Erwin Kowalke, bis vor zehn Jahre Umbetter des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, mahnt: "Immer noch liegen zigtausend Soldaten unbestattet in Feldgräbern". Wenn wie jetzt  im April die Rapsfelder blühten, würde er immer denken, dass die Blumen für die darunter liegenden Soldaten gelb aufleuchteten, sagt er.
Viel Grausames habe er gesehen, berichtet Kowalke, der 1941 geboren wurde. Sein eigener Vater sei in der Nähe von Metz in der Nacht auf den 25. November 1944 gefallen. Immer wieder hatte er bei Ausbettungen, wenn nach Hinweisen von Zeitzeugen oder bei Bauarbeiten Gebeine Gefallener gefunden wurden, das individuelle Schicksal betont. Auf die Jugend hingewiesen, darauf, dass vor denen, die dort liegen, eigentlich das ganze Leben noch bevorgestanden  hatte.
Joachim Kozlowski ist bei Erwin Kowalke ab 1993 in die "Lehre" gegangen. Ehrenamtlich. Anlass war zunächst ein Einsatz als Lebensrettungsassistent bei einer Ausbettung.  Doch das Interesse an den Schicksalen war schon vorher geweckt. Während seiner Tätigkeit als Rettungssanitäter hatten ihm die Patienten oftmals ihre Lebensgeschichte erzählt. Natürlich ging es dabei oft auch um die Kriegserlebnisse. Nun, während der Umbettungen, waren de die Gebeine derer, die nicht mehr erzählen konnten. "Viele der Gefallenen waren jünger als mein 18-jähriger Sohn heute", sagte der 48-Jährige. Und dieses Wissen um die Individualität jedes einzelnen Gefallenen gibt er der jungen Generation weiter.
Deshalb nimmt er auch an einem deutsch-polnischen Schulprojekt teil, das in Oberschülern genau dieses Verständnis wecken will.  In der Seelower Bertolt-Brecht-Schule, in der er selbst einmal gelernt hatte, erzählte  er den  Teenagern zum Projektauftakt  von der Arbeit des Volksbundes. Selbst die, die sonst gern cool sein wollen, bekamen bei den Schilderungen Gänsehaut. Mit Rücksicht auf das Alter der Schüler verzichtete der Umbetter zwar weitgehend auf die Bilder von Überresten Gefallener. Aber er nannte Zahlen. Allein in Lietzen wurden  auf dem Soldatenfriedhof mehr als 2000 Gefallene eingebettet. Rund 5000 gefallene Rotarmisten wurden in Lebus beigesetzt, rund 3000 in Reitwein. In dem weit größeren Friedhof von Halbe sind es etwa 26 000.  Er berichtete davon, wie jung viele der im Krieg getöteten Menschen waren und vor allem, dass es noch immer Massengräber mit zivilen Opfern, Frauen und Kindern gibt, die erst nach so langer Zeit entdeckt und umgebettet werden können.
"Ihre Körper vergehen, aber ihre Würde bleibt", betonte Kozlowski und mahnte, auf jedwede Gewalt zu verzichten. Er brachte seine Überzeugung zum Ausdruck, dass alle Gewalt wieder Gewalt hervorbringt. Wer sich bereit erkläre, sich eine Waffe umzuhängen, sich in eine Uniform stecken zu lassen, der müsse damit rechnen, auch einmal in einem der Pappsärge zu landen, die gerade mal so groß sind, dass ein menschlicher Oberschenkelknochen darin Platz hat. Oliver Breithaupt, Geschäftsführer des 2111 Mitglieder starken Landesverbandes des Volksbundes, sieht gerade in dieser öffentlichen Aufklärung einen wichtigen Bereich des heutigen Wirkens. Die der staunenden Öffentlichkeit oftmals vorgeführten Aus- und Einbettungen Gefallener  täusche oftmals ein falsches Bild von der tatsächlichen im Land gelebten Erinnerungskultur vor. An den jährlichen Sammlungen des Volksbundes  beteiligen sich immer weniger Menschen. Wolfgang Bartsch aus Letschin nennt er als überragende Ausnahme. Über Projekte wie dem an der Seelower Oberschule könne es aber gelingen, dass sich die Menschen auch 75 Jahre dem grausamen Krieg der Gefallenen erinnern und die "Versöhnung über den Gräbern", wie es der Leitspruch des Volksbundes ist, leben.
Während zu DDR-Zeiten offiziell vor allem ein abstraktes Gedenken stattfand, der einzelne  Gefallene, sei es ein Rotarmist oder ein Wehrmachtsangehöriger, kaum als Mensch gewürdigt wurde, gab es immer wieder Einzelinitiativen, die sich der Grabstätten annahmen. "Ich kenne heute noch viele, die ein Gefallenengrab im Oderbruch pflegen. Ganz aus eigenem Antrieb, aus Menschlichkeit. Wir behalten das im Auge, um gegebenenfalls  für eine Nachfolge zu sorgen", sagte Joachim Kozlowski.

Vicco von Bülow (Loriot) setzte Stein für gefallenen Bruder

Ein Beispiel für solch ein  zivilcouragiertes Verhalten ist  die Kriegsgräberstätte im Gorgaster Park. 390 deutsche Soldaten ruhen dort, 179 davon namenlos.  Johann Albrecht von Bülow hat dort einen Extra-Stein. Als er am 21. März 1945 fiel, war er bereits Leutnant und 20 Jahre alt. Von Bülow ist ein prominenter Name. Ein verpflichtender auch. Das seit 1154 nachweisbare, weit verzweigte mecklenburgisch-preußische Adelsgeschlecht der Bülows hat Generäle und Reichskanzler, aber auch Diplomaten, Schriftsteller und Wissenschaftler sowie mit Hans von Bülow auch den ersten Chef des Berliner Philharmonischen Orchesters hervorgebracht. Seinem jüngeren Bruder hatte Vicco von Bülow, besser bekannt unter dem Namen Loriot, den Extra-Stein setzen lassen, noch bevor die Kriegsgräberstätte im Park errichtet worden war. Seither hatte er die Stätte einige Male besucht. Obwohl Loriot zurückgezogen in Bayern am Starnberger See lebte, war er vor 15 Jahren bereit, mit der "Märkischen Oderzeitung" über seinen Bruder zu sprechen.
Er hatte in  Gorgast Bürger getroffen, die eine Grabstätte auf dem Friedhof an der Kirche ermöglichten. Mit eigenem Stein. Pfarrer Klaus Zebe könnte damals Ansprechpartner gewesen sein, Loriot konnte sich nicht mehr genau erinnern. "Das war an sich auch überhaupt kein Problem. Die Mauer gab es noch nicht", sagte er. 1947, als die Kriegsgräberstätte im Gorgaster Park geschaffen wurde, gelang es auch, den Stein seines Bruders mit zu integrieren. Gorgaster wie Hans Sawall und Fritz Weber hatten geholfen. Loriot sprach im MOZ-Interview vom Missbrauch durch das Nazi-Regime und von der Verantwortungslosigkeit, mit der die deutsche Jugend in den Krieg geschickt wurde. "Ein Neonazi von heute hat doch keine Ahnung, für wen und wofür er dort auftritt", warnte Loriot vor dem Missbrauch der Grabstätten.