Orgelbau ist ein jahrhundertealtes Handwerk. 2017 wurden "Orgelbau und Orgelmusik" in die Unesco-Liste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Laut der Unesco-Kommission ist Deutschland eines der wichtigsten Länder für die Entwicklung des Orgelbaus. Einer der bundesweit 400 Orgelbaubetriebe findet sich in Werder. Dort werden auch Metallpfeifen hergestellt – was nicht mehr selbstverständlich sei, wie Johannes Schuke erzählt. Viele Betriebe lagerten die Produktion ins Ausland aus. In Werder aber wird nicht nur gegossen, sondern auch geforscht. Zusammen mit der Universität Potsdam wurde nach historischem Vorbild eine Legierung entwickelt, die besonders stabil sein soll.
Johannes Schuke erklärt, wie eine Pfeife hergestellt wird: Zuerst wird im Schmelzofen eine Zinn-Blei-Legierung auf 280 Grad Celsius erhitzt. "Vor dem Einfüllen in den Gießschlitten lässt unser Werkstattleiter das flüssige Metall noch wenige Grad Celsius abkühlen, bis die richtige Temperatur erreicht ist." Es erfordere Erfahrung, den richtigen Moment abzupassen, in dem die Masse auf eine Sandsteinplatte gegossen wird, die mit feuerfestem Stoff überzogen ist. So entsteht eine dünne Metallplatte, die zurechtgeschnitten und ausgedünnt wird.
Weiter geht es in der Werkstatt nebenan, wo das Metallblech geformt und zusammengelötet wird. Auf einer Werkbank liegen glänzende, der Größe nach sortierte Metallrohre. Damit daraus Pfeifen werden, müssen noch der Pfeifenkern und der kegelförmige Pfeifenfuß angelötet werden, erklärt Schuke.
Er und sein Bruder seien mit dem Orgelbau aufgewachsen. "Die älteren Kollegen kannten uns schon als Kinder." Sein jüngerer Bruder Michael absolvierte nach der Schule eine Ausbildung als Orgelbauer und machte seinen Meister. Er selbst studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Berlin und arbeitete als Bauingenieur für ein Ingenieurbüro in Berlin. Später entschied er sich, mit in den väterlichen Betrieb einzusteigen.
2018 übernahmen die beiden Brüder die Geschäftsführung – und teilen sich seitdem die Aufgaben. Der Jüngere kümmert sich um das Handwerkliche und berät Kunden, der Ältere ist für die Zahlen zuständig. "Ich halte meinem Bruder mit den wirtschaftlichen Dingen den Rücken frei", erzählt Johannes Schuke. "Eine Orgel ist ein Bauwerk, das Musik macht", sagt er und lächelt. Tatsächlich sehen die Instrumente von hinten wie kleine Häuser aus. Sie können eindrucksvolle Dimensionen erreichen. Die Orgel im Magdeburger Dom wiege mehr als 35 Tonnen, erzählt Schuke.
Eines der größten Projekte war der 2008 vollendete Neubau der Magdeburger Orgel, die mehr als 6000 Pfeifen zählt. Auch für den Dom in Kaliningrad (Königsberg) bauten die Brandenburger einen Orgelkomplex. Ein weiteres Großprojekt ist die Orgel im Leipziger Gewandhaus, die Anfang der 1980er-Jahre eingeweiht und 2008 erweitert wurde. In Werder werden Orgeln nicht nur gebaut, sondern auch restauriert, gereinigt und gepflegt. Viele Aufträge spielen sich in der Region ab. "Die kleinen Projekte sind etwas Besonderes, weil man dabei die Leidenschaft und das Engagement der Leute sieht", sagt Johannes Schuke. Häufig ergreifen Dorfbewohnerinnen und -bewohner die Initiative, sammeln Geld, stellen Antrage und organisieren Pfeifenpatenschaften, um die örtliche Orgel zu restaurieren. Wenn das Instrument beim Festgottesdienst erklinge, blicke man in glückliche Gesichter. "Das sind Momente, die erlebt man nicht in einem Ingenieurbüro", sagt Schuke.
Das Handwerk sei auch deshalb so besonders, weil man mit Instrumenten zu tun habe, die mehrere hundert Jahre alt sind. Auch der Betrieb selbst feiert in diesem Jahr sein 200-jähriges Bestehen. Gegründet wurde die Werkstatt vom Orgelbaumeister Gottlieb Heise, danach führten Carl Ludwig Gesell und später sein Sohn Carl Eduard Gesell fort. Schon damals wurden Orgeln exportiert – beispielsweise nach Buenos Aires und Konstantinopel. Nach Gesells übernahm 1894 dessen Schüler Alexander Schuke den Betrieb, der seitdem in Familienhand ist.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entschied man, eine zweite Werkstatt in Berlin zu gründen. Die Mauer zwischen Ost und West trennte die beiden Betriebe bald. "Es gab Kontakte, aber jeder hatte seine eigenen Projekte", erzählt Johannes Schuke. Die Berliner Werkstatt heißt immer noch Schuke, hat aber nichts mehr mit der Familie zu tun. Das Brandenburger Pendant wurde 1972 verstaatlicht. "Das war ein herber Schlag für meinen Großvater", erzählt Schuke. 1990 kaufte sein Vater den Betrieb zurück.
Beim Gang durch die Flure der neu gebauten, 2004 bezogenen Produktionsstätte deutet der Geschäftsführer auf Fotos an den Wänden. Sie zeigen Hinterhöfe in der Potsdamer Innenstadt, wo sich die Werkstätten damals noch auf mehrere Gebäude verteilten. Heute sind es nur ein paar Meter bis zu der Holzwerkstatt. Dort werden Holzteile gefertigt und restauriert – vom Gestell über den Balg bis hin zur Klaviatur. Johannes Schuke deutet auf eine Reihe von hölzernen Orgelpfeifen: "Hier ist der Holzwurm drin". Einige Schritte weiter arbeitet sein Vater Matthias an einer alten Klaviatur.
In einem weiteren Raum werden die Metallpfeifen so eingerichtet, dass sie die richtigen Töne von sich geben. Dort steht eine sogenannte Testwindlade, auf die Pfeifen gestellt und ausprobiert werden. Wird eine Taste der Klaviatur betätigt, öffnet sich ein Ventil, durch das der Winddruck über die Tonkanzelle zur entsprechenden Pfeife gelangen kann und diese ertönen lässt. Immer noch funktionieren Orgeln größtenteils mechanisch, erklärt Schuke. Die meisten Instrumente aber haben heute lediglich ein elektrisches Gebläse, sodass der Winddruck nicht mehr durch Kalkanten (Bälgetreter) erzeugt werden muss.
Das Besondere an Orgeln seien ihre Variationsmöglichkeiten. Der Organist kann je nachdem, welche Wirkung er erzielen will, unterschiedliche Register an- oder ausschalten. Als Register werden Pfeifen derselben Klangfarbe bezeichnet. Bei Konzertorgeln können sie auch elektronisch gesteuert werden.
Zusammengebaut werden die Orgeln in der zehn mal zehn mal zehn Meter großen Montagehalle, in der gerade zwei Instrumente auf ihren Transport nach China warten. Außerdem ist der Betrieb mit dem Umbau und der Erweiterung der Orgel in der Kirche St. Katharinen in Brandenburg (Havel) beschäftigt, die im Juni eingeweiht werden soll.
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