Der zeichnet sich aus durch ein tiefes Gespür für die Verwerfungen der Gesellschaft, ist aber auch geprägt von Verantwortung, die sie empfindet für Dinge, die schief laufen. Diese Konflikte macht sie zu ihrem Thema und lässt sie in ihre Arbeiten einfließen.
Zum diesjährigen Kunstpreis hat sich Carola Kirsch mit einer Serie von drei Grafiken beworben. Die Jury hat das überzeugt und sprach ihr den Preis im Genre Grafik zu. "Grenzüberschreitungen" heißt die Mini-Serie, die sie in abstrahierender Form mit Pinsel, Feder und in drei Querformaten Farbe zu Papier gebracht hat. Aus dem dunklen Strich entwickeln sich Figuren, sie strecken und winden sich, suchen nach einer neuen Form, ja wagen einen Ausbruch aus dem Werk. Bald überschreiten sie Grenzen und reichen über das Passepartout hinaus. Linien werden zu roten Fäden aus Garn und verweben sich mit grafischen Elementen. Dabei verwendet die Künstlerin recycelte Materialien. Getrocknete, glatt gestrichene Teebeutel etwa haben ihre eigene Ästhetik, wirken sie doch wie japanisches Kunstdruckpapier.
Gemalt hat Carola Kirsch schon immer. Seit ihrer Schulzeit, die sie in Lieberose und Cottbus verbrachte, war sie kreativ tätig. Später studierte sie Glastechnik in Weißwasser. "Ein Umweg", wie die Ingenieurökonomin sagt. Dennoch habe er ihr geholfen. Das Glas als ein Stoff, der Klarheit bringt, hat sie lange begleitet und tut es noch immer, vielleicht stärker als sie es sich eingestehen möchte.
Das Atelier, bei vielen anderen Künstlern ein Heimatort der spontanen, manchmal auch chaotischen Entäußerung, wirkt bei Carola Kirsch mehr wie eine Galerie mit vielen gut sortierten Grafiken und Skulpturen. Ein organisierter Arbeitsort, an dem sie sich wohlfühlt. Zwei stilvolle Sessel laden zum Verweilen ein. Sie gehörten einst der brandenburgischen Malerin Gudrun Bröchler-Neumann. Mit Bewunderung und Respekt steht Kirsch ihrem Werk gegenüber – menschlich und künstlerisch, wie sie sagt. So hat auch ein Bild der im Jahre 2013 verstorbenen Malerin hier einen zentralen Platz gefunden.
Die ersten Jahre als Künstlerin waren nicht einfach, sie habe sich durchkämpfen müssen, sagt sie. Mit dem brandenburgischen Kunstpreisträger Matthias Körner hat sie sich das Atelier geteilt. Der Bildhauer Steffen Mertens sei für ihre Entwicklung prägend gewesen.
Mit der US-amerikanischen Malerin Carolin Prescott, die mehrere Jahre in Cottbus arbeitete und lebte und später nach Berlin ging, verbindet sie noch immer eine künstlerische Nähe. Ihre erste Ausstellung hatte Carola Kirsch im Jahre 2008, viele sind seitdem dazugekommen. Das Behutsame, das von ihr ausgeht, kann sich aber auch in diplomatische Direktheit verwandeln, in weitreichendes Networking.
So waren ihre Werke unter anderem in Wien, Tokio, Sacramento (USA) und im französischen Arles zu sehen. Aber auch heimische Präsentationen in der spektakulären Architektur der Cottbuser Uni-Bibliothek, in der Kleinen Galerie in Goyatz am Schwielochsee oder in der Lieberoser Darre zählen dazu. Auch wenn die Skulptur nicht ihr hauptsächliches Metier ist, nimmt sie seit 13 Jahren alljährlich am italienischen Lago Trasimeno an einem Skulpturen-Workshop teil. Geleitet wird er von den Bildhauern Reinhard Kraft und Lutz Freier. Einige dieser Ergebnisse sind auch auf ihrer Homepage zu sehen – sinnlich und anregend.
Grenzüberschreitungen beginnen im Kopf, sagt die Künstlerin. Das setze ein Auseinandersetzen mit den Dingen voraus. Das Übertreten der Linien, der Striche, der Flächen – es vereint, es zerstört – alles ist möglich. Aber wer Grenzen überschreitet, sieht bald auch neue Chancen. Und warum können sich Dinge nicht verwandeln?, fragt die Künstlerin. In einer Miniserie übermalt sie gedruckte Zeitungsseiten, ja verändert sie bis zur Unkenntlichkeit. Aus schlechten Nachrichten Schönes machen? Das wäre doch ein wunderbares Lebensziel.