Doch das hält die reformfeindliche SED-Führung nicht davon ab, "ihren" Staat, der damals 40 Jahre alt wird, noch einmal wirkmächtig zu inszenieren – mit einer opulenten "Leistungsschau" über die sozialistische DDR-Hauptstadt. Ausgerichtet wird sie vom Ost-Berliner Magistrat und der SED-Bezirksleitung für die "Berliner Tage", die vom 1. bis 20. Juni 1989 auf dem Gelände der Allunionsausstellung in Moskau stattfinden.
Das ist inzwischen drei Jahrzehnte her, die DDR längst Geschichte und die Propagandaschau in Moskau höchstens noch eine Fußnote wert. Wären da nicht 2016 zwei Mitarbeiter des Potsdamer Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte im Freilichtmuseum Altranft (Märkisch-Oderland) über verstaubte großformatige Ausstellungstafeln mit rotstichigen Berlin-Fotos und russischer Beschriftung gestolpert. Dem Fund folgen kriminalistische Recherchen bis in Moskauer Archive – und die bringen ans Licht: Im Oderbruch lagern die Überreste der SED-Protzschau.
Ein Seitenhieb auf Perestroika
Die letzten Tage der DDR sind nun noch einmal lebendig. Das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte zeigt 49 erhaltene von einst 1850 Holztafeln, die seinerzeit im Allunionszentrum präsentiert wurden.
Magistrat und Partei scheuen 1989 weder Kosten noch Mühen, um Berlin und die "erfolgreiche Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" von ihrer schönsten Seite zu zeigen – auf 12 000 Quadratmetern! Dabei ist die messeartige Schau in Moskau auch ein kräftiger Seitenhieb auf die von Auflösungserscheinungen und Mangelwirtschaft geprägte sowjetische Gesellschaft, auf Glasnost und Perestroika.
Mehr als 600 Arbeitskräfte aus der DDR – Techniker, Monteure, Handwerker, Grafiker und sogar Ärzte – sind mit dem Aufbau und der Betreuung der rund acht Millionen Ostmark teuren Ausstellung beschäftigt. Hunderte Farbbilder zeigen Ost-Berlin, wie sich der Arbeiter- und Bauernstaat gerne selbst sieht: makellose Neubauten, spielende Kinder, Sonne genießende Teenager, glückliche Bauarbeiter, Rentner beim Plausch vor der Kaufhalle. Neben den Fototafeln ist eine Art DDR-Erlebniswelt aufgebaut: Die Besucher dürfen Haushaltsgegenstände und Unterhaltungstechnik bestaunen, einen möblierten Kindergarten, eine Zahnarztpraxis, ein Krankenhauszimmer sowie eine originalgetreu nachgebaute Drei-Zimmer-Neubauwohnung. Bäcker bieten Plunderstücken an, Gastronomen reichen Bockwürste und schenken Freibier aus.
Die Propagandaschau ist ein riesiger Erfolg, in den drei Wochen werden 400 000 Besucher gezählt. In einem der erhaltenen Gästebücher schwärmt eine Moskauerin: "Ich habe noch nie so etwas Schönes gesehen." Auch die DDR-Medien berichten ausführlich über die "Berliner Tage".
Den krassen Gegensatz zur SED-Selbstbeweihräucherung in Moskau beleuchtet der zweite Teil der Präsentation im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte: In privater Hand hat sich die Ausstellung "Suchet der Stadt Bestes" erhalten. Sie wird kurz vor dem Mauerfall, vom 10. September bis 8. Oktober 1989, in der Potsdamer Nikolaikirche am Alten Markt gezeigt.
Projekt wäre fast gescheitert
Die Initiative dazu geht von Michael Heinroth und Michael Zajonz aus. Die beiden Potsdamer Bürgerrechtler wollen das damals öffentliche Schweigen zum fortschreitenden Verfall und bereits begonnenen Flächenabriss der barocken Altstadt brechen. Es bedeutet für sie und ihre Mitstreiter ein enormes persönliches Risiko, die Ausstellung umzusetzen – in den eigenen vier Wänden, nach Feierabend und an den Wochenenden, aus eigener Tasche bezahlt. Die Texte und Zeichnungen werden per Hand gefertigt. Beigefügte Schwarz-Weiß-Fotos dokumentieren die verfallene Altstadt, leer gezogene Häuser, Abrisscontainer auf den Straßen. Es sind Bilder, die bisweilen an die Zeit nach dem Krieg erinnern.
Fast scheitert damals das Ausstellungsprojekt, da staatliche Kultureinrichtungen nicht bereit sind, die Präsentation zu zeigen. Schließlich stellt die evangelische Gemeinde die Nikolaikirche zur Verfügung. Die Resonanz der kleinen Schau ist überwältigend: 10 000 Besucher geben das hoffnungsvolle Signal, die drohende Zerstörung der Potsdamer Altstadt doch noch verhindern zu können. Und tatsächlich: Am 1. November 1989 verfügt die Stadtverordnetenversammlung einen Abrissstopp.
Ausstellung bis 23.6., Di–Do 10–17 Uhr, Fr–So 10–18 Uhr, Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Am Neuen Markt 9, Potsdam, Tel. 0331 6208550
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