begriff taucht schriftlich fixiert erstmals 1733 in dem enzyklopädischen Werk „Vollständige Geografie“ des Hamburger Lehrers Johann Hübner auf. Wobei der aufklärerische Pädagoge von einem „Satyrischen Kopf“ schreibt, der diesen Ausdruck geprägt haben soll, um die karge, an Sand reiche Naturlandschaft Brandenburgs in Worte zu kleiden. Sand hatte in der Schriftkultur eine wichtige Funktion, wie dieses Anfang des 19. Jahrhunderts aus Meißener Porzellan hergestellte Schreibzeug mit Streusandbüche belegt: Da die damals verwendete Eisengallustinte nur langsam trocknete, bestreute man das Papier nach dem Schreiben mit feinem Sand, weshalb zu jedem Schreibzeug neben dem Tintenfass und der Ablage für Federkiele auch eine mit Sand gefüllte Dose mit perforiertem Deckel gehörte – quasi ein Sand-Streuer.
Julius Jacobs Ölgemälde „Der Wilhelmplatz im Frühling“ aus dem Jahre 1886 zeigt Ammen aus dem Spreewald mit Berliner Säuglingen. Junge Frauen in sorbischer Tracht mit großer Haube waren bis in die 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts ein gewohnter Anblick in den wohlhabenden Berliner Stadtbezirken. Die Spreewälderinnen galten als gesund, fleißig, treu, ehrlich, genügsam – und vor allem gehorsam. Sie gehörten zwar zu den am besten bezahlten „Dienstboten“ der Bourgeoisie. Nach Berlin aber kamen sie aus Gründen der Not, etwa um Geld zu verdienen für ein neues Dach des heimatlichen Gehöftes. Dafür mussten die Frauen das eigene Kind bei Verwandten zurücklassen, sich allein in der fremden Welt der Großstadt zurechtfinden, ohne sorbische Sprache, Bräuche und Dorfgemeinschaft auskommen. Sozialdemokraten wie August Bebel kritisierten harsch die Praxis, dass sich wohlhabende Berliner Familien Ammen aus dem Spreewald „mieteten“.
Die mittelalterlichen drei Chorfenster der Marienkirche in Frankfurt (Oder) waren 1941 zum Schutz vor Zerstörung ausgebaut worden und gelangten zunächst nach Potsdam, dann nach Berlin, von wo aus sie im Juni 1946 als Beutekunststücke in die St. Petersburger Eremitage gelangten – und bis kurz nach der Wende als verschollen galten. Nach jahrelangen Verhandlungen zwischen Russalnd und Deutschland konnten die einzigartigen Bleiglasfenster im Jahre 2002 an die Oder zurückkehren. Eine der Transportkisten, in der die Scheiben damals verpackt waren, ist in der „Brandenburg.Ausstellung“ zu sehen.
„Brandenburg.Ausstellung“, Di/Mi/Fr–So 11–18 Uhr und Do 11–20 Uhr, Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Am Neuen Markt 9, Potsdam; freiwilliger Eintritt zwischen null und zehn Euro; weitere Infos unter www.hbpg.de