Wer derzeit sehnsüchtig nach Amsterdam blickt, wo die Vermeer-Ausstellung trotz erweiterter Abendöffnungszeiten in Windeseile ausverkauft war und alle Rekorde bricht, den erwartet in Berlin, viel naheliegender, eine ähnliche, vielleicht noch größere Sensation.
Die Ausstellung „Hugo van der Goes. Zwischen Schmerz und Seligkeit“ ist nicht nur die erste Ausstellung überhaupt, die dem niederländischen Maler gewidmet ist. Sie versammelt, und das ist tatsächlich ein Coup, bis auf zwei Werke alle bekannten Arbeiten des Malers, plus vieles, was in seinem Umfeld, von Lehrern oder Schülern entstand.

Nur 14 Werke gelten als eigenhändig - Berlin besitzt 3 davon

Das ist einerseits jetzt nicht so schwierig – kennt man von dem Künstler doch nur etwa 14 Bilder. Diese jedoch sind oft so fragil, dass sie kaum je reisen dürfen – oder, und dafür sprang in Berlin der Kaiser-Friedrich-Museumsverein ein – in aufwändigen Klimakisten präsentiert werden müssen. Auch die Fachwelt wird die Chance nutzen, Werke, die zusammengehören, heute aber in alle Länder verstreut sind, einmal nebeneinander zu sehen. Es dürfte sich um eine einmalige Gelegenheit handeln. Das ist nur deshalb in Berlin möglich, weil die Gemäldegalerie immerhin drei Hauptwerke besitzt – und damit schon den größten van der Goes-Bestand weltweit. 1830, als im Alten Museum die erste Galerie eröffnete, meinte man noch sieben Bilder von Hugo van der Goes zu besitzen. Keins davon gilt heute noch als eigenhändig.

Erst ins Kloster, dann dem Wahnsinn verfallen

Wer war er nun, dieser Maler, der lange im Schatten seiner Landsleute Jan van Eyck, Rogier van der Weyden, Hieronymus Bosch oder Peter Paul Rubens stand? Einer der ganz großen Koloristen, von Albrecht Dürer als „großer Meister“ geschätzt, und wegen seiner dramatischen Lebensgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert Stoff für Legenden und Künstlermythen. Denn der ab 1467 in Gent als selbständiger Meister tätige Maler brach Mitte der 1470er-Jahre seine erfolgreiche weltliche Karriere aus unbekannten Gründen ab und trat als Laienbruder in ein Kloster bei Brüssel ein – wo er freilich fleißig weiter produzierte. Damit nicht genug: Auf einer Reise nach Köln wurde er vom Wahnsinn befallen und versuchte sich das Leben zu nehmen. Die Vita, die sein Mitbruder Gaspar Ofhuys 1509 verfasste und die im 19. Jahrhundert wiederentdeckt wurde, vermeldet lakonisch: „Begraben ist er in unserem Hof unter freiem Himmel“. Das Bild „Der Wahnsinn des Hugo van der Goes“, das der belgische Maler Émile Wauters 1872 malte, machte europaweit Furore – und beeindruckte auch Vincent van Gogh, der sich in dem wahnsinnigen Maler wiedererkannte.
Mythos vom irren Künstler: Émile Wauters‘ Gemälde "Der Wahnsinn des Hugo van der Goes" von 1872, heute im Königlichen Kunstmuseum in Brüssel, beeindruckte auch Vincent van Gogh, wie er in Briefen an seinen Bruder Theo bekennt.
Mythos vom irren Künstler: Émile Wauters‘ Gemälde „Der Wahnsinn des Hugo van der Goes“ von 1872, heute im Königlichen Kunstmuseum in Brüssel, beeindruckte auch Vincent van Gogh, wie er in Briefen an seinen Bruder Theo bekennt.
© Foto: J. Geleyns / Ro scan
Genügend Drama also für einen Künstler, der wie kein anderer Emotionen und Schmerzen in seine Bilder bannen konnte. So zeigt eine später in zwei Teile geschnittene Kreuzabnahme, deren Teile in Antwerpen und Berlin aufbewahrt werden und hier wieder nebeneinander hängen, in der Gestalt des gestorbenen Christus die physischen, mit Maria und Johannes die seelischen Schmerzen höchst drastisch.
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Auch auf dem berühmten Gemälde des „Marientods“, das, frisch restauriert, aus Brügge nach Berlin entliehen wurde, sind die Jünger rund um das Bett geradezu in Schock erstarrt, blicken starr und fassungslos aus dem Bild. „Wie kein anderer Maler des 15. Jahrhunderts hat Hugo van der Goes Schmerz dargestellt“, so Kurator Erik Eising.

Luft und Licht für den Monforte-Altar

Auch beim berühmten Monforte-Altar, dem Hauptwerk im Berliner Besitz, gibt es Neues: Wirkten die monumentalen Figuren auf der wie eine Bühne angelegten Geburtsszene im Stall bislang immer etwas gedrängt und zu wuchtig im Raum, hat die rekonstruierende Ergänzung eines im 17. Jahrhundert entfernten Stücks am oberen Rand plötzlich Luft und Licht in die Szene gebracht.
So ist der Gang durch die zentrale Halle der Berliner Gemäldegalerie ein Wechselbad der Gefühle – genau die richtige Ausstellung für die Kar- und Osterwoche. Die leuchtenden Farben, die so realistischen wie psychologisch genauen Porträts und die geradezu detektivische Spürarbeit, mit der auf den Wandtexten Zu- und Abschreibungen diskutiert werden, machen den Besuch zum ebenso sinnlichen wie intellektuellen Hochgenuss.
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Mit dem „Heiligen Lukas“ aus Lissabon können die Kuratoren Stephan Kemperdick und Erik Eising ein bislang als Kopie angesehenes Bild als eigenhändig zur Diskussion stellen – „und wir sind erst am Anfang“, so Kemperdick. Lange nicht mehr war kunstgeschichtliche Forschung so einleuchtend und allgemeinverständlich. „Das bringt Berlin auf der Landkarte der Altmeisterausstellungen“, freut sich Birgit Birgit Blass-Simmen vom Kaiser-Friedrich-Museumsverein.
„Hugo van der Goes. Zwischen Schmerz und Seligkeit“, Gemäldegalerie Berlin, bis 16. Juli, Di – Fr 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr, Sa + So 10 – 18 Uhr. Katalog im Museumsshop 39 Euro.