Ein Tabu sind psychische Krankheiten heute nicht mehr – und trotzdem fällt es leichter, über ein gebrochenes Bein zu sprechen als über Angstattacken. Vor allem, wenn es um Kinder und Jugendliche geht. Das Lesebuch „Vögel im Kopf“ erzählt vom echten Leben mit einer Depression, mit Panikschüben, Zwängen oder Magersucht.
Ungekünstelt und gerade darum sehr bewegend schreiben darin Betroffene, Eltern, Geschwister, Freunde und Betreuer aus dem Umfeld einer Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) in Tübingen.
Harte Themen - sehr lesbar aufgeschrieben
Da ist Kristina, heute 24, die eine Magersucht nicht nur am eigenen Körper durchlebt, sondern fast parallel auch bei ihrer Schwester. Ganz nüchtern beschreibt sie, wie die Krankheit alles verändert – wie sie keine Freundinnen mehr einlädt, weil sich die Schwester so seltsam benimmt; wie beide sich taxieren, wer die dünneren Beinchen hat; wie jeder Versuch, als Familie zu essen, eskaliert.
Auch ihre (schwerer betroffene) Schwester Greta, 23, hat einen Text beigesteuert – ein Jahr hat sie in der Klinik verbracht, einem Ort, den sie sowohl als Gefängnis wie als Zuhause erlebt. Auch wenn sie sich bis heute nicht komplett gesund fühlt – sie hat dennoch Abitur gemacht, studiert Jura, reist viel.
Viele der Mini-Biografien am Ende der Texte sind ermutigend – die jungen Erwachsenen haben anscheinend ihren Weg gefunden. Und der (teilweise mehrmalige) Aufenthalt in der KJP scheint dabei der Wendepunkt gewesen zu sein.
Psychiatrie als Zuflucht
Ihr Leben hätte dort „Stützräder verpasst bekommen“, formuliert es Anita, 37, die an der Kunstakademie studiert hat. Ein Schutzraum, nach dem sie sich noch heute manchmal sehne. Eine „Parallelwelt“ nennt Alena (18, Diagnose Depression) die KJP, im guten Sinn: „Langsam Vertrauen finden und Worte. Platz machen, für eine neue Haut.“
Die Psychiatrie als Zuflucht – ein für Außenstehende vielleicht überraschender Gedanke, der sich aber durchs ganze Buch zieht. Dabei werden Kämpfe mit Betreuern, Rückschritte und sogar Fixierungen nicht ausgespart. Insgesamt ein gut lesbares Aufklärungsbuch, das erstaunlich viel Hoffnung verströmt.