„Endlich“, seufzt Thomas Rühmann mit Blick in das vollbesetzte Zuschauerrund im Theater am Rand. „Ein Gefühl, fast wie früher“, wird er nach dem Konzert zufrieden sagen. Ist es die Sehnsucht nach gemeinsamer Kultur, nach so langer Abstinenz, oder der gute Zweck, der die Menschen an diesem Saisoneröffnungsabend nach Zollbrücke gelockt hat?
Am Ende gibt es glückliche Gesichter - und eine volle Spendenbox für die Bad Freienwalder Initiative „Wir packen’s an“, die für Hilfstransporte in die Ukraine sammelt.
Es ist ein Evergreen, mit dem Thomas Rühmann und sein Kompagnon Reentko Dirks die diesjährige Saison eröffnen: die Neil Young-Hommage „Jung und Young“, die immer wieder so virtuos wie ehrfurchtsvoll den großen US-amerikanischen Rocker mit Gerhard Gundermann verschneidet, nach dem Motto: „Gundermann kann sich nicht mehr wehren und Neil Young wird es nie erfahren“. Mit den „falschen Fassungen der richtigen Originale“ bieten die beiden Musiker mit sieben verschiedenen Gitarren jede Menge Fan-Stoff vom Feinsten: Youngs Songs, Gundermanns Texte, dazu Anekdoten des erklärten Young-Verehrers Navid Kermani und ein bisschen Geplänkel zwischen Rühmann und Dirks darüber, ob Young nun spielen konnte oder nicht.

Neil Young gegen Blähungen

Das wechselt virtuos vom Privaten ins Weltpolitische: Wenn Rühmann aus Kermanis Text „Das Buch der von Neil Young Getöteten“ vorträgt, wie dieser seine kleine Tochter, die an Blähungen litt, mit „Last Trip to Tulsa“ beruhigt oder Rühmann mit seiner eigenen Tochter in deren Schule ein Rocktheaterspektakel über den Struwwelpeter probt, und dann stirbt Gerhard Gundermann, und sie singen es auf dessen Trauerfeier. Wie überhaupt der Lausitzpoet, selbst großer Neil Young Fan, ihn geradezu kongenial nachdichtet, wenn er „Heart of Gold“ aufs Bahnhofsklo verlegt, und Rühmann legt beim Singen noch jede Menge Gold und Herz darauf.
JUNG & YOUNG - Ein Neil-Young-Projekt mit Thomas Rühmann (r.) und Reentko Dirks im Theater am Rand in Zollbrücke

Gitarren, Gesang:
Thomas Rühmann und
Reentko Dirks
JUNG & YOUNG - Ein Neil-Young-Projekt mit Thomas Rühmann (r.) und Reentko Dirks im Theater am Rand in Zollbrücke Gitarren, Gesang: Thomas Rühmann und Reentko Dirks
© Foto: Olaf Hoffmann
So ist es ein zärtlicher Abend von Vätern und Töchtern, vom Altern und Jung Sterben, von Wut und Witz, Trost und Verehrung, ein bisschen nerdig, stark nostalgisch und sehr liebevoll. Doch wenn es am Schluss heißt: „Don’t need no more lies“, und Wenzel dazu dichtet: „Kommt der Meister des Kriegs“, dann ist man doch leider ganz im Hier und Jetzt, und wünscht sich eine Zeit, in der es wieder heißen kann: „Fernseher aus – Sternschnuppen an“.

„Seid Sand im Getriebe“

Am Ende liest Rühmann einen Text „Wacht auf“ von Günter Eich von 1950: eine wütende Ballade gegen westliche Bequemlichkeit: „Wacht auf, - denn eure Träume sind schlecht! / Bleibt wach, - weil das Entsetzliche näher kommt, / Auch zu dir kommt es, der weitentfernt wohnt von den Stätten, wo Blut vergossen wird, / auch zu dir und deinem Nachmittagsschlaf, worin du ungern gestört wirst.“ Und Axel Grafmanns von der Initiative „Wir packen’s an“ wird noch deutlicher: „Wir glauben, dass Menschen, die fliehen, gute Gründe dafür haben. Und dass wir Menschen im Nordden und im Westen die Pflicht haben, diese Menschen zu unterstützen“. In diesem Sinne wünscht er allen: „Keep on Rocking in a free world“. Oder wie Eich es schreibt: „Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!“
Das Theater am Rand veranstaltet als nächstes das Aktionstheater „Diktat der Gesundheit (?)“ am Osterwochenende sowie die Saatgut- und Pflanzentauschbörse und die Brandenburger Ökofilmour am 24. April. Gesamtes Programm unter www.theateramrand.de.

Wir packen’s an

Ende 2019 beginnen drei Freunde aus Bad Freienwalde, Spenden für die Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln zu sammeln. Im Februar 2020 gehen die ersten vier Hilfstransporte nach Lesbos, Samos, Thessaloniki und Chios. Nach einem Jahr haben sie rund 90 Mitglieder und 19 Transporte nach Griechenland, Bosnien und Syrien organisiert. Aktuell kümmert sich „Wir packen’s an“ verstärkt um Ukraine-Hilfe und schickt 40-Tonnen-LKSw mit Nahrung, Wärmedecken, Hygieneartikeln und anderen Spenden an die polnisch-ukrainische Grenze sowie nach Moldawien. Infos zu Spendenmöglichkeiten und Aktivitäten unter www.wir-packens-an.info