In Berlin, wo er am Sonntag mit dem "Welt"-Literaturpreis ausgezeichnet wurde und am Montagabend im Babylon zum Abschluss des internationalen literaturfestivals vor fast vollem Haus las, tritt er ohnehin entspannt auf und nicht zum ersten Mal. Lange Schlangen zum Signieren seiner Bücher sind ihm gleichwohl sicher.
Auf der Suche nach Salma R.
Diesmal geht es um "Quichotte", seinen vierzehnten Roman, der zuletzt auch für den Booker Preis nominiert war. Es ist eine Art Überschreibung des berühmten Werks von Miguel Cervantes, wobei der "Ritter von der traurigen Gestalt" zu einem Pharmavertreter namens Ismael Smile mutiert ist, der für den Talkshow-Star Salma R. schwärmt und durch ganz Amerika reist, um ihr nahezusein. Seine Briefe an sie unterschreibt er mit "Quichotte".
Dass der Name noch eine andere Bedeutung hat, erklärt der Autor im von Bernhard Robben souverän moderierten Gespräch: Man kann ihn phonetisch auch als "Key Shot" lesen, als Drogenschuss. Denn ein Thema des Romans ist der Opiadmissbrauch, der in den USA zuletzt 130 Menschen pro Tag das Lebens kostete, die von unfachgemäß verschriebenen Medikamenten süchtig geworden waren. Ein Thema, das Rushdie näher geht als man vermutet: Seine jüngere Schwester starb vor zwölf Jahren an einer Überdosis Opium, erzählt er in Berlin. Bis dahin habe er noch nicht einmal gewusst, dass sie süchtig ist. "Dass der Preis für Integrität so niedrig ist, habe ich nie gedacht", bekennt er angesichts von bestochenen Ärzten, die sich ihre Berufsethos für 30 000 Dollar abkaufen ließen. Das Suchtmittel für Ismael Smile, dessen Stimme nur eine unter verschiedenen verwirrenden Erzählebenen ist, sind die Fernsehserien, die dieser nach einem Schlaganfall exzessiv konsumiert – er habe zur Recherche auch viel ferngesehen und dabei gespürt, wie sein Gehirn zerfallen sei, erzählt Rushdie. Am Ende kommt es im Central Park dann zur tragikomischen Begegnung zwischen Smile und seiner Angebeteten, die samt Drogentüte schnellstens wieder das Weite sucht. Der Übertritt in die Welt der Talkshow-Götter erfordert einen hohen Preis.
Nicht nur, dass Salma R. namentlich an Salman Rushdie erinnert: Gleich, welchen Faden der Moderator im extrem unterhaltsamen und locker noch lange fortmäandernden Gespräch aufgreift, immer enthüllen sich viele Schichten von Anspielungen und metaphorischen Ebenen, und die meisten haben mit Rushdie selbst zu tun. Ob es um das Viertel im Bombay geht, wo Rushdie aufwuchs und das er schon in "Mitternachtskinder" als Schauplatz wählte, um Paul Simons "Graceland" oder um das persische Epos der "Konferenz der Vögel" aus dem 12. Jahrhundert, das als Blaupause für die Heldenreise gilt, immer zeigt sich, wie sicher der Autor sich bewegt. Und wenn er schließlich auf zwei Seiten wortreich die vielfältigen Formen und Geräusche des Schnarchens beschreibt, ist er vollends wieder der große Sprachmagier der komischen Literatur.
Dass er durchaus auch ein scharfer Gegenwartskritiker ist, wird deutlich, wenn Rushdie am Ende die Gelegenheit nutzt, eine Lanze für die Literatur in heutigen Zeiten zu brechen. Was ihn an Cervantes’ "Quichotte" so begeistert habe, sei, dass am Ende die Welt sich als verrückter herausstellt als der Held, das sei hoch aktuell. Denn auch wenn er in seinen Büchern die Realität immer wieder lustvoll fiktionalisiere, sei das etwas anderes als eine Lüge. Gehe es der Literatur doch immer darum, durch die Fiktion die Wahrheit hervortreten zu lassen, während die Lüge sie bewusst verschleiere. So gesehen, sei Literatur nie wichtiger als in Zeiten, in denen die Grenzen zwischen Fake und Wirklichkeit bewusst verwischt werden.
Der Name Trump taucht weder im Gespräch noch im Buch auf. Doch jeder weiß, wer gemeint ist.

Der Autor und sein Werk

Salman Rushdie, 1947 in Bombay geboren, studierte in Cambridge Geschichte. Mit seinem Roman "Mitternachtskinder" wurde er weltberühmt. Seine bislang 13 Romane sind in mehr als 40 Sprachen übersetzt. 2007 schlug ihn die Queen zum Ritter. "Quichotte" erschien am 14. Oktober (C. Bertelsmann, 461 S., 25 Euro). red