Jedes Jahr im Mai laden die Berliner Festspiele die zehn bedeutendsten Inszenierungen aus den deutschsprachigen Ländern nach Berlin zum Theatertreffen. Hier sind die zehn ausgewählten Stücke für 2022 – und worin es in ihnen geht:
  • ­„All right. Good night. Ein Stück über Verschwinden und Verlust“ von Helgard Haug (Rimini Protokoll), Koproduktion u.a. mit HAU Hebbel am Ufer (Berlin). Ein Stück, in dem Regisseurin Helgard Haug die zunehmende Demenz ihres Vaters koppelt mit dem Verschwinden des Malaysia-Airlines-Flugs MH370. Die Bühne ist bis auf das Musikensemble Zafraan leer, der Abend ist ein „lautes Nachdenken“ über Vergänglichkeit, so die Jury.
  • „Das neue Leben. Where do we go from here“ frei nach Dante Alighieri, Meat Loaf und Britney Spears, Regie Christopher Rüping, Schauspielhaus Bochum. Eine Bearbeitung von Dantes Jugendwerk „Vita Nova“, das von seiner Liebe zu Beatrice erzählt.
  • „Der Tartuffe oder Kapital und Ideologie“ von Soeren Voima nach Molière und nach „Kapital und Ideologie“ von Thomas Piketty Regie Volker Lösch, Staatsschauspiel Dresden. Tartuffe als „marktliberaler Cowboy“, der eine Wohngemeinschaft aufmischt, im Zeitraffer durch 40 Jahre Gegenwart
  • „Die Jungfrau von Orleans“ Romantische Tragödie nach Friedrich Schiller in einer Bearbeitung von Joanna Bednarczyk, Regie Ewelina Marciniak, Nationaltheater Mannheim. Regisseurin und Dramaturgin entlarven die „Jungfrau“ als männliches Konstrukt und geben damit Antwort auf die Frage von Juror Georg Karsch, was dieser „misygyne Quatsch“ uns heute noch zu sagen hat.
  • „Die Ruhe“ Performance-Installation von SIGNA Konzept und Regie Signa Köstler Deutsches Schauspielhaus Hamburg. In einem Sanatorium können Großstädter ihre Waldsehnsucht ausleben - ein außergewöhnliches „gesamtkörperliches Erlebnis - wirklich wild“, urteilt Juror Georg Karsch.
  • „Doughnuts“ von Toshiki Okada, Regie Toshiki Okada, Thalia Theater Hamburg. Fünf Menschen warten in einer Hotelhalle in Tokio auf ihr Taxi, das nicht kommt – eine Mischung aus Becket, Bunuel und Sofia Coppola. Der Titel „Doughnuts“ bezeichnet die Diskussionen, die sie führen: „außen gewichtig, innen leer“
  • „Ein Mann seiner Klasse“ nach dem Roman von Christian Baron für die Bühne bearbeitet von Lukas Holzhausen und Annika Henrich Regie Lukas Holzhausen, Schauspiel Hannover. Christian Barons Roman über seine Jugend in Kaiserslautern mit alkoholsüchtigem Vater, Gewalt und Armut ist ein Schlüsseltext des „Klassismus“, den der Schauspieler Lukas Holzhausen für die Bühne bearbeitet hat.
  • „humanistää! eine abschaffung der sparten“ nach Ernst Jandl Regie Claudia Bauer, Volkstheater (Wien). Das Volkstheater Wien ist mit dieser Jandl-Hommage erstmals seit 1970 wieder zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen. Es treten auf: Ernst Jandl und die im vergangenen Jahr verstorbene Friederike Mayröcker in Form von Schauspielern mit Masken. Diese erzählen in Texten und Gedichten u.a. von „Schlaflosigkeit, die mit viel Whisky kuriert wird“
  • „Like Lovers Do (Memoiren der Medusa)“ von Sivan Ben Yishai Regie Pınar Karabulut, Münchner Kammerspiele. ein Text als Zumutung, der den Medea-Stoff nach allen Regeln der gegenwärtigen Debatte zerlegt. Es treten auf: der „ideale Mann“ als heterosexuelles Klischee, genderfluide Wesen in Alien-Superhelden-Kostümen und das Corona-Virus – „das Patriarchat wird auf den Kompost geworfen“, so die Jury.
  • „Slippery Slope. Almost a Musical“ von Yael Ronen, Shlomi Shaban und Riah Knight, Itai Reicher Regie Yael Ronen | Komposition und Musik Shlomi Shaban, Yaniv Fridel und Ofer (OJ) Shabi Maxim Gorki Theater (Berlin). „Almost ein Musical“, weil es laut Regisseurin Yael Ronen nicht so unterhaltsam zugeht wie im Musical. In der Tat: der Leidensweg eines Ethno-Singers, der kein Fettnäpfchen auslässt, behandelt mit Themen wie Identifikationspolitik, Cancel Culture, MeToo, Machtmissbrauch und Shit Storms alles, was Aufregerpotential in der Gegenwart hat. Nicht nur für das in letzter Zeit auch in die Schlagzeilen gekommene Gorki-Theater ein heißes Eisen.
Das Theatertreffen 2022 findet statt vom 6. bis 22. Mai 2022, nach jetziger Planung als Präsenzfestival. Das genaue Programm wird im April bekannt gegeben. Es wird das letzte Theatertreffen von Yvonne Büdenhölzer als Leiterin sein – sie wendet sich nach 11 Jahren 2023 neuen Aufgaben zu.
Die Jury bestand aus Mathias Balzer, Georg Kasch, Sabine Leucht, Petra Paterno, Katrin Ullmann, Sascha Westphal und Franz Wille. Sie sichteten und diskutierten im Zeitraum vom 6. Februar 2021 bis 28. Januar 2022 insgesamt 540 Inszenierungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Den Rekord hält ein Juror mit 232 Stücken im Jahr.
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