Die Brandflecken, Schadstellen und Spuren von Stühlen und Besuchern auf dem Teppich im kleinen Kinosaal. Das schadhafte Eichenholzparkett im Foyer im ersten Stock. Die Reste von Bühnenvorhang im Großen Saal. Die abgeschraubten Lampen, deren Schraublöcher wie zwei Augen aus der Wand sehen. Und natürlich die vielen Graffiti, mit denen Hobbykünstler die Wände des seit 23 Jahren leer stehenden Gebäudes schmückten.
Das alte Lichtspieltheater in Frankfurt (Oder) ist ein magischer Ort. Und bevor es bis 2028 zum neuen Standort des Brandenburgischen Landesmuseums für moderne Kunst umgebaut wird, nutzt die Künstlerinneninitiative Endmoräne es einen Sommer lang zu einer so inspirierenden wie vielfältigen Ausstellungsinstallation. 18 Künstlerinnen haben zwei Wochen lang im Haus gearbeitet, vom Heizungskeller bis zum Abstellraum, haben mit Licht- und Schattenspielen, Bewegtbild und Projektion experimentiert und immer auf die vorgefundenen Räume reagiert.
Ein Teppich voller DEFA-Titel
Da versieht Annette Munk den schadhaften Teppich mit kleinen, irritierenden Interventionen, Reparaturen oder Ergänzungen, die die Besucher zum genauen Hinsehen animieren. Den gleichen Teppich hat Michaela Nasoetion fotografiert und in der Kassenloge mit den Titeln von DEFA-Titeln belegt, die auch in diesem Kino gezeigt worden sind – oder eben nicht, weil sie zum Jahrgang der 1965 durch das Plenum des ZK verbotenen Kellerfilme gehörten.
Erinnerungen an das Kino und ihre Erlebnisse dort treibt viele Frankfurter bis heute um – ein Schreibworkshop, den die Autorin Carmen Winter mit Frankfurter Bürgern veranstaltet hat, brachte anrührende Erinnerungen an Kindheitserlebnisse im Lichtspieltheater hervor – aber auch einen Haiku wie „Die Welt ist ein Fünfeck / Altes, altes Kino / Bilder lügen nicht / Worte sagen nicht die Wahrheit“. Und Studierende der Viadrina haben unter Anleitung von Elke Postler im Gebäude fotografiert und eine Soundinstallation entwickelt.
Überall ist es die Morbidität, die die Künstlerinnen beschäftigt, das Spannungsfeld zwischen einstiger Pracht und heutigem Verfall, zwischen dem (trügerischen) Versprechen des Filmes und der harten ostbrandenburgischen Realität. Angela Lubic ergänzt das aufgebrochene Parkett mit Styropor-Stäben, die das Muster nachbilden und die Künstlerin gleichzeitig an ein Architekturmodell mit Plattenbaureihen erinnern. Katrin Schmidtbauer lässt sich durch die Wandgraffiti zu einem Vorhangmuster inspirieren, das vor den großen Fenstern im Obergeschoss im Wind bauscht und die abblätternden Wandfarben und die Reste des alten Vorhangs ergänzt. „Ich finde den Gedanken schön, dass hier schon vorher Menschen eingedrungen sind, die mit dem Ort gearbeitet und ihre Spur hinterlassen haben“, erklärt sie dazu. Dass sieht ihre Kollegin Lubic, die Teile ihrer Arbeit erneuern muss, weil sich aktuelle Graffitisprüher auf ihr verewigt hatten, wahrscheinlich anders.
Überhaupt: die Teppiche. Barbara Müller hat im Großen Saal dem Besucher einen roten Teppich ausgerollet, der durch den abschüssigen Boden auch etwas von einer Startbahn hat: eine Einladung zum Abheben. Dass der Stoff dazu aus Fetzen einer Resterampe stammt und unterschiedliche Rottöne hat, stört zwar den Glamour-Effekt etwas, passt aber zum verblichenen Charme des Gebäudes. Von der Spannung zwischen Vergangenheit und Gegenwart haben sich mehrere Künstlerinnen inspirieren lassen – am kritischsten wohl die beiden Nestorinnen der Gruppe, Erika Stürmer-Alex und Christiane Wartenburg. Stürmer-Alex hat in einer Abstellkammer Fahnen mit DDR-Slogans eingelagert, als deutlichen Kommentar auf die Haltbarkeit politischer Parolen – und in die Ecken des Kinosaals zwei Installationen platziert, die mit zerbrochenen Puppen, Spielzeuggewehren und Müll an die Schrecken des Ukrainekrieges mahnen. Christiane Wartenberg bringt im Treppenhaus unter dem Titel „Erinnerungsriss/hymnisch“ auf ihren typischen Schrift-Kunstwerken die DDR-Nationalhymne zum Stottern und verwandelt sie in einen Kommentar auf die Gegenwart.
Hommage an Marlene Dietrich
Dorothea Neumann, die als Vorsitzende von Endmoräne durch die Ausstellung führt, erinnert mit ihrer Installation „Blauer Engel“ an die Filmdiva Marlene Dietrich, die mit dem frühen Tonfilm „Der blaue Engel“ ihre Karriere begann, Nazideutschland verließ und nach dem Krieg wegen ihres Engagements für die US-Soldaten als „Vaterlandsverräterin“ beschimpft wurde: Blau angestrahlte Gaze hängt im Raum, aus den Lautsprechern klingt das Anti-Kriegslied „Sag’ mir, wo die Blumen sind“.
Da tut es gut, wenn zwischendrin auch einmal Humor aufscheint und Barbara Müller Studien zu der Form von Popcorn unternimmt – Schmetterling und Pilz will sie als Urformen ausgemacht haben, bannt sie auf zarte Zeichnungen – und katapultiert einige Popkörner immer wieder per Zeitschaltuhr ins Treppenhaus. Doch den schönsten Film malt das Licht, in einern bezaubernd stillen Arbeit von Susanne Ahner, die schlicht Sonnenlicht durch ein Loch in der Wand auf eine Leinwand fallen lässt. Man muss sich die Zeit dafür nehmen.
„Filmriss“ im alten Kino Frankfurt (Oder), 2./3., 9./10. und 16./17. Juli, jeweils 12–18 Uhr; Eröffnung am 2. Juli, 15 Uhr; Eintritt: 5 Euro
Lost Places: der Künstlerinnenverein Endmoräne
Seit 31 Jahren verwandeln die Künstlerinnen von Endmoräne e.V. jeden Sommer einen verfallenen, stillgelegten oder vergessenen Ort in Brandenburg zu neuem Leben. Die Arbeiten entstehen ortsspezifisch und sind nur für kurze Zeit zu sehen. Im vergangenen Jahr war Endmoräne im Spanplattenwerk in Beeskow zu Gast, 2020 fand coronabedingt nur ein Online-
Projekt statt. Frühere Orte waren etwa die ehemalige Turbinenhalle am Stienitzsee in Rüdersdorf, ein ehemaliges Kinderwochenheim in Eisenhüttenstadt, die Papierfabrik Wolfswinkel in Eberswalde und das frühere Nähmaschinenwerk in Wittenberge.
Projekt statt. Frühere Orte waren etwa die ehemalige Turbinenhalle am Stienitzsee in Rüdersdorf, ein ehemaliges Kinderwochenheim in Eisenhüttenstadt, die Papierfabrik Wolfswinkel in Eberswalde und das frühere Nähmaschinenwerk in Wittenberge.
Infos: www.endmoraene.de