AKTUALISIERUNG: Der Film ist als „bester Film“ für den deutschen Filmpreis 2023 nominiert. Auch für „bestes Drehbuch“, „bester Schnitt“ und „beste Tongestaltung“ gab es Nominierungen. Die Preisverleihung findet am 12. Mai in Berlin statt.
Was soll man machen, wenn überall Gefahren lauern, die Mutter tot und der Vater in den 1970ern steckengeblieben ist? „Der Klügere gibt nach“, rät der arbeitslose Akademiker seinem Sohn. Doch der 15-jährige Lukas (Levy Rico Arcos) weiß, „der Klügere tritt nach“. Das hat ihn sein großer Bruder gelehrt. Und die Straße.
Lukas ist kein Gangster aus dem Problembezirk Neukölln. Er ist ein guter Junge, ahnt Krawall im Voraus und wäre auch in der Lage, dem Ärger auszuweichen. Doch mit einem Haufen schräger Freunde gesegnet, wird ihm das Gesicht zerkloppt und er schuldet ganz plötzlich den dealenden Arabern aus dem Kiez Schutzgeld in Höhen von 500 Euro.
Woher die Kohle nehmen? Die Menschen im Film sind arm und können daran nur wenig ändern. Schuld ist das Leben. Denn wer kann schon was dafür, wenn man den Job verliert und allein zwei Kinder großziehen muss? Als Lukas‘ Vater eine Halbtagsstelle als Hausmeister ergattert – für 800 Euro netto –, lacht der Sohn ihn aus.
„Das Leben fängt bei minus zehn an“
Keine tollen Klamotten, kein Urlaub, nicht einmal der Schwimmbadeintritt ist drin. Ein Entrinnen aus der Armut scheint unmöglich. „Jemand, der in Gropiusstadt aufwächst und dessen Eltern nicht Akademiker und nicht deutsch sind, fängt im Leben nicht bei null, sondern bei minus zehn an“, erklärt Regisseur David Wnendt. Armut verhindere, dass die Jungen aus ihrer Situation entkommen und aufsteigen können.
„…von den Menschen leere Blicke …man muss gucken, wo man bleibt…“, Deutschrapp wummert schon wenige Sekunden nach Filmbeginn aus den Boxen. Da breitet sich im Magen allmählich ein mulmiges Gefühl aus. Es ist Angst. Angst davor, dass Lukas unter die Räder kommt. Schließlich ist die sommerliche Luft über der Großwohnsiedlung voller Adrenalin. Immer und überall trennen die Jungs nur Sekunden vor der nächsten Schlägerei.
Gewalt auch in der Familie
Nicht einmal Zuhause sind sie sicher. Bei Gino (Rafael Luis Klein-Heßling) drischt der alkoholabhängige Vater auf Mutter und Sohn ein. Playboy Julius (Vincent Wiemer) hat niemanden, der nach ihm sieht – sein kiffender Bruder ist das Familienoberhaupt. Selbst Lukas‘ Vater hat die Nase voll und die Idee, dass sein Sohn zum spielsüchtigen Zockerbruder ziehen könnte…
Basierend auf Felix Lobrechts gleichnamigem Erfolgsroman gewährt Regisseur David Wnendt Erwachsenen und Teenagern mit „Sonne und Beton“ einen sehenswerten Einblick in eine Lebenswelt, die den meisten fremd ist. Authentizität ist hier das Stichwort: Jugendslang und Schauspieler, die glaubwürdig ihre Rollen verkörpern.
Vor allem Hauptdarsteller Levy Rico Arcos schließt man sofort ins Herz. Von kindlich-naiv bis fast erwachsen zeigt er eine große Palette seines Könnens, während er schon die Wange für den nächsten Schlag hinhält, damit er nicht zum Opfer mutiert. Schade, dass diese coming-of-age Geschichte nicht im Wettbewerb der Berlinale zu sehen ist. Einen Preis hat die bunte Sozialstudie auf jeden Fall verdient.
„Sonne und Beton“ läuft am 20.2., 18 Uhr, im UCI Luxe Gropius Passagen, am 21.2., 17 Uhr in der JVA Plötzensee, am 25.2., 21 Uhr, im Cineplex Titania und um 22 Uhr in der Verti Music Hall. Alles zum Festival finden Sie auf unserer Berlinale-Themenseite.