Wer zuletzt in der ARD-Mediathek Lutz Pehnerts Dokumentation über die Liedermacherin Bettina Wegner gesehen hat, hat noch eindringlich im Ohr, wie sie über die Zerrissenheit zwischen Ost und West, das Hüben und Drüben, die Einsamkeit des Keine-Heimat-Habens spricht.
Die große Malerin des Exils und des Auf-sich-Zurückgeworfenseins ist die 1938 in Barcelona geborene und als 14-Jährige mit ihren Eltern nach Ost-Berlin emigrierte Núria Quevedo. Ihr widmet das Brandenburgische Landesmuseum für Moderne Kunst in der Rathaushalle in Frankfurt (Oder) nun eine längst fällige Retrospektive.

Liebe und Tod ist Quevedos großes Thema

Natürlich dominieren im Raum die typischen Quevedo-Köpfe, bilden den Blickfang am Anfang und an der Stirnwand: diese großformatigen Grisaillebilder von Figuren mit den sprechenden, übergroßen Händen, den stummen Mündern und dunklen Augen. Der Mensch allein in toter Natur und kaltem Licht, die immer wieder abgewandelten Themen Einsamkeit, Nähe und Distanz, Liebe und Tod, das ist Quevedos großes Thema über alle Jahrzehnte hinweg.

Von Barcelona nach Ost-Berlin

Die 1938 in Barcelona geborene Núria Quevedo floh 1952 mit Mutter und Schwester vor dem Franco-Terror zum bereits emigrierten Vater nach Ost-Berlin. Dort studierte sie Grafik und fand später als Meisterschülerin zur Malerei. Als passionierte Leserin fühlte sich Quevedo in ihrer ersten Schaffensphase von verschiedenen Wortkünstlern herausgefordert und arbeitete intensiv an literarischen Motivwelten, so zu Volker Braun, Franz Fühmann, Michail Scholochow und Christa Wolf. Seit 1997 lebt und arbeitet Núria Quevedo abwechselnd in Berlin und in Sant Feliu de Guíxols (Spanien/Katalonien).
Dass sie von der Literaturillustration kommt – sie studierte von 1958 bis 1963 Grafik bei Werner Klemke und Arno Mohr in Berlin –, belegen nicht nur die vielen Künstlerbücher und -mappen, die Auseinandersetzung mit Kassandra (Christa Wolf), Prometheus (Franz Fühmann), Kant (Karl Mickel) und immer wieder Don Quichote, ein Thema, das sie jahrzehntelang begleitet. Es sind auch sprechende Titel, die sie für ihre Bilder wählt, etwa das Zitat „Jeder, der seinen Weg geht, wandelt wie Jesus auf dem Meer“ von Antonio Machado zu einem Blatt von 1983. Auch der Ausstellungstitel „Der Weg entsteht beim Gehen“ ist bei Machado entlehnt.

Das graue Licht der DDR

Ein Weg ist auch auf einem der ersten Landschaftsbilder, die in der DDR entstanden, zu sehen – grau-düstere Felder, am Horizont Hochspannungsleitungen, ein schlammiger Pfad, der sich in der Bildmitte mit einem anderen kreuzt. Das graue Licht der DDR habe sie interessiert, hat die Künstlerin erzählt. Heimatgefühle sehen anders aus.
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Die Landschaftsbilder sind ungewöhnlich in diesem sonst so klar umrissenen Werk. Da schälen sich in dem verschwommenen, diffusen Licht von „Nach dem Regen“ Menschengruppen aus der grün-grauen Baumlandschaft heraus – liest der Mensch sich hier in die Landschaft hinein, als Resonanzraum seiner Seele? So romantisch hätte die Künstlerin, deren Bilder immer auch eine existenzialistische Härte haben, das wohl nicht gesehen.

Porträts von Großeltern, Eltern und befreundeten Exilanten in Ost-Berlin

Und doch thematisiert Quevedo immer wieder die menschlichen Urbeziehungen, porträtiert Großeltern, Eltern, die befreundeten Exilanten in Ost-Berlin. „Stehen Haare in einem Steingesicht vom Warten grau, im Wartesaal der Weltrevolution“ hat Wolf Biermann in einem Lied gesungen. Die vor der Franco-Diktatur nach Ost-Berlin geflohenen Kommunisten, die Quevedo porträtiert, haben die revolutionären Ideale noch im Herzen – und im erloschenen Blick die Ahnung, dass sie mit diesen Idealen aus der Zeit gefallen sind. Klassisch statisch sind viele Arrangements der frühen Jahre, erinnern in ihrer schwarz-weißen Ernsthaftigkeit an Porträtfotografien. Erst nach und nach werden die Werke immer schematischer, die Gestalten abstrakter. Am Ende sind es Gliederpuppen, wie in einer Pietà verschränkt.

Oft lagern die Bilder der Künstlerin in Depots

Ein Großformat, „Fischer am Baikal“, hat sich die Künstlerin ausdrücklich für die von Linn Kroneck kuratierte Ausstellung gewünscht. Entstanden ist es 1974. Die Fischer, Vater und Sohn, posieren wie auf einer Fotografie, die Brust geschmückt mit Orden. Das Bild, heute im Besitz der Nationalgalerie, lagert dort im Depot – bezeichnend für das Schicksal vieler Werke.
Schon einmal, 1985, hat es in der damaligen Galerie Junge Kunst, damals in der Villa Trowitzsch, eine Quevedo-Ausstellung gegeben, damals sei es rappelvoll gewesen, die Besucher hätten bis um die Ecke gestanden, erinnert sich Armin Hauer, der damals frisch nach Frankfurt (Oder) kam. Warum die Malerin, die zu DDR-Zeiten überaus bekannt und geschätzt war, in den letzten Jahren so in Vergessenheit geriet, kann auch er nicht wirklich erklären: Unwissenheit der westlichen Kulturszene? Unmodernität des Figurativen? Primat des Marktes? So oder so, es ist höchst Zeit für eine Wiederentdeckung – und eine bundesdeutsche Wahrnehmung. Der Rathaushalle in Frankfurt (Oder) sind besonders viele überregionale Besucher zu wünschen.

Öffnungszeiten

„Núria Quevedo: Der Weg entsteht beim Gehen“, Rathaushalle, Frankfurt (Oder), bis 12.2.2023, Di–So 11–17 Uhr, Eröffnung am 20.11.2022, 11 Uhr; am gleichen Tag um 13 Uhr eröffnet im Packhof die Ausstellung „Kopfwelten“ von Michael Voll.