Wenn Carola Kirsch dort über ihre Arbeit spricht, tut sie das in einer nachdenklichen, fast sanften Art. Ihr Atelier hat sie in der Cottbuser Innenstadt, zentral gelegen und dennoch abseits vom Lärm, der in den vergangenen Tagen nach der pandemischen Ruhigstellung in die Stadt zurückkehrt ist. Doch bald merkt der Gast – das Sanfte mag ihr Wesen sein, es ist aber nur ein Teil ihres Charakters. Der zeichnet sich aus durch ein Gespür für die Verwerfungen der Gesellschaft, ist aber auch geprägt von Verantwortung, die sie empfindet für Dinge, die schief laufen. Diese Konflikte macht sie selbstbewusst zu ihrem Thema und lässt sie in ihre Arbeiten einfließen.
Zum diesjährigen Kunstpreis hat sich Carola Kirsch mit einer kleinen Serie von drei Grafiken beworben und prompt den Preis für Grafik gewonnen.
Die Serie heißt "Grenzüberschreitungen". Die hat sie in abstrahierender Form mit Pinsel, Feder und in drei Querformaten Farbe zu Papier gebracht. Aus dem dunklen Strich entwickeln sich Figuren, sie strecken und winden sich, suchen nach einer neuen Form, ja wagen einen Ausbruch aus dem Werk. Bald überschreiten sie Grenzen und reichen über das vergebene Maß des Passepartout hinaus. Linien werden zu roten Fäden aus Garn und verweben sich mit grafischen Elementen. Dabei verwendet die Künstlerin recycelte Materialien. Getrocknete, glatt gestrichene Teebeutel etwa haben ihre eigene Ästhetik, wirken sie doch wie japanisches Kunstdruckpapier.
Die Zeit und ihr Vergehen ist in diesen, aber auch in anderen ihrer Werke ein Thema. Wie wichtig ist uns die Vergangenheit? Und ist es nicht besser, nach vorn zu schauen, die Zukunft ist doch offen. Es sind Erfahrungen ihres Lebens, die da einfließen. Liebe und Vertrauen, aber auch Verletzungen und Verrat, die sie in DDR-Zeiten erfahren hat. Sprechen möchte sie darüber nicht. Sie habe das für sich abgeschlossen.
Gemalt hat Carola Kirsch schon immer. Seit ihrer Schulzeit, die sie in Lieberose und Cottbus verbrachte, war sie kreativ tätig. Später studierte sie Glastechnik in Weißwasser. "Ein Umweg", wie die Ingenieurökonomin sagt. Dennoch habe er ihr geholfen. Das Glas als ein Stoff, der Klarheit bringt, hat sie lange begleitet und tut es noch immer, vielleicht stärker als sie es sich eingestehen möchte. Das Atelier, bei vielen anderen Künstlern ein Heimatort der spontanen, manchmal auch chaotischen Entäußerung, wirkt bei Carola Kirsch mehr wie eine Galerie mit vielen gut sortierten Grafiken und Skulpturen. Ein organisierter Arbeitsort, an dem sie sich wohlfühlt.
Die ersten Jahre als Künstlerin waren nicht einfach, sie habe sich durchkämpfen müssen, sagt sie. Mit dem brandenburgischen Kunstpreisträger Matthias Körner hat sie sich das Atelier geteilt. Der Bildhauer Steffen Mertens sei für ihre Entwicklung prägend gewesen. Mit der US-amerikanischen Malerin Carolin Prescott, die mehrere Jahre in Cottbus arbeitete und lebte und später nach Berlin ging, verbindet sie noch immer eine künstlerische Nähe. Ihre erste Ausstellung hatte Carola Kirsch im Jahre 2008, viele sind seitdem dazugekommen. Das Behutsame, das von ihr ausgeht, kann sich aber auch in diplomatische Direktheit verwandeln, in weitreichendes Networking. So waren ihre Werke unter anderem in Wien, Tokio, Sacramento (USA) und im französischen Arles zu sehen. Aber auch heimische Präsentationen in der spektakulären Architektur der Cottbuser Uni-Bibliothek, in der Kleinen Galerie in Goyatz am Schwielochsee oder in der Lieberoser Darre zählen dazu. Auch wenn die Skulptur nicht ihr hauptsächliches Metier ist, nimmt sie seit Jahren an einem Skulpturen-Workshop in Italien teil. Einige dieser Ergebnisse sind auch auf ihrer Homepage zu sehen – sinnlich und anregend.
Grenzüberschreitungen beginnen im Kopf, sagt die Künstlerin. Das setze ein Auseinandersetzen mit den Dingen voraus. Das Übertreten der Linien, der Striche, der Flächen – es vereint, es zerstört – alles ist möglich. Aber wer Grenzen überschreitet, sieht bald auch neue Chancen. Und warum können sich Dinge nicht verwandeln?, fragt die Künstlerin. In einer Miniserie übermalt sie gedruckte Zeitungsseiten, ja verändert sie bis zur Unkenntlichkeit. Aus schlechten Nachrichten Schönes machen? Das wär doch ein wunderbares Lebensziel. Carola Kirsch lächelt sanft.
Brandenburgischer Kunstpreis
Die Vorauswahl zum Brandenburgischen Kunstpreis 2020 ist abgeschlossen. Alle ausgewählten Werke werden ab Anfang Juli in einer Ausstellung in Neuhardenberg gezeigt. Der Kunstpreis selbst sowie der Ehrenpreis des Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg für ein Lebenswerk und der Nachwuchspreis des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur werden am 2. August in Neuhardenberg verliehen. Wir stellen bis dahin in loser Folge Teilnehmende der Ausstellung vor. red