Es ist ein besonders glückliches Zusammenspiel. Der Kirchenraum der 1867 erbauten Backsteinkirche im Temnitzdorf Vichel mit seinem maroden Charme, den abblätternden Farben und historischen Gebrauchsspuren. Und die Kunst des Ehepaars Dornseif-Wagner, die seit 25 Jahren in der unmittelbaren Nachbarschaft auf einem Resthof leben und nun einen ungewöhnlichen Dialog mit dem Kirchenraum aufmachen.
Dabei haben sie mit Kirche nicht viel am Hut, auch wenn sie einst Plänen, das marode Gebäude in Vichel abzureißen, engagiert widersprochen haben, erzählen sie während des Aufbaus. Doch kirchliche Motive kreuzen sich in ihren Arbeiten und wirken nun im Raum noch einmal besonders stark.
Armiereisen und Plastiktüten
Nicht nur ein Raum, eher eine Bühne ist es, die der demnächst 75-jährige Frank Dornseif für den italienischen Manieristen Pontormo hat bauen lassen: ein offenes weißes Kabinett im Kirchenschiff, quasi ein halber White Cube, der den Rahmen für die Arbeit „Ein Raum für Pontormo“ schafft. Zwei monumentale Gestelle aus Armiereisen stehen sich gegenüber, meterhoch, und zeichnen die Umrisse von Pontormos Hauptwerken „Kreuzabnahme“ und „Mariäe Heimsuchung“ nach. Wie ein Schattenbild steht die Zeichnung auf der weißen Wand, und die berühmten pastellig leuchtenden Farben, das Rosa, das Hellgrün, das Himmelblau und Zitronengelb, entstehen, indem Dornseif Plastiktüten an die Wand tackert, die er damals in Florenz auf den Straßen fand. Entstanden ist die Arbeit während eines Aufenthalts in der Villa Romana 1984 und kommt nun, fast vierzig Jahre später, noch einmal aus dem Depot, und wirkt so frisch und stark wie eh.
Auseinandersetzung mit Katholizismus
Was dem einen die Wiederbegegnung mit den Anfängen, ist der anderen ganz frische Inspiration. Elke Wagner, die sonst in Beton arbeitet, hat für die Ausstellung großformatige Collagen angefertigt, die sich in harter, kritischer Manier mit Kirche, Glauben, Katholizismus, aber auch mit den Untaten des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen. „Kreuz als Zeichen“ nennt die Rheinländerin, die früh Katholizismus in ausgeprägerter Form erfuhr und sich irgendwann von der Kirche trennte, seit längerem eine Serie von ansonsten titellosen Arbeiten. Und lässt in Skupturen, die sie frei im Raum verteilt, Formen wie Urne, Kelch oder Kreuz und Stoffe wie Blut oder Blei anklingen. Auch hier, inhaltlich vielleicht sogar noch stärker und prägnanter, entsteht ein Dialog mit dem Raum und der ihm innewohnenden Spiritualität.
Dass es jetzt, wenige Hundert Meter von der ausgebauten Scheune, in der sie seit 1998 wohnen, arbeiten und die Ferienwohnung Vichelarium betreiben, zu dieser Doppelausstellung gekommen ist, bezeichnen beide als Fügung. Die Idee des Garzer Nachbarn André Schmitz und des Fördervereins Vicheler Dorfkirche sei „wie ein Weckruf“ gewesen, sagt Wagner. Denn schmerzlich haben beide, die im West-Berlin der 1980er Jahre Erfolg, Ausstellungen, Preise und Künstlerkontakte schätzten, die Wende 1989 als Bruch erlebt.
Neuanfang in Brandenburg
Nach einem Jahresstipendium frisch aus London zurück, standen sie 1990 ohne Wohnung, ohne Atelier da, und mussten erfahren, dass West-Berliner Künstler im wiedervereinigten Berlin nicht gerade dringend gefragt waren. Der Schritt, den Lebensmittelpunkt komplett nach Brandenburg, aufs Dorf, zu verlagern, geschah nicht ganz freiwillig, war verbunden mit langjährigen Ausbauarbeiten an den maroden Gebäuden. Er hat Kontakte abbrechen lassen und trotz Beteiligung an lokalen Kunst-Initiativen wie Land (Schafft) Kunst in Neuwerder, dem Projekt Kunst Bänke oder dem Brandenburgischen Kunstpreis, den Resonanzraum kleiner werden lassen.
Höchste Zeit also, ihn wieder weiter werden zu lassen. Die Ausstellung in Vichel ist dafür ein guter Anfang. Und wie hat Elke Wagner in einem frühen Interview einmal gesagt. „Die Kunst ist für mich ein Raum der Freiheit, einer ganz persönlichen Freiheit“.
Eröffnung der Ausstellung am 3. Juni, 16 Uhr, in der Dorfkirche Vichel. Die Eröffnungsrede hält Peter Raue. Geöffnet ist die Ausstellung bis 29. Oktober Sa und So 15 bis 18 Uhr.