Sie sind drei Generationen auf dem Bauernhof in Bärwalde im Fläming: Schuftete Großvater Gustav Balke in den 1920er Jahren noch als Knecht auf einem fremden Hof und lernte dort seine Frau kennen, die als Dienstmagd angestellt war, fahren die Enkel Detlev und Bernd nun Traktor und bewirtschaften die Äcker maschinell.
Familie Balke steht im Zentrum eines Dokumentarfilms, der im Rahmen des Programms „Fiktionsbescheinigung“ im Forum der Berlinale läuft und 1983 fertiggestellt wurde, als Bärwalde noch in der DDR lag. Gautam Bora, damals indischer Student an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg, legte mit dem 30-Minüter seinen Abschlussfilm vor.
Er kommentiert den Film als jemand, der aus einem 9000 Kilometer entfernten Ort stammt und äußert wiederholt seine Bewunderung für die landwirtschaftlichen Maschinen und das geordnete Leben der DDR-Bauern. Vielleicht gibt es deshalb auch zahlreiche Einstellungen, in denen an Mähdreschern oder Pflügen geschraubt wird. Wiederholt vergleicht Bora im Off die Situation der DDR-Bauern mit den ärmlichen Lebensumständen indischer Bauern.
So entsteht eine Situation, die den DDR-Oberen gut ins Bild gepasst haben dürfte, betreibt der Regisseur doch eine willkommene und unaufgeforderte Werbung für ihren Arbeiter- und Bauernstaat. Dennoch ist „Ein Herbst im Ländchen Bärwalde“ keine Propaganda, sondern ein sehenswerter Film mit heute historischem Wert. Der Regisseur ist ehrlich an den Biografien seiner Protagonisten interessiert, interviewt sie und zeigt sie bei der Arbeit. Gleichzeitig erzählt er einiges von der Geschichte des Ortes, dessen Protagonisten zur Erzählzeit des Films drei verschiedene politische Systeme erlebt haben (Weimarer Republik, NS-Zeit, DDR).
Der Kameramann lebt heute in Deutschland
Kameramann Marwan Salamah, damals als palästinensischer Student an der Filmhochschule immatrikuliert, heute deutscher Staatsbürger, betont, dass es Bora und ihm wichtig war, das Vertrauen der Bauernfamilie zu gewinnen. Nach ausführlichen Gesprächen seien sich Regisseur und Kameramann einig gewesen, keinen politisch opportunen Film zu drehen, obwohl auch bei Studentenfilmen eine Einmischung von Dramaturgen oder Dozenten der Filmhochschule an der Tagesordnung gewesen sei.
Salamah kleidet den Halbstünder, der im DDR-Fernsehen gezeigt wurde, in teils sorgfältig komponierte Bilder: die Dächer der Dorfhäuser von oben, Maschinen im sonnigen Gegenlicht. Dann wieder optiert er für ungeschönten Realismus. Denn es wird nicht verschwiegen, dass das Leben und Arbeiten auf dem Lande trotz maschineller Hilfe körperlich hart und entbehrungsreich ist. So würde Gertrud, die Frau von Gustavs Sohn Günther, gerne einmal Urlaub machen, doch ihr Mann will nicht. Zudem muss sie abends noch den Haushalt schmeißen, denn von Abwaschen will Günther Balke nichts wissen und verlangt außerdem seine tägliche warme Mahlzeit von ihr.
Trotz gelebter Emanzipation von DDR-Frauen, die im Film ebenso bei der Arbeit gezeigt werden – etwa beim Füttern und Versorgen des Viehs –, spürten sie auch die Kehrseite traditioneller Geschlechterrollen und verrichteten teilweise doppelte Arbeit. In der Kneipe sieht man nach Arbeitsschluss vor allem Männer sitzen: Sie trinken ihr Bier oder etwas Hochprozentiges und kloppen eine Runde Skat. Dort, so Salamah, habe sich das Filmteam abends auch entspannt und unter das Volk gemischt. Darüber, ob es mit einem Urlaub Gertrud Balkes geklappt hat, kann man allerdings nur spekulieren.
Inder in der DDR - Studienfilme der Filmhochschule Konrad Wolf
„Ein Herbst im Ländchen Bärwalde“ läuft noch einmal am 25.2. um 14 Uhr im Arsenal, in einem Kombiprogramm mit dem Film „Oyoyo“, in dem die indische Regisseurin Chetna Vora Studierende aus Kuba, Guinea Bisseau, Chile und der Mongolei in ihrem Wohnheim porträtiert - auch das ein Film, der an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf entstand. Alles zur Berlinale finden Sie auf unserer Berlinale-Themenseite.