Die 81-jährige Erika Stürmer-Alex sitzt mit ihrer Lebenspartnerin Tine am Küchentisch, als sie das liest, und lacht in einer Mischung aus Unglauben, Amüsement und Ärger angesichts dieser Kleinbürger-Fantasie vom wilden Künstlerleben, die aus dem Bericht spricht, und der Bosheit, die dazugehört, so zu berichten. Von Zersetzung, von Isolierung ist in der Akte die Rede: so viel Misstrauen, so viel Angst – und gleichzeitig ein Beleg dafür, für wie wichtig Kunst in der DDR erachtet wurde.
Gespräch über Generationen
Erika Stürmer-Alex hat nie richtig dazugehört. Hätte sie nicht die Kunst am Bau entdeckt, wäre sie mit ihrer Malerei, der Königsdisziplin, wie sie sagt, wohl gescheitert. Zu abstrakt die Bilder, zu wenig passend für die offizielle ideologische Richtung. Und doch kann sie nach einem Besuch in Paris berichten: So schön bunt dort auch alles gewesen sein mag im Gegensatz zur grauen DDR: "Ich denke wirklich, dass ich in der DDR mehr gebraucht werde. Nicht nur mit meiner Kunstauffassung, sondern auch mit meiner Lebensauffassung." Erst nach der Wende, da kamen auch die Käufer, die Ausstellungen und der Brandenburgische Kunstpreis. "Ich dachte immer, meine Bilder sind zu schlecht, weil keiner sie ankaufen wollte", bekennt sie heute.
Es ist ein Gespräch über Generationen: 1985 ist die Regisseurin Therese Koppe geboren, die in ihrem an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf entstandenen Dokumentarfilm "Im Stillen laut" die beiden 81-jährigen Frauen begleitet hat – ruhig, geduldig beobachtend. Es ist ein stiller Film, der sich Zeit nimmt, auch wenn minutenlang nicht gesprochen wird in diesem weiten, einsamen Land am Rand des Oderbruchs. Ein zärtlicher Blick auf die beiden, die so sorgsam miteinander umgehen und doch kräftig streiten am Küchentisch darüber, wie man heute auf die DDR zurückblickt. Ein intimer Film, der entspannt dokumentiert, wie Erika Stürmer-Alex in der Sonne auf der Liege im Garten einschläft, die Katze auf ihrem Bauch gelagert, wie sie nur im Hemd ihre Bilder entwirft oder kalt duscht, ohne Scheu, so weit weg von jenem Sensationismus, der aus dem damaligen Stasi-Bericht sprach.
"Die entscheidende Frage ist doch: Wofür möchte ich frei sein? Was genau soll denn anders werden?" Das ist das Thema, das sich durch Erika Stürmer-Alex’ Leben zieht. In dem ruinösen Hof in Lietzen, den sie dank des Verkaufes einer Skulptur für 10.000 Mark kaufen kann, findet sie in den Achtzigerjahren ihren Freiraum, "groß genug für alle unsere Pläne". Und gemeinsam mit ihrer Partnerin, der Lektorin Christine Müller-Stosch, genannt Tine, lebt sie hier tatsächlich ein freies Leben, durch alle Höhen und Tiefen. Auch als nach 1989 die Kinder der Alteigentümer kommen und das Gehöft zurückfordern – ein zehnjähriger Rechtsstreit schließt sich an. Und auch, als Tine, die als Pfarrerstochter in der DDR nicht studieren konnte und erst spät ihren Weg gefunden hat, die Stelle bei der Evangelischen Verlagsanstalt verliert. Dann machen sie halt Kurse für arbeitslos gewordene Frauen in der Lebensmitte – mit dem Titel "Kreativ leben lernen". Leben lernen: Das kann man von den beiden tatsächlich gut.
"Im Stillen laut": Filmvorführung und Gespräch mit Regisseurin Therese Koppe, heute, 19 Uhr, ACUD Kunsthaus,Veteranenstr. 21, Berlin-Mitte, Tel. 030 44359498, www.acud.de
Die Dokumentarfilm-Regisseurin Therese Koppe
Therese Koppe, 1985 in Berlin-Friedrichshain geboren, studierte Soziologie und Kunstgeschichte in Jena und Dokumentarfilm-Regie an der Uni Babelsberg Konrad Wolf sowie Documentary Practice an der Brunel University London. Ihre künstlerisch-wissenschaftliche Arbeit dreht sich um gesellschaftspolitische Fragestellungen zu Kunst, Politik, Migration und Feminismus. Koppe recherchierte für verschiedene Kunst- und Kulturprojekte unter anderem in Seoul, Istanbul, Athen und London. Für die Entwicklung ihres Debütfilmes "Haunting Heimat" (Arbeiststitel), ein Porträt zweier namibischer Frauen und ihrer Perspektive auf das Erbe deutscher Kolonialherrschaft, erhielt sie mit ihrer Ko-Autorin LisaSkwirblies 2019 die Grenzgänger-Rechercheförderung des Literarischen Colloquiums Berlin und der Robert Bosch Stiftung. red