Eigentlich hatte Hella Stoletzki das Bild, das an einer Wand ihres Ateliers lehnt, schon fertig geglaubt. Doch dann wurde klar: Es muss noch weitergehen. Die Künstlerin klemmt die Leinwand in eine Staffelei und übermalt mit langen Pinselstrichen den Kopf eines großen, braunen Pferdes in der Mitte des Bildes. Eine Person hält dessen Zügel, eine andere sitzt auf dem Boden, als wolle sie sich die Schuhe binden.
Die Cottbuserin Hella Stoletzki, die in diesem Jahr mit dem Nachwuchsförderpreis des Brandenburgischen Kunstpreises ausgezeichnet wird, fängt Menschen in alltäglich wirkenden Situationen ein. Oft sind es ihr vertraute Personen – Freundinnen und Freunde oder Künstlerinnen und Künstler, die sich wie sie mit ihrer sorbischen Identität auseinandersetzen. Den aus Bautzen stammenden Musiker Paul Geigerzähler hat sie in rotem T-Shirt und nachdenklichem Gesichtsausdruck porträtiert.
Engagement in Cottbus
Ein anderes Bild, das in ihrem Atelier in einem Gebäude der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig hängt, zeigt Mira Dubian. Die Jura-Studentin engagiere sich mit ihr zusammen in der Cottbuser Kunstgruppe „Kolektiw Wakuum“, mache Video-Kunst und sei Teil der niedersorbischen Punkband ZŁY KOMOROW, erzählt Hella Stoletzki.
Auf dem Porträt trägt Mira Dubian ein Halsband mit Stacheln und ein schwarzes, mit einem leuchtend grünen Muster bedrucktes T-Shirt. Es symbolisiere die Verbindung zwischen einem sorbischen Blatt und einem walisischen Drachen, sagt Hella Stoletzki. Entstanden ist es bei einem Projekt von walisischen und sorbischen Musikerinnen und Musikern, die zusammen durch die Lausitz tourten und ein Album herausbrachten. Neben der Fahne des Kolektiws Wakuum ist auf dem Porträt auch ein kleines Foto von Frauen in Tracht zu finden.
Hella Stoletzkis Bildern sind voll von Anspielungen auf die sorbische Kultur, teilweise als Zitate traditioneller Symbole, teilweise als subtile Codes, die nur für Eingeweihte lesbar sind. Nach ihren ersten Studienjahren an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst habe sie sich künstlerisch immer stärker auf die Auseinandersetzung mit sorbischen Themen konzentriert, erzählt die 27-Jährige.
Prägend sei ihre Teilnahme an dem viersprachigen Kunstprojekt „WOBRAZY KRAJINY. PODOBE POKRAJINE. BILDER EINER LANDSCHAFT. WOBRAZE KRAJINY“ mit Kunstschaffenden aus Deutschland, Slowenien und Österreich gewesen. Es habe sie inspiriert, sich künstlerisch mit der Tagebau-Landschaft der Lausitz zu beschäftigen.
Studium in Leipzig
Für das Studium ist Hella Stoletzki nach Leipzig gezogen, doch Cottbus ist nach wie vor ein zentraler Bezugspunkt für sie. „Es ist eine Stadt, in der ich ein großes Netzwerk habe und eine Stadt, an der ich teilhabe“, sagt die Künstlerin, die an der Entwicklung einer jungen, sorbischen Kulturszene mitwirken möchte. Gruppen wie das Kolektiw Wakuum oder auch das feministische Rap-Kolektiw Klanki produzieren Musik, organisieren Konzerte und Festivals und schaffen Möglichkeiten für Austausch. „Wir haben gemerkt, dass man in vielen alternativen Räumen wie in Clubs oder bei Konzerten keine sorbische Kultur findet“, erzählt Hella Stoletzki.
Wichtig sei deshalb, Anknüpfungspunkte zwischen Traditionen und der Lebenswirklichkeit junger Menschen zu schaffen. Auf diese Weise solle das Sorbische lebendig gehalten und neu interpretiert werden. „Das ist eine Kultur, die vielen gehört“, sagt die Künstlerin, die 1996 in Berlin-Friedrichshain geboren wurde.
Als sie fünf war, zog ihre Familie mit ihr nach Cottbus, wo sie mit dem Sorbentum in Berührung kam. Ab der zweiten Klasse lernte sie die Sprache, später besuchte sie das Niedersorbische Gymnasium. So begann das Sorbische, ein immer größerer Teil von ihr zu werden. Sorbin muss man nicht qua Geburt sein, man kann sich dazu bekennen.
Für Hella Stoletzki bedeutet das, zu einer Gruppe sehr verschiedener Menschen zu gehören, die eine enge Verbindung haben. „Es fühlt sich sehr schnell unglaublich vertraut an“, sagt sie.
Bis auf einen kurzen Moment, in dem sie die Idee hatte, wie ihre Eltern im Teehandel zu arbeiten, wollte Hella Stoletzki Künstlerin werden. Zu Schulzeiten zeichnete sie, schrieb Texte für die Literaturwerkstatt der Stadt und besuchte Kunst-Kurse. Heute malt sie vor allem mit Acryl, stellt Druckgrafiken her, dreht Filme und entwirft Motive für Tattoos, die sie selbst sticht.
Gemeinsam mit der sorbischen Künstlerin Karoline Schneider entwickelt Hella Stoletzki das Fernsehprogramm „Serbski Telewizor“ mit Koch-Show und Aerobic-Videos. Eine Wahrsagerin liest die Zukunft auf mit Gel bemalten Fingernägeln. So wird eine Brücke zwischen traditionellen Orakel-Praktiken und dem sorbischen Brauch des Ostereier-Bemalens zu zeitgenössischen Modetrends geschlagen.
Der mit einem Stipendium verbundene Nachwuchsförderpreis des Brandenburgischen Kunstpreises ermögliche ihr, sich ganz auf ihre Kunst zu konzentrieren und Materialien zu kaufen, die sie zum Malen braucht. „Das bietet eine enorme Freiheit“, sagt Hella Stoletzki. Gleichzeitig ist die Auszeichnung eine Bestätigung. „Es fühlt sich unglaublich an, wenn die eigene Arbeit so gesehen wird.“
Biografie
Hella Stoletzki lebt und arbeitet in Leipzig und Cottbus; Mitglied des Sorbischen Künstlerbundes, des Kunst- und Kulturkollektivs Kolektiw Wakuum und des Sorbisch-Deutschen Filmnetzwerks Łužycalm. 1996 in Berlin geboren, seit 2014 Studium der Malerei und der Grafik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Christoph Ruckhäberle, 2020 – 2021 Studium der Malerei und der Grafik an der Akademie der bildenden Künste in Wien/Österreich bei Christian Schwarzwald und Ashley Hans Scheirl, seit 2022 Kuratorin der Sektion Heimat| Domownja| Domizna des FilmFestivals Cottbus
Preise und Stipendien (Auswahl): 2015 Sächsischer Jugendkunstpreis der Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen, 2019 Sonderpreis der Stiftung für das sorbische Volk für den Kurzfilm Ziwa Ženska
Einzelausstellungen: 2021 Cottbus, Galerie Fango, Zwisk 2022 Cottbus, Kunsthalle Lausitz, MÉKI_so
Sammlungen: Cottbus, Wendisches Museum
Preise und Stipendien (Auswahl): 2015 Sächsischer Jugendkunstpreis der Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen, 2019 Sonderpreis der Stiftung für das sorbische Volk für den Kurzfilm Ziwa Ženska
Einzelausstellungen: 2021 Cottbus, Galerie Fango, Zwisk 2022 Cottbus, Kunsthalle Lausitz, MÉKI_so
Sammlungen: Cottbus, Wendisches Museum