Die Liege kehrt nach Branitz bei Cottbus zurück – und kann jetzt sogar betrachtet werden. Denn auch die skurrile Geschichte dieses Exponates wird in der nicht nur an tragischen, sondern eben auch an kuriosen Details reichen Sonderausstellung "Branitz 1945" im Marstall des Schlosses erzählt. Die Schau im Rahmen des brandenburgischen Kulturlandjahres "Krieg und Frieden" richtet erstmals den Fokus auf das Schicksal des fürstlichen Erbes rund um die "Stunde Null". Sie berichtet von Krieg und Zerstörung, von Enteignung und Vertreibung der Pücklers, von Flüchtlingen und Bodenreform, vom Engagement der ersten Museumsleute und Parkhüter, von Plünderungen und Rückführungen, von Kaninchen und Kartoffeln im fürstlichen Grün. "Es war eine turbulente Phase für Branitz gewesen", sagt Simone Neuhäuser, Kustodin der Stiftung Fürst-Pückler-Museum Park und Schloss Branitz.
Seit 1696 gehört das Gut Branitz der schlesischen Linie der Grafen Pückler. Nach dem Tod des berühmten Parkgestalters, Schriftstellers und Orient-Reisenden Fürst Hermann im Jahre 1871 übernimmt es sein Cousin Heinrich, ab 1897 dessen Sohn August. Er lebt dort mit seiner Frau Theodora und den fünf Kindern Luise Henriette, August Sylvius, Adrian, Carl Erdmann und Heinrich. Nach Augusts Tod 1937 folgt sein ältester Sohn August Sylvius als Gutsbesitzer. Es ist jedoch vor allem dessen Schwester Luise Henriette, genannt Ette, die sich um das Gut und die pflegebedürftige Mutter Theodora kümmert, derweilen ihre vier Brüder Kriegsdienst leisten. Während ein Teil der Familie noch vor dem verheerenden Bombenangriff der Alliierten am 15. Februar 1945 auf Cottbus Branitz verlässt, bleibt Ette mit ihrer Mutter vor Ort; lediglich die letzten Kriegstage im April verbringen sie zurückgezogen im Spreewald.
Rüben auf der Schmiedewiese
Doch die Rückkehr ins Schloss wird ihnen von den sowjetischen Streitkräften, die am 22. April Branitz einnehmen, verweigert. Luise Henriette und Theodora wohnen zunächst etwa ein Jahr im Parkinspektorenhaus, ehe sie in die Parkschänke (heute Kindertagesstätte) umziehen. Beide führen ein schlichtes Leben; sie müssen ebenso wie die Flüchtlinge nach Kohlen anstehen und werden zum Verfüllen von Bombenkratern eingesetzt. Denn der US-amerikanische Luftangriff Mitte Februar 1945, der eigentlich dem Kraftstoffwerk in Ruhland-Schwarzheide gilt, wegen schlechten Wetters aber nach Cottbus umgeleitet wird, und der rund 1000 Menschen tötet sowie 13 000 obdachlos macht, richtet auch im nahen Park und Dorf Branitz Schäden an. Rund 60 Bomben hinterlassen tiefe Trichter, sie zerstören Brücken, Wege und Teile der Landpyramide.
"Erbsen geputzt, Erdbeeren gepflanzt, Frauenhilfe", notiert Ette im Frühjahr 1946 in ihrem Terminkalender. Einer Freundin schreibt sie einige Wochen zuvor frustriert: "Kein Stückel Garten mehr sein eigen nennen zu können, ist grade hier allerdings sehr bitter. Unser Haus ist vollkommen ausgeräumt u. soll Kinderheim werden."
Ab Sommer 1947 gelten verschärfte Umgangsregelungen für enteignete Gutsbesitzer, sie dürfen nur noch in mindestens 50 Kilometern Distanz von ihrem Heimatort leben. Am 15. September werden beide Frauen ausgewiesen und in den Landkreis Luckau verbannt. Am 19. Oktober verlassen sie Branitz – und siedeln nach Bonn über, wo sich August Sylvius als Rechtsanwalt niedergelassen hat. Theodora stirbt 1953, Luise Henriette 1994 – sie wird in Branitz bestattet.
Von Juni 1945 an regelt die Sowjetische Militäradministration das öffentliche Leben in Ostdeutschland. Eine ihrer ersten Amtshandlungen: die "demokratische Bodenreform". Unter der Losung "Junkerland in Bauernhand" wird Grundbesitz von mehr als 100 Hektar entschädigungslos enteignet. Betroffen ist auch die Familie Pückler, deren Branitzer Gut knapp 760 Hektar umfasst. Am 14. Oktober 1945 kommt es auf der Terrasse des Schlosses durch die Kreisbodenkommission zur "feierlichen Landübergabe" an landarme Bauern, Flüchtlinge und Vertriebene. 56 Familien besitzen nun als sogenannte Neubauern Äcker und Wiesen sowohl im Außen- als auch im Innenpark. Auf der Schmiedewiese wachsen Kartoffeln, Kohl und Rüben. Auf der Pyramidenebene befindet sich eine Farm für 250 Kaninchen. In den Seen werden Fische gezüchtet.
Auf Anordnung des sowjetischen Kommandanten soll der Park auch zur Besiedelung freigegeben werden. Parkschmiede und Gutsökonomie etwa sollen abgerissen und an deren Stelle 32 Neubauernhöfe errichtet werden, wie ein Siedlungsplan von 1947 in der Ausstellung dokumentiert. Es ist vor allem Oberforstmeister Ernst Kluge zu verdanken, dass solche Pläne nicht umgesetzt werden. Der Forstreferent vermag den Kommandanten vom kulturhistorischen Rang des Branitzer Parks zu überzeugen. Der zieht schließlich seine Forderung zurück – mit den Worten "Wir sind keine Barbaren!" So notiert es Kluge 1948.
Das enteignete Schloss ist noch im April 1946 als Waisenhaus vorgesehen. Doch für die Stadt Cottbus steht bald fest, dass in dem Gebäude ein Heimatmuseum eingerichtet werden soll, weil die bislang museal genutzten Häuser in der Innenstadt in Trümmern liegen. Für den Erhalt des Pückler’schen Schlosses ist diese Entscheidung ein unschätzbarer Glücksfall und bleibt das einzige Beispiel einer solchen Schlossnutzung nach Enteignung im Land Brandenburg. Am 22. April 1947 übereignet die Provinzialregierung Schloss und Park der Stadt Cottbus – und stellt zugleich die gesamte Anlage unter Denkmalschutz. Im Mai erfolgen die ersten Pflegearbeiten in dem mittlerweile verwilderten Park. Rings um das Schloss werden Blumen gepflanzt und neue Bäume gesetzt. Eigenes Personal für die Pflege der umfangreichen Parkanlagen gibt es jedoch erst ab 1954.
Bereits im Sommer 1946 wird der frühere Lehrer Gustav Hermann mit dem Aufbau eines Museums beauftragt. Doch der Anfang ist mühselig. Einerseits sind 90 Prozent der musealen Bestände aus der Vorkriegszeit im Bombenhagel vernichtet worden. Andererseits bleiben das Schloss und dessen Ausstattung von Plünderungen durch Rotarmisten aber auch Deutsche nicht verschont.
Zudem werden diverse Möbel "von geringerem Gebrauchswert und meist beschädigt", wie es 1948 in einem von Hermann angefertigten Inventar heißt, "an Flüchtlinge und Dienststellen" abgegeben – darunter Kommoden, Schränke, Tische, Regale und eben auch Betten wie die eingangs erwähnte Klappliege. Die Empfänger quittieren die Leihgaben auf einem Zettel. Manche geben die Möbel zurück, einige erst Jahre später, andere gar nicht. Die Leihscheine aber sind bis heute erhalten; ausgewählte Exemplare sind in der Sonderausstellung zu sehen.
Am 30. Juli 1947 wird das Museum im Schloss offiziell eröffnet, zunächst in vier Räumen. Inhaltlich geht es um Alt-Cottbus in zeitgenössischen Bildern und Karten, um das Handwerk der Stadt, aber auch um die Geschichte des Parks und um dessen Schöpfer, Fürst Pückler. Gleichwohl muss Hermann gegen ideologische Vorgaben kämpfen, gegen "Modernisierungsmaßnahmen" wie das Entfernen von Deckenstuck, Marmor und Holztäfelung, gegen ein "HO Kaffee" im Erdgeschoss. 1952 kündigt er seinen Posten. Auch sein Nachfolger Artur Heiner wirft nach wenigen Jahren das Handtuch. Er plagt sich mit finanziellen wie personellen Engpässen herum. Und er plant eine Ausstellung über "Pückler als Beispiel junkerlichen Lebens im 19. Jahrhundert" – was umgehend missbilligt wird.
Bedingt durch die Wirren in der "Stunde Null", ist das fürstliche Erbe heute über halb Europa verstreut. Schwierig gestaltet sich zum Beispiel die Suche nach der einst 13 000 Bände umfassenden Pückler-Callenberg-Bibliothek. Nur ein geringer Teil – 4700 Bände, die nach Kriegsende nach Potsdam gelangten – befindet sich heute wieder in Branitz. Einige Bücher werden nach 1945 gestohlen, in andere Archive oder Bibliotheken überführt, ob ihres "militaristischen Gedankengutes" von der Sowjetischen Militäradministration beschlagnahmt oder gar vernichtet. Etwa 3600 Bände gelangen nach Gotha und gelten seitdem als verschollen. Nachgewiesen ist, dass sich mindestens 100 Bücher in der Moskauer Bibliothek für fremdsprachige Literatur befinden. Und manchmal tauchen verschwundene Bände, die das fürstliche Exlibis und Pücklers Wahlspruch "Amor et Virtus" (Liebe und Tugend) tragen, in Antiquariaten oder im Internet auf …
Récamière aus dem Müllcontainer
Bisweilen kehren verloren geglaubte Güter über verschlungene Wege nach Branitz zurück. Da ist etwa "Cupido". Die um 1811 vom dänischen Bildhauer Bertel Thorvaldsen geschaffene Marmorskulptur des römischen Liebesgottes zierte einst den Blauen Salon des Schlosses, gelangt nach 1945 in den Besitz des DDR-Dramatikers Peter Hacks, befindet sich heute in französischem Privatbesitz und ist nun in der Ausstellung zu sehen.
Bizarr mutet die Rückkehr eines anderen Möbels an. 1994 entdeckt der damalige Direktor des Cottbuser Stadtmuseums in einem Müllcontainer in Peitz eine arg ramponierte Récamière, ein Sitz- und Liegemöbel ohne Rückenlehne. Auf der Unterseite finden sich die Initialen LFPM – sie stehen für Lucie Fürstin von Pückler-Muskau, die Gattin des berühmten Parkgestalters. Nun steht das restaurierte Stück wieder in Branitz.
Ausstellung: "Branitz 1945. Das fürstliche Erbe in der Stunde Null", bis 30.9., täglich 11–17 Uhr, Marstall, Schloss und Park Branitz, Cottbus, Tel. 0355 75150, www.pueckler-museum.de