Ein Haus, das aussieht, als habe man es eigenhändig aus den Restposten eines Baumarktes zusammengeschraubt: hier noch ein provisorischer Anbau, dort ein Verschlag, schief und krumm, zusammengehalten von einem Spitzdach aus Asbestplatten.
Ein Häuschen eher, eine Datsche, die Fenster vernagelt, umzingelt von hoch wachsendem Gras und Efeu, der sich anschickt, es irgendwann ganz und gar unter sich zu begraben. „Blütezeiten“ heißt die Serie, für die Sven Gatter diese Aufnahme gemacht und mit der er sich im vergangenen Jahr um den Brandenburgischen Kunstpreis in der Kategorie Fotografie beworben hat.
„Thematisch interessiert mich der ostdeutsche Umbruch, wie er heute noch erkennbar ist“, sagt der 40-Jährige. Immer wieder setzt er sich dafür auch mit der Region auseinander, in der er aufgewachsen ist: Bitterfeld. Als Porträtarbeit haben seine „Blütezeiten“ dort einst begonnen – Gatter fotografierte Menschen, die ihm beim Umwandern der ehemaligen Tagebaugebiete begegneten. Still, sachlich, zugewandt. Ein älteres Pärchen, unterwegs zum Pilzesammeln, zwei Jungen im See, eine Zigarette in der Hand, ein Mann mit einem Fernglas, ein junges Mädchen an einem Rummelwagen. Gatter findet es spannend, wenn ein Porträt eine gewisse Uneindeutigkeit hat und zeigt, dass der Fotograf sich für die Menschen, die er abbildet, interessiert. Es sind keine Reportagefotos, keine „Zufallsbilder“. Stets ordnet er an, lässt seine Modelle einen Schritt neben das treten, was sie eigentlich gerade tun. Eine „konstruierte Wirklichkeit“.
Die Auseinandersetzung damit ist für den gebürtigen Hallenser die theoretische Grundlage seiner Arbeit – eine perfekte Verknüpfung mit seinem Studium der Angewandten Sozialwissenschaft. Entstanden ist das Interesse am Thema während seiner Teilnahme an der Abendakademie der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst: „Dort lasen wir Texte, sahen Filme, die sich reflektorisch mit Fotografie beschäftigen“, erzählt Gatter. Ihn bewegte das so, dass er seine Diplomarbeit unter das Motto „Fotografische Bilder als Quellen empirischer Sozialforschung“ stellte: „Wie betrachtet man Fotografien? Welchen Erkenntniswert haben sie? Wie konstruiert Fotografie eine eigene Wirklichkeit? Und inwieweit hängt diese mit der Realität zusammen, die im Moment des Fotografierens vor der Kamera existierte?“
2007 ist Gatter nach Berlin gezogen, besuchte dort von 2010 bis 2011 Seminare an der Ostkreuzschule für Fotografie. Seitdem setzt er sich auch künstlerisch mit dem Medium auseinander. 20 Stunden pro Woche arbeitet er als Pädagoge, betreut zum Beispiel medienpädagogische Projekte an einer Schule in Treuenbrietzen. Der Rest der Zeit bleibt für die Fotografie.
Zunehmend hat Gatter dabei die Landschaft in den Blick genommen, verfasst kleine Texte dazu, stellt Archivmaterial gegen eigenes. Immer wieder nimmt er zudem Wege in den Fokus, will zeigen, wie er selbst sich durch den Raum bewegt. Seine Arbeiten sind dabei keine Form von Heimatfotografie. „Aus den Bildern heraus ist nicht erkennbar, wo das ist“, sagt er. „Es geht um die Phänomene, die dort stattfinden, nicht um eine Reportage.“
In Bitterfeld hat er so ganz bewusst begonnen, sich von der Architektur der Stadt, ihren in den Medien so gern gezeigten Ruinen abzuwenden. Stattdessen sucht Gatter seine Motive am Stadtrand, in der sich entwickelnden Seenlandschaft, einer „Bühne für die Hoffnungen der heutigen Menschen“: „Ich wollte sehen, was dort passiert, fotografisch fassen, wie man versucht, eine neue Identität von Bitterfeld zu entwickeln, einer Stadt, die mal als dreckigste Europas galt“.
Und in der Menschen dennoch Träume hatten. „Es gibt eben nicht nur eine Perspektive“, sagt Gatter. Ihm ist wichtig, Vielfalt und Ambivalenz zu zeigen. „Man kann nicht sagen: So empfinde ich den Osten. Man muss immer wieder hinschauen. Deshalb ist es auch so wichtig, sich mit Orten lange zu beschäftigen.“
Im Moment ist es das Örtchen Oehna (Teltow-Fläming), in das der Fotograf immer wieder fährt. Während seiner Stipendiatenzeit im Schloss Wiepersdorf hat er es entdeckt, war dort fasziniert von einem alten, verfallenden Gehöft. Mit den nebenan wohnenden Besitzern ist Gatter längst befreundet; so oft er mag, darf er dort die Kamera zücken. „Es geht nicht um den konkreten Ort“, sagt er, „sondern um Verfall.“ Und gleichsam um die ökonomischen Strukturen der Region. „Mir ist aufgefallen, wie die Ziegelsteine wandern, immer wieder verwendet werden. Ein spannender Prozess, der zeigt, dass aus Verfall auch Neues entstehen kann.“
Ein Gedanke, aus dem heraus nun Kunst entsteht: mit Ziegelsteinfotos umklebte Quader, die Gatter in einer Installation zu einem Berg aufschütten will. Weg von der Wand, rein in den Raum: Die Zweidimensionalität aufzubrechen ist etwas, das ihn derzeit besonders interessiert.
Daneben plant Gatter eine Publikation seiner Arbeiten, stellt gerade Bilder und Texte dafür zusammen. Auch eine Ausstellung ist in Vorbereitung, im März im brandenburgischen Kulturministerium, zusammen mit anderen Wiepersdorf-Stipendiaten. Etwas, womit Gatter sich nicht leicht tut: „Im Ausstellungsraum etwas so darzustellen, dass man versteht, was mich beschäftigt, aber dennoch Projektionsfläche zu lassen für eigene Gedanken …“ Seine Bilder zu zeigen, findet er trotzdem „wichtig, spannend und schön“. Vielleicht werden sie ja auch bei der kommenden Kunstpreis-Ausstellung im Schloss Neuhardenberg wieder dabei sein.
Ausschreibung
Die Märkische Oderzeitung und die Stiftung Schloss Neuhardenberg laden zur Beteiligung am Brandenburgischen Kunstpreis 2019 ein. Die Auszeichnung steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg, Dr. Dietmar Woidke. Prämiert werden Werke der Malerei, Grafik, (Klein-)Plastik sowie Fotografie. Den 2019 zum zweiten Mal vergebenen Preis für Fotografie stiftet die Ostdeutsche Sparkassenstiftung. Bewerben können sich Künstlerinnen und Künstler, die im Land Brandenburg leben oder arbeiten. Die Anzahl der Einreichungen ist auf ein Werk begrenzt, das aus mehreren Teilen bestehen kann und in den vergangenen zwölf Monaten entstanden ist.
Die Bewerbung erfolgt mit der Übermittlung einer digitalisierten Abbildung, die die Arbeit in einer Qualität zeigt, die für eine gedruckte Veröffentlichung geeignet ist (Auflösung mindestens 300 dpi als jpg- bzw. tiff-Datei vorzugsweise als E-Mail oder CD). Eine unabhängige Jury trifft aus diesen Einreichungen eine Auswahl für die Vergabe der dotierten Preise und eine damit verbundene Ausstellung in Neuhardenberg. Die Künstlerinnen und Künstler der so ermittelten Arbeiten werden danach eingeladen, die Originalwerke einzureichen. Die Werke sollten die Maße von 200 mal 130 Zentimetern nicht überschreiten. Skulpturen müssen physisch von einer Person bewegt werden können. Im Bereich Fotografie sind maximal drei gerahmte Arbeiten, Maße maximal 100 mal 100 Zentimeter, einzureichen.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog. Deshalb gehören zu den Bewerbungsunterlagen eine Vita in digitalisierter Form und ein Porträtfoto (Auflösung mindestens 300 dpi) sowie Angaben zum eingereichten Werk inklusive Versicherungssumme. Die Preisverleihung mit anschließender Ausstellungseröffnung findet am Sonntag, dem 23. Juni, 12 Uhr, auf Schloss Neuhardenberg statt.
Einreichungsschluss für die digitale Bewerbung ist am 1. März 2019, per E-Mail unter [email protected] oder per Post, Märkisches Medienhaus, Kunstpreis, Chefredaktion, Kellenspring 6, 15230 Frankfurt (Oder); Infos unter 0335 5530511