Die Nominierungen für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik umfassen in diesem Jahr etablierte Namen ebenso wie Entdeckungen. Der Preis wird am 27. April verliehen. Er wird in drei Sparten vergeben und ist mit insgesamt 60.000 Euro dotiert.
Das sind die fünf Bücher, die von der Jury für den Belletristik-Preis nominiert worden sind:

Clemens Setz - „Monde vor der Landung“

Der österreichische Schriftsteller Clemens J. Setz. Verschwörungserzählungen gibt es viele, aber Erzählungen über Verschwörungserzähler? Clemens Setz widmet sich dem Thema mit seinem neuen Roman «Monde vor der Landung» über einen fast vergessenen Hohlwelttheoretiker.
Der österreichische Schriftsteller Clemens J. Setz. Verschwörungserzählungen gibt es viele, aber Erzählungen über Verschwörungserzähler? Clemens Setz widmet sich dem Thema mit seinem neuen Roman «Monde vor der Landung» über einen fast vergessenen Hohlwelttheoretiker.
© Foto: Helmut Fricke/dpa
In seinem neuesten Werk gräbt der 1982 in Graz geborene Setz die fast vergessene und wahre Geschichte von Peter Bender aus, einem hochbegabten, aber exzentrischen Träumer, der vor 100 Jahren in der rheinhessischen Lutherstadt Worms lebte. Die von Setz geschaffene literarische Version von Bender hält die Erde für eine Hohlkugel, gründet eine auf freier Liebe basierende Religionsgemeinschaft und gerät wegen „ketzerischer“ Schriften regelmäßig in Konflikt mit den Behörden. Als die Nazis an die Macht kommen, sehen er, seine jüdische Ehefrau Charlotte und ihre beiden Kinder sich zunehmenden Anfeindungen ausgesetzt, die auf tragische Weise eskalieren.
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Setz, der ein Faible für skurrile Gestalten und Alltagsbeobachtungen hat, verlässt für sein neuestes Buch die bisherigen Pfade des Verstörend-Kafkaesken und erprobt sich in dem für ihn ungewohnten Feld des historischen Romans. Auf über 500 Seiten gewährt er Leserinnen und Lesern einen tiefen Einblick in die Gedankenwelt eines Menschen zwischen Genie und Wahnsinn, der in einer völlig anderen Realität lebt als seine Mitmenschen.

Angela Steidele - „Aufklärung“

Die deutsche Autorin Angela Steidele erhielt 2015 den Bayerischen Buchpreisfür das Werk "Rosenstengel"
Die deutsche Autorin Angela Steidele erhielt 2015 den Bayerischen Buchpreisfür das Werk "Rosenstengel"
© Foto: Marc Müller/dpa
Dass die Leistung von Frauen in den Wissenschaften früher nicht immer ausreichend gewürdigt wurde, ist bekannt. Denkt man an die literarische Epoche der Aufklärung, kommen den meisten Menschen wohl nur Männer in den Sinn. Johann Christoph Gottsched zum Beispiel oder Gotthold Ephraim Lessing. Mit Angela Steideles Roman ändert sich das. In „Aufklärung“ schildert sie die Freundschaft von Dorothea Bach (1708-1774), der ältesten Tochter des weltberühmten Komponisten Johann Sebastian Bach, mit der Frau Gottscheds. Dabei vermischt die 54-jährige Steidele, die in Köln lebt, historisch Verbürgtes mit Fiktion.
Luise Gottsched (1713-1762) hat Theaterstücke und Artikel verfasst, außerdem literarische und wissenschaftliche Werke übersetzt oder bearbeitet. Doch kaum einer kennt heute ihren Namen, und ihre Leistungen hat selbst ihr Ehemann in einer Biografie heruntergespielt. Erzählt ist „Aufklärung“ aus der Sicht Dorotheas, die retrospektiv ihre Freundschaft mit Luise schildert. Ausgehend davon entfaltet die Erzählerin ein detailverliebtes Panorama von Leipzig im 18. Jahrhundert und den Ideen seiner Gelehrten - darunter einige Frauen.

Joshua Groß - „Prana Extrem“

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Der Ich-Erzähler Joshua und seine Freundin Lisa, beide um die 30, er aus Franken, sie aus Braunschweig, treffen in Österreich auf das 16-jährige Skisprung-Talent Michael und dessen Schwester und Trainerin Johanna. Kurzentschlossen quartieren sie sich in deren Ferienwohnung ein. Mit dabei sind die Katze Schnurri-San, die Hündin Lu und irgendwann Joshuas exzentrische Oma Suzet. Ein heißer Sommer in der Nähe von Innsbruck beginnt.
Joshua Groß lässt in seinem dritten Roman „Prana Extrem“ eine ebenso absurde wie mögliche Welt entstehen. Seine Figuren leben und lassen leben, kiffen ganz gerne mal, zitieren Rap-Texte und Werner Herzog, sie suchen Zuwendung und Liebe und bekommen einen geklauten Riesenmeteoriten geschenkt. Es passiert nicht viel, aber es geht doch um die existenzielle Frage, was die Kraft des Lebens ausmacht. Der 1989 geborene Groß inszeniert ein Kammerspiel an einem unwirklichen Ort, das Spaß macht.
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Ulrike Draesner - „Die Verwandelten“

Ulrike Draesner ist nicht nur Autorin, sondern auch Übersetzerin. Sie hat die Gedichte der Literaturnobelpreisträgerin Louise Glück vor rund 15 Jahren an der US-Universität Harvard für sich entdeckt.
Ulrike Draesner ist nicht nur Autorin, sondern auch Übersetzerin. Sie hat die Gedichte der Literaturnobelpreisträgerin Louise Glück vor rund 15 Jahren an der US-Universität Harvard für sich entdeckt.
© Foto: Alem Kolbus/dpa
Was sie verbindet, ist düster. Die Frauen, von denen Ulrike Draesner in ihrem Roman „Die Verwandelten“ erzählt, sind Mütter und Töchter, die durch den Krieg in Europa und dessen bis heute wirkende Folgen beeinflusst sind. Adele, Gerda, Kinga, Flummy und die anderen kommen aus unterschiedlichen Generationen. Aus unterschiedlichen Gründen schweigen sie über Geschehenes und erfinden neue Biografien, um ihren alten zu entkommen.
Die Geschichten der 61 Jahre alten Autorin führen Lesende nach Berlin, nach München, oder auch nach Breslau und Warschau in Polen. Nicht immer ist sofort ersichtlich, welche Frau gerade ihre Gedanken teilt. Immer sind sie ungeschönt und wirken auch durch Draesners Formulierungen stets unverblümt ehrlich. Perspektivwechsel vom Jetzt in die Vergangenheit und wieder zurück entführen Leserinnen und Leser in weibliche Welten aus Hunderten Jahren - und verbinden sie.

Dinçer Güçyeter - „Unser Deutschlandmärchen“

Dinçer Güçyeter war 2022 beim Festival Pop & Petersilie in Neuruppin zu Gast. In seinem preisgekrönten Gedichtband "Mein Prinz, ich bin das Ghetto" gräbt er nach den Wurzeln seiner Herkunft, leuchtet das Geflecht familiärer Bindungen aus und erzählt von den Herausforderungen des Aufbruchs ins Neue und Ungewisse.
Dinçer Güçyeter war 2022 beim Festival Pop & Petersilie in Neuruppin zu Gast. In seinem preisgekrönten Gedichtband „Mein Prinz, ich bin das Ghetto“ gräbt er nach den Wurzeln seiner Herkunft, leuchtet das Geflecht familiärer Bindungen aus und erzählt von den Herausforderungen des Aufbruchs ins Neue und Ungewisse.
© Foto: palagrafie
Märchenhaft ist fast gar nichts in dieser vielstimmigen Familiengeschichte. Der 1979 in Nettetal geborene Lyriker, Theatermacher und Teilzeit-Gabelstaplerfahrer Dinçer Güçyeter erzählt in seinem Debütroman von den Schmerzen, Entbehrungen, Einsamkeiten und Sehnsüchten seiner Eltern, die Ende der 1960er Jahre aus der Westtürkei als Gastarbeiter nach Deutschland kamen. In kurzen, oft lyrischen Episoden entfaltet der Autor ein Zwiegespräch zwischen sich und seiner Mutter Fatma, die als Fabrikarbeiterin das Geld verdient, während Vater Yilmaz mit seiner Kneipe ständig in die Schulden rutscht.
Entstanden ist eine bewegende Chronik, die von Arbeitsunfällen handelt, langen Krankenhausaufenthalten und einer Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen, für die es keine Heilung gibt. „Letztendlich ist es fremdes Land, du bist der Gast, der produzieren soll, dein Platz ist befristet, solange du funktionierst“, stellt Fatma lakonisch fest. Später emanzipiert sich der Sohn von seiner Mutter und bleibt ihr doch treu. Dinçer Güçyeter ist mit seinem radikal persönlichen „Deutschlandmärchen“ ein großer Wurf gelungen, ein Autor findet seine Sprache und entwirft für uns eine Welt.

Die nominierten Belletristik-Bücher

Joshua Groß, Prana Extrem, Matthes und Seitz, Berlin 2022, 301 Seiten, 24 Euro
Clemens J. Setz, Monde vor der Landung, erschien am 13. Februar im Suhrkamp Verlag, 528 Seiten
Dinçer Güçyeter, Unser Deutschlandmärchen, mikrotext Verlag, Berlin 2022, 213 Seiten, 25 Euro
Angela Steidele: Aufklärung, Insel Verlag, 603 Seiten
Ulrike Draesner, Die Verwandelten, Penguin, 608 Seiten, 26 Euro