Der Pakt, mit dem Hitler und Stalin vor 80 Jahren Polen und weitere Staaten untereinander aufteilten und damit den Weg für den Zweiten Weltkrieg ebneten, gilt bis heute als ein Vorspiel des "eigentlichen" Zweiten Weltkrieges. Das Ausmaß der Zusammenarbeit der beiden Diktatoren und ihrer Handlanger  von 1939 bis 1941 ist den meisten Menschen kaum bekannt.  Die Historikerin Claudia Weber von der Frankfurter Europa-Uni hat ein Buch über die Zeit dieses Pakts geschrieben. Mit ihr sprach .
Frau Professorin Weber, Ihr Anliegen ist es, die bisher unterschätzte Dimension der Zusammenarbeit von Hitler und Stalin von 1939 bis 1941 zu beschreiben. Warum wurde diese Periode von Historikern bisher so unterschätzt?
Wir haben uns mit dem Zweiten Weltkrieg vor allen Dingen aus der Perspektive der deutsch-sowjetischen Gegnerschaft beschäftigt. Das ist zum einen nachvollziehbar, weil erst von 1941 bis 1945 der Holocaust und auch der brutale deutsche Vernichtungskrieg in der Sowjetunion stattgefunden haben.
Es gab dagegen ein gewisses Unbehagen, fast sogar Ratlosigkeit, sich mit der Zeit auseinanderzusetzen, in der die später erbitterten Gegner Verbündete waren. Man hat den Abschluss des Paktes am 23. August 1939 damit erklärt, dass Hitler Polen überfallen und Stalin Zeit gewinnen wollte. Die 22 Monate danach bis zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 sind dagegen wenig erforscht. Mich hat deshalb die Frage interessiert: Was ist eigentlich in diesen 22 Monaten genau passiert?
Um dies dem Leser zu erklären und nicht aus unserem heutigen Wissen über den Ausgang der Geschichte zu urteilen, schildern sie die damalige Zeit und die Umstände des Paktes sehr ausführlich. Man staunt darüber, dass sich Hitler und Stalin sogar als Friedensstifter für Europa zu präsentieren versuchten, nachdem sie Polen erobert hatten!
Diese Propagandastrategie, die ja darin bestand, den Engländern und Franzosen die Schuld für den Krieg in die Schuhe zu schieben, war schon bekannt. Es geht mir jedoch um die Erklärung, warum das für Stalin und Hitler damals gar nicht so abwegig sein konnte.
Dahinter stand die Überlegung, dass die Westmächte ähnlich wie beim Münchener Abkommen 1938, als Deutschland die Sudetengebiete in der Tschechoslowakei besetzte, noch einmal zuschauen könnten, wie sich Hitler ein weiteres Land einverleibt.
Stalin hat ja auch erst abgewartet, ob England und Frankreich tatsächlich Polen militärisch beistehen würden, bevor seine Truppen selbst das östliche Polen besetzten. Der Sowjetunion ist ja dafür auch gar nicht der Krieg erklärt worden.
Mich hat bei den Recherchen – auch mit Blick in die Gegenwart – selbst noch einmal überrascht, wie intensiv die westlichen Demokratien damals bereit waren, mit Diktatoren zu dealen.
Ihre Hoffnung, russische Originalquellen aus der damaligen Zeit verwenden zu können, hat sich offenbar nicht erfüllt. Warum ist es so schwierig, an diese heranzukommen?
Das lässt sich relativ einfach beantworten: Die russischen Archive zu diesem Thema sind noch immer zu. Selbst meine russischen Kollegen kommen nicht an das Archiv des Moskauer Außenministeriums heran.
Natürlich liegen dort unermesslich wichtige Akten. Ich hätte sehr gern auch den Molotow-Besuch bei Hitler im November 1940 mithilfe sowjetischer Akten und nicht nur anhand deutscher Akten beschrieben.
Andererseits hat mich absolut überrascht, dass man nur nach Berlin fahren muss, um herauszubekommen, welche gemeinsamen Kommissionen etwa zu Umsiedlungen von Volksdeutschen es damals gab. Diese Akten sind seit Jahrzehnten im Archiv des Auswärtigen Amtes sowie im Bundesarchiv öffentlich zugänglich.
Warum macht Russland die Akten nicht auch endlich zugänglich?
Es besteht wahrscheinlich bis heute die Angst, dass es am Mythos vom Großen Vaterländischen Krieg kratzen würde, wenn Forscher sich in den Moskauer Archiven mit der Zusammenarbeit zwischen Gestapo und dem NKWD beschäftigen würden.
Ich glaube das übrigens nicht. So wie der Vorwurf nicht stimmt, dass man die deutschen Verbrechen im Krieg relativieren würde, wenn man auch Verbrechen der Sowjetunion beschreibt. Im Gegenteil: Je mehr man sich mit dem Pakt und seinen Folgen beschäftigt, wird deutlich, dass es Hitler war, der den Krieg wollte.
Stalin hatte nichts gegen die territorialen Eroberungen, die ihm der Pakt in Polen, im Baltikum und in Bessarabien brachte. Und er hatte auch nichts gegen die Verbrechen, die etwa der NKWD bei der Ermordung polnischer Juden und Offiziere verübte. Den Krieg aber wollte er nicht. Und er empfand es geradezu als Dummheit, als Hitler den Pakt 1941 brach und die Sowjetunion überfiel.
Claudia Weber: "Der Pakt – Stalin, Hitler und die Geschichte einer mörderischen Allianz 1939–1941", C. H. Beck, 276 Seiten, 26,95 Euro

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